Da muss ich widersprechen! Für mich ist diese Geschichte ebenso gut gelungen wie die anderen. Auch wenn über die Grundthematik schon viel geschrieben wurde (Scheidungen gehören heute leider für viele zur Lebenswirklichkeit), finde ich sie sehr gut umgesetzt.
Sabine wurde vor 19 Jahren von ihrem Mann verlassen. Er brannte mit dem polnischen Aupair durch, was die Ex-Frau offensichtlich nie verwunden hat.
Sie wird eines abends von Milena, eben jenem Aupair, aufgesucht, weil Michael sie zu sehen wünsche. Er sei schwer an Krebs erkrankt und habe nicht mehr lange zu leben. Sabine reagiert unentschlossen, sie will es sich überlegen. Milena geht.
In Folge bekommen wir eine Menge Fakten über Sabine. Während man zunächst Mitgefühl mit der tüchtigen Ärztin hat, die so plötzlich um ihr Eheglück betrogen wurde, tun sich nun völlig neue Sichtweisen auf:
Sabine ist noch immer von Rachegedanken erfüllt. Zum Teil sind diese nachvollziehbar, denn offensichtlich ging Michael ihr damals aus dem Weg und lehnte jede Form einer Aussprache ab, worunter die Verlassene sehr litt. Sätze wie "Sie gönnte ihm die Krankheit. Sie war wie ein Sieg, den sie über ihn errungen hatte.", sind allerdings ein extrem hartherziges Kaliber! Offensichtlich ist Sabine eine Alpha-Natur, die andere gerne dirigiert. Bezeichnend, dass beide Kinder entscheidungsschwach bzw. wenig selbstbewusst sind. So etwas habe ich bei Kindern sehr dominanter Eltern gesehen. Später erwartet sie auch von ihrem Sohn sofortige Auskünfte, weil SIE ihm die Wohnung gekauft habe, SIE ihn unterstütze etc. (spätestens da verlor Sabine meine anfänglichen Sympathien).
Auch Volker, ihr Lebensgefährte, wird nur "als Mann, mit dem sie schlief", bezeichnet.... Welch eine Eisscholle diese Frau ist!
Zum Glück hat Sabine eine Freundin, die sich auch traut, Kritik zu üben, die Sabine sogar als richtig anerkennt, wenn auch Herz und Verstand in unterschiedliche Richtungen weisen. Die Freundin führt zur Verhaltensänderung: Sabine tritt mit ihrem Ex in Kontakt. Sehr bezeichnend hier ihre rückblickende Ehrlichkeit: "Wenn er nicht gegangen wäre, hätte sie früher oder später gehen müssen. Auf Dauer hätte sie die leere Routine nicht ausgehalten." Hallo!? Da richtet sich die Frau 19 (!) Jahre im Verdruss des Verlassenwerdens ein und kommt erst jetzt zu dieser Einsicht?! (Diese Stelle ist in der Tat etwas merkwürdig - aber vielleicht auch realistisch? Wer weiß?)
Sabine richtet sich gedanklich auf einen demütig um Vergebung bittenden Michael ein. Da wird sie enttäuscht. Letztlich ist der Anlass für das Treffen ein Vermächtnis seiner Mutter... Michael bittet NICHT um Vergebung, sagt aber, dass ihm alles leid tue. In Folge dieser tolle Satz:
[zitat]Meine Traurigkeit legt sich auf alles, sie macht mich müde, sie ist ein schwarzes Wasser, ein schwarzer See, in dem ich ertrinke, unentwegt ertrinke. (S.115)[/zitat] Welch ein Bild!
Selbst die Konfrontation mit dem Kranken führt nicht zu einer wirklichen Verständigung ("Sie verstand ihn nicht."). Trotzdem scheint Sabine abschließen und offener für die Beziehung mit Volker sein zu können. Diesen letzten Absatz hätte ich tatsächlich nicht gebraucht. Diese Wendung ist althergebracht, da stimme ich
@Anjuta zu.
Sabine ist eine harte und selbstgerechte Frau. Nicht einmal ihre Kinder durften den Vater in all den Jahren erwähnen, sie hat auch kein herzliches Verhältnis zu ihnen. Mit seiner Mutter hat sie (ohne persönlichen Grund) gebrochen. Für einen Neuanfang braucht sie 19 Jahre. Ich mag die Figur nicht. Aber die Geschichte ist klasse!