Rezension Rezension (4/5*) zu Ein Sommer in Brandham Hall von L. P. Hartley.

Wandablue

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18. September 2019
9.695
22.102
49
Brandenburg
Die Wehwechen der Haute Volée

Kurzmeinung: Die britische Anbetung für Adel und Reichtum kann ich nicht teilen.

Der Roman „Der Sommer in Brandham Hall“ gehört zu den englischen Klassikern. Er beschäftigt sich mit der Idealisierung der Gesellschaftsschicht des Adels und der Reichen. Die Anbetung für den Hochadel, den die britische Gesellschaft bis heute in der Literatur (und Gesellschaft) kultiviert, stößt bei mir auf heftige, sozialistische Abneigung, ja, sehr kurz wünsche ich mir eine Art "Französische Revolution" für die Briten herbei. (Dann doch wieder nicht). Jedenfalls hat mich das langweilige "Middlemarch" mit seinem beschränkten Personal entsetzt, "Der Sommer in Brandham Hall ist im Vergleich dagegen ein Reißer und sozusagen pure Kritik ;-). Deshalb schafft der Roman auch einen Punkt mehr in der Bewertung.

Der Sommer in Brandham Hall ist Lesleys erfolgreichster Roman geworden, weil dessen Zentralfigur der kleine Leo Colston ist. Der bald dreizehnjährige, vaterlose Colston ist zu Besuch auf Brandham Hall und muss sich mit allerhand Kalamitäten herumschlagen, denn er gehört nicht wirklich dazu. Leo hat die Codices der feinen Gesellschaft jedoch tief verinnerlicht und tritt einerseits mit einem tiefen Minderwertigkeitsgefühl behaftet und anderseits mit einem gewaltigen Snobismus beladen, seine Sommerferien auf Brandham Hall an. Seine idealisierten Vorstellungen von der Haute Volée können der Wirklichkeit allerdings nicht standhalten. Die feine Gesellschaft handelt nach Eigeninteressen. Wer hätte das gedacht?!

Die inneren Konflikte Leos, den eigentlich alles erschreckt, die Köperlichkeit anderer und seine eigene, der umgetrieben wird von Ehrgeiz und Luftschlössern, machen das Buch lebendig. Verglichen mit Middlemarch von George Elliot ist „Ein Sommer in Brandham Hall“ vergnüglich zu lesen und quasi ein Reißer.

Sein Ende ist insoweit folgerichtig, dass die sogenannten Vornehmen dieser Welt immer dafür sorgen werden, dass andere ihre Vergehen ausbaden, ist aber doch ein wenig zu melodramatisch ausgefallen. Es hätte mit spielender Leichtigkeit ein katastrophenneutrales Ende gegeben. Dafür versöhnen Prolog und Epilog vollständig.

Fazit: Hitze des Sommers, Heranwachsen, Katastrophe(n), feiner Schreibstil. Das große Plus des Romans ist der kleine Leo Colston, der bis zu einem gewissen Punkt sich und die feine Gesellschaft entlarvt. Diese Entlarvung bleibt allerdings Stückwerk, es ist noch reichlich Verblendung übrig.

Kategorie: Klassiker. Belletristik.
Verlag: Eisele, 2019

 
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