Mir gefällt die Sprache, in der erzählt wird. Der Erzähler schildert relativ unpathetisch. Seinen 70. Geburtstag feiert er groß, fast alle Geladenen kommen. Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass er in seinen Kreisen beliebt war/ist und Anerkennung genießt? Es ist doch keine Selbstverständlichkeit, dass Schul- und Studienfreunde dafür eine weite Reise in Kauf nehmen. Er muss die Kontakte gepflegt haben. Hier sehe ich den Gegensatz zu dem einsamen Eremiten, von dem der Hauptteil der Geschichte handelt. Insofern gewinnt die Vokabel "Altersdepression" für mich an Bedeutung.
Der Erzähler hatte eine anspruchsvolle Mutter, deren Erwartungen maßlos waren. Das sieht er als Ursache, warum er im Leben mehr nach den Erwartungen anderer (meist Frauen) gelebt hat als nach seinen eigenen Vorstellungen. Als Ehemann und Vater fühlt er sich als Versager (S.205)
Er fängt an, abends ruhelos durch die Straßen zu ziehen. Schließlich findet er eine schöne Bank am Kanal, wo er etwas Ruhe findet:
[zitat]Er saß auf der Bank, die laue Luft war nachsichtig, und er dachte schon, er könne die Vergangenheit wie ein gefaltetes Papierschiffchen auf den Kanal setzen und davonschwimmen lassen (S. 207).[/zitat]
Ist das nicht ein wunderschönes Bild?
Dort sieht er auch die junge Frau, die ihn an eine frühere Beziehung erinnert, die der neben seiner Ehe (hier wirkt das vorher Geschriebene obsolet, denn definitiv erfüllt er mit dem Seitensprung nicht die Erwartungen seiner Gattin
).
Ich habe seine Erinnerungen über die Beziehung gerne gelesen. Bestimmt erscheint sie ihm im Nachgang in etwas rosarotem Licht, denn offenbar hat er weiter mit seiner Frau verkehrt, sie wurde ja schwanger, und sich recht schmerzfrei von der Geliebten getrennt.
Doch er geht auch kritisch mit sich selbst zu Gericht, er sieht den Egoismus, der seinem Verhalten zu Grunde liegt (S. 212).
Hier fand ich es schön, dass der Erzähler Adele tatsächlich noch einmal treffen konnte. Sie fühlte sich offensichtlich längst nicht so verletzt, wie er befürchtet hatte. Ihre gemeinsame Geschichte hat einen besonderen Platz in ihrem Leben. Sie hatte aber keine größeren Erwartungen daran und ist in keiner Weise verbittert.
Mir gefällt diese Frau, die distanziert und zufrieden auf ihr Leben blicken kann und auch die Vergangenheit als "Altersflecken" akzeptieren kann.