Der Sommer auf der Insel

Anjuta

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8. Januar 2016
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Die Geschichte der Sommerreise einer Mutter mit ihrem Sohn ist zugleich eine Geschichte über den Abschied von der Kindheit, über das Erwachen der Sexualität und eine neue Nähe zur Mutter. Eine Abschiedsgeschichte, die freudig ist. Die Tür zur Kindheit schließt sich ( keine Lust mehr auf Sandburgenbauen), eine Tür öffnet sich (das Entdecken des Körpers in der Sandkuhle). Das Wahren eines Geheimnisses ist ein anderer Zug des Erwachsenwerdens des Ich-Erzählers hier. Mit ihm stellt er seine neue Ernsthaftigkeit unter Beweis, ohne die Last des Erwachsenwerdens zu fühlen. Die Leichtigkeit des Seins prägt diese Geschichte, die mir in meinem Sommerurlaub passend und richtig erscheint.:)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Zunächst einmal war ich befremdet, dass die Familie noch nie zusammen in den Urlaub gefahren war. Der Vater wollte die Mutter für sich haben...:confused:
Der Junge empfand seine Mutter auf dieser Reise als besonders schön. Die überraschende Nacht im Hotel wird als gemeinsames Abenteuer verstanden. Hübsch fand ich den Satz "Dies waren also Mutter-Ferien", weil es offensichtlich etwas großzügiger zuging ;)

Eine feine Ablehnung spürte ich, als die Mutter "Lolita" las (das Thema hatten wir bereits bei "Picknick mit Anna"...), der Junge darin stöberte und auf einmal Mädchen und Frauen mit anderen Augen sah. Im Alter von 11 Jahren im Jahre 1957:eek:.

Dann kamen die körperlichen Erkundungstouren - auch das hat man gefühlt schon einige Male gelesen. Meistens von älteren Herren geschrieben... Mich langweilte es.

Aber dann bekommt Schlink die Kurve: Die Mädchen haben die Mutter des Jungen beobachtet! Der Junge ist verwirrt, er weiß nicht, wie er damit umgehen soll. Diese Gefühlslage wurde sehr gut rübergebracht. Die Mutter bemerkt die Veränderung, fragt den Jungen, was los ist und er bricht sein Schweigen. Die Mutter reagiert UNGLAUBLICH sensibel, vorausschauend und gefühlvoll! Das ist mir für die damalige Zeit etwas unglaubwürdig, zugunsten des hübschen Endes der Geschichte will ich aber nicht so plienzig sein ;)

Es ist der Abschied von der Kindheit. Wäre der Junge etwas älter, hätte ich die Handlung glaubhafter empfunden, jedoch wäre ihr dann auch die kindliche Unschuld abhanden gekommen.

Interessant noch die späteren Reflexionen: Ob die Affäre der Mutter richtiger gewesen wäre als die des Vaters? Ihm hätte er es übler genommen, wahrscheilich, weil er zur Mutter einfach ein liebevolleres Verhältnis hatte.

Obwohl diese Geschichte in meinen Augen noch die Kurve gekriegt hat, gehört sie für mich zu den schwächeren bislang.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Der Abschied von der Kindheit - treffend beschrieben. Auch wenn der Junge mit 11 Jahren noch sehr jung ist, finde ich die Art und Weise, wie die ersten sexuellen Erfahrungen und das Erkunden der Körper beschrieben wird, sensibel und kindgemäß. Die Reaktion der Mutter ist tatsächlich ungewöhnlich, ich hätte erwartet, dass sie alles leugnet. Die Beziehung der beiden wird durch ihr Eingeständnis enger. Interessant sind auch die Gedanken des Jungen, ob es dasselbe gewesen wäre, hätte der Vater eine Liebesaffäre gehabt.
Am Ende wird deutlich, dass auch die Mutter einen Abschied vollzogen hat, nach dem Urlaub erlaubt sie sich keinen weiteren Kontakt mehr mit dem Mann, drüber nicht namentlich genannt wird.
Allerdings behält sie über all die Jahre das Kleid, das sie auf der Insel getragen hat. Der Abschied ist ihr schwer gefallen.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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Wieder eine makellose, melancholische Geschichte. Mein einziger Einwand, ähnlich wie @Literaturhexle finde ich den Jungen mit 11 Jahren zu jung für diese Coming of Age -Geschichte.

Ein Abschied von der Kindheit und ein Abschied der Mutter von einer Sommerliebe. Den Ausflug aus ihrer Ehe, die ich mir eher lieblos vorstelle, hat sie nie bereut, sondern in ihrer Erinnerung bewahrt (das Kleid, die Briefe) aber auch nie wiederholt.
 

SuPro

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28. Oktober 2019
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Und wieder spielt der Abschied eine Rolle.
Abschied vom Kindsein durch den Roman „Lolita“.
Abschied von der Illusion über seine Mutter durch die Nachricht der Zwillinge, dass diese mit einem fremden Mann in freier Natur Sex gehabt habe.
Eine Geschichte, die von Aufrichtigkeit, Unspektakulärem, Toleranz und Unkonventionalität geprägt ist.

Wieder werden sehr differenzierte und analytische Fragen aufgeworfen. Diesmal bzgl. des Grundes der Geheimhaltung und der Bewertung einer Affäre.

Und wieder ein schöner und vielsagender letzter Satz.
Das Kleid erinnert mit seiner Farbe und Bravheit an die angepasste Frau, die auf die Insel fuhr und sich dort Freiheit, Abenteuer und Auszeit gönnte, um sich anschließend wieder angepasst in ihre Situation einzufügen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Eine Adoleszenzgeschichte mit den ersten erotischen Spielen, so etwas kennt man. Der erste Urlaub überhaupt und dann nur mit der Mutter allein. ( Ein Vater, der normalerweise seine Frau in den Ferien nur für sich haben möchte und die Kinder deshalb immer zur Verwandtschaft schickt??? Sehr sonderbar, aber vielleicht gab es in den 50er Jahren solche Männer. Gut, heute verbringen Paare auch mal gern ein gemeinsames Wochenende allein, aber in den Urlaub nimmt man in der Regel die Kinder mit.)
Hier lernt nun der Junge seine Mutter ganz neu kennen, erlebt sie als eigenständige Schöne Frau. Die Reaktion der Mutter später ist ungewöhnlich. Ob der Elfjährige das alles verstanden hat, was ihm die Mutter dann erzählt?
 

parden

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13. April 2014
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Für mich gehört diese Geschichte zu den netteren in diesem Buch. Zumindest ab dem Zeitpunkt, als die Mutter auf die Frage des Jungen so offen reagiert hat. Das hätte auch eine drückende Erzählung werden können, mit Geheimhaltungsauftrag oder Leugnen und Spionieren usw. Aber so fand ich die Geschichte gelungen - und pauschal zu sagen, ein Elfjähriger sei zu jung für eine Coming-Of-Age-Erzählung, finde ich falsch. Jeder ist in seiner Entwicklung anders, manche sind halt frühreif, andere Spätzünder, alles gut.

Im übrigen passt diese Geschichte mit der Hitzewelle über Tage hinweg sehr gut zu unserer derzeitigen Wetterlage. Mir fehlt nur das Meer... o_O
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ein so auf Augenhöhe basierendes Mutter-/Sohn-Verhältnis - man könnte glatt neidisch werden... Die Geschichte hat mich sehr nachdenklich gestimmt.
 
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Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Diese Geschichte hatte gleich mehrere Formen des Abschieds. Für den Jungen war es ein heranwachsen und Eintritt in die ersten sexuellen Handlungen. Er verabschiedet sich langsam vom Kind in ihm. Für die Mutter war es am Ende ein Abschied für immer, denn es wird ja klar, dass es für sie keine weiteren Treffen geben wird. Die Mutter wirkte sehr glücklich mit ihrer Affäre, da man über ihre Ehe allerdings nicht viel sagen, wird mir nicht ganz klar, ob sie ein großes Opfer gebracht hat, oder ob sie eigentlich zufrieden war mit ihrer Ehe. Gerade damals war es ja noch ziemlich verpönt sich scheiden zu lassen, von daher wissen wir nicht, ob sie ihren Mann geliebt hat, oder einfach nur ihre Ehe hingenommen hat.
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Diese Geschichte hat mir gut gefallen. Der Junge ist an der Schwelle zur Pubertät und lernt seine Mutter ganz neu kennen. Aber auch die Mädchen entdeckt er auf unschuldige Art. Als die Affäre aufgedeckt wird, reagiert die Mutter überraschend offen. Die Geschichte spielt 1957. Vielleicht war die Zeit auch nur in meiner Vorstellung spießig. Dieser Sommer prägt sein Leben, während er für die Mutter nur ein Ausflug war.