4. Leseabschnitt: Kapitel 30 bis 36 (S. 232-297)

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Dieser Leseabschnitt beginnt "schlagkräftig" - Alene wird von der betrogenen Ehefrau öffentlich bloßgestellt. Unglaublich, welche Reaktion ihr Direktor zeigt, sollte sie sich einen weiteren Fehltritt leisten, werde sie entlassen. Auch der Schulleiter hätte fast seinen Job verloren, für die Beziehung bedeutet dies das Ende.
Alene empfindet sich als "gezeichnet", doch mit der Zeit verblasst die Schande und sie wird als einsame alte Frau wahrgenommen. Das ist ihre Geschichte, bevor sie nach Holt zurückkehrt.

Dad Lewis wird in seinen Träumen von Figuren aus der Vergangenheit und Gegenwart heimgesucht - es sind die losen Enden seiner Geschichte, die Menschen, mit denen er seinen Frieden noch nicht gemacht hat. Sein Sohn Frank, Tanya und auch seinen beiden Angestellten - offenkundig hat er doch ein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber, dass er seine Tochter als Geschäftsführerin einsetzen will, statt den Laden ihnen zu hinterlassen.

Reverend Lyle teilt der Gemeinde in der Messe mit, dass er nichts mehr zu sagen habe - er gibt auf und geht. Seine Frau offenbart den wenigen Menschen, die gekommen sind, dass auch sie fortgehen wird. Willa wirft ihr vor, dass sie ihren Mann nicht unterstützt. "Sie sind seine Frau. Ihr Platz ist an seiner Seite." (251) Sie selbst hat ihren Mann früh verloren und doch ist sie froh darüber, jemanden geliebt zu haben. Indem sie Alene anschaut, zeigt sie Verständnis für deren Affäre - so habe ich es jedenfalls interpretiert.
Willa und Alene treten auch beim Kirchengemeinderat für den Reverend ein, doch sie haben keine Chance, er wird entlassen - auch wenn er das gepredigt hat, was in der Bibel steht. Seine Frau verlässt ihn daraufhin - doch John Wesley nimmt sie nicht mit, obwohl er offenkundig mit seiner Mutter gehen möchte.

Mary versucht Frank zu finden, doch er hat Denver verlassen und es gelingt ihr nicht, ihn ausfindig zu machen.
Sehr berührend fand ich die Szene, in der sich die kleine Alice von Dad Lewis verabschiedet, woraufhin es ihm gelingt, Lorraine zu sagen, dass er sie immer geliebt hat.
Beängstigend und im Kontrast dazu ist der Selbstmordversuch (?) John Wesleys. Das ist kaum zu ertragen sich vorzustellen, welche Ängste der Junge auf der Kiste ausgestanden hat - doch wenigstens wird sein Hilferuf erhört.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Unglaublich, welche Reaktion ihr Direktor zeigt, sollte sie sich einen weiteren Fehltritt leisten, werde sie entlassen. Auch der Schulleiter hätte fast seinen Job verloren, für die Beziehung bedeutet dies das Ende.
Das ist schon unglaublich. Die Geschichte spielt ja nicht in den 1950er Jahren. Beide , Alene und der Schulleiter, werden wie Teenager abgekanzelt, müssen versprechen, „ es nie wieder zu tun“.
Dass es dadurch nicht mal mehr zu einem Gespräch zwischen den Zweien kommt, spricht nicht für die Beziehung.
 

RuLeka

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Dad wird in seinen Träumen von seinem schlechten Gewissen heimgesucht. Kent Haruf verpackt das in eine starke Szene. Die Figuren, bei denen er sich „ schuldig“ gemacht hat in seinem Leben, treten auf vor seinem Bett und sprechen die Vorwürfe aus, die er sich selbst macht. Wie bei einem Tribunal, bei dem sich Dad aber verteidigen darf. „ Das jüngste Gericht“ - schon vor dem Tod.
 

RuLeka

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Was macht man mit einem Pfarrer, der die Bibel wörtlich nimmt? Es sind nur wenige in der Gemeinde, die dafür Verständnis haben. Aber Lyle verliert nicht nur seine Arbeit, sondern auch seine Familie. Seine Frau macht hier nicht mehr mit. „ Prinzipien kann man nicht essen.“ Die Lebensgrundlage fehlt, wobei natürlich beide nach Alternativen hätten suchen können.
Und der Junge steht eh allein da.
 

RuLeka

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Kent Haruf spricht für mich auch wieder durch Lyle. Als Willa überlegt, was schlimmer ist , ein Leben mit jemandem, den man liebt und mit dessen Verlust man danach fertig werden muss oder ein Leben ohne Liebe. Da antwortet Lyle „ Ich würde sagen, es ist besser, jemanden geliebt zu haben,..“
 

RuLeka

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Wie schrecklich muss es für Eltern sein, wenn sie den Kontakt zu ihrem Kind verloren haben. Fast, als wäre derjenige tot. Nur, dass man sich noch Vorwürfe macht und Sorgen hat, wie es demjenigen geht. So eine traurige Episode, als Mary nach Denver fährt auf der vergeblichen Suche nach Frank. Sicherlich hat sie auf eine Versöhnung zwischen Vater und Sohn gehofft.
 

RuLeka

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Wobei Mary auf dieser Fahrt freundliche Menschen trifft. Zum Schmunzeln war die Begegnung mit dem Mann an der Tankstelle. „ Danke, sagte sie, Sie sind ein guter Mensch. Nein, sagte er. ....Ich glaube nicht, dass meine Frau Ihnen zustimmen wird.“ und Mary schreibt danach einen kurze Nachricht an dessen Ehegrau.
Berührend die Umarmung der fremden Frau, die nun in Franks Wohnung lebt.
Allein für solche Szenen muss man Kent Haruf lieben.
 

RuLeka

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Lieben muss man Kent Haruf auch für die Szene, als Alice sich von Dad verabschiedet. Ich kann verstehen, dass Dad noch einmal das Gesicht eines kleinen Mädchens berühren möchte. Ich genieße es auch, die Haut meiner Enkelkinder zu berühren. So zart, so vollkommen, einfach schön.
Parallel zum Sterben des alten Mannes zeigt Haruf, wie ein kleines Mädchen ohne Eltern eine Heimat findet. Geliebt und angenommen nicht nur von der Oma, sondern von einigen älteren Frauen. Alice steht hier für die Zukunft, ist zwischen all der Trauer, den Verlusten ein positives Element. Sie erobert sich mit ihrem Fahrrad die Welt.
 

RuLeka

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Schön, dass Dad seiner Tochter noch sagen kann, dass er sie immer geliebt hat. Als Lorraine klein war, hat er ihr das nicht gesagt und konnte es nicht sagen. Diese Generation von Vätern hat sich schwergetan mit Gefühlen.
 

RuLeka

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Bei dem letzten Kapitel in diesem Abschnitt musste ich wirklich die Luft anhalten. Ich bekam solche Angst um John. Ich dachte, Kent Haruf wird ihn doch nicht sterben lassen. Aber was für eine Horrorvorstellung, mit dem Seil um den Hals auf Hilfe zu hoffen. Dieser arme, verzweifelte Junge!
 

Literaturhexle

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Schön, dass Dad seiner Tochter noch sagen kann, dass er sie immer geliebt hat. Als Lorraine klein war, hat er ihr das nicht gesagt und konnte es nicht sagen. Diese Generation von Vätern hat sich schwergetan mit Gefühlen.
Zum einen das und zum anderen ist Dad eben auch ein Hardliner in mancher Beziehung. Ich wüsste nicht, dass mein Vater mir jemals gesagt hätte, dass er mich liebt. Trotzdem wusste ich es. Wenn die Beziehung ungetrübt Ist, muss man Selbstverständlichkeiten nicht aussprechen. Bei Dad ist das anders: er hat willentlich mit dem Sohn gebrochen. Das schafft auch für die Tochter Unsicherheit... Insofern ist es wirklich sehr berührend, dass er auf dem Sterbebett seine Liebe erklären kann.
 

Literaturhexle

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Seine Frau verlässt ihn daraufhin - doch John Wesley nimmt sie nicht mit, obwohl er offenkundig mit seiner Mutter gehen möchte.
An der Stelle hat die Mutter völlig an Ansehen bei mir verloren! Für mich liegt der Gedanke nah, dass sie zu ihrem Geliebten zurück will. Dabei wäre ihr Sohn nur im Weg. Der Junge ist 16! Wo wäre das Problem, sich gemeinsam eine Bleibe für einen Neuanfang zu suchen. Er könnte auch allein bleiben für ein paar Stunden.Alles nur ein Vorwand!
Zu Recht fühlt sich John abgeschoben. Zu seinem Vater hat er sowieso kein gutes Verhältnis, die Freundin hat er verloren....
Er sieht keinen Ausweg mehr. Zum Glück verlässt ihn der Mut zum letzten Schritt und der Pfarrer kommt rechtzeitig nach Hause. Vielleicht gibt es für die beiden eine neue Chance?
Warum wollte John sich schminken? Ersatzhalber hat er sich mit Asche eingerieben. Muss man das verstehen?
 

RuLeka

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An der Stelle hat die Mutter völlig an Ansehen bei mir verloren!
Angeblich hat sie ihre Affäre beendet. Dass sie mit ihrem Mann nicht mehr zusammenleben möchte, kann ich noch nachvollziehen. Hier fehlt die Liebe, sonst hätte es Alternativen gegeben. Aber an ihrem Sohn scheint ihr auch nicht viel zu liegen, dabei hat sie doch mitbekommen, dass er von seiner Freundin verlassen wurde. Doch manche Ehepaare sind so mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und verlieren die Kinder aus den Augen. Traurig.
 

Literaturhexle

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Angeblich hat sie ihre Affäre beendet. Dass sie mit ihrem Mann nicht mehr zusammenleben möchte, kann ich noch nachvollziehen. Hier fehlt die Liebe, sonst hätte es Alternativen gegeben. Aber an ihrem Sohn scheint ihr auch nicht viel zu liegen, dabei hat sie doch mitbekommen, dass er von seiner Freundin verlassen wurde. Doch manche Ehepaare sind so mit ihren eigenen Problemen beschäftigt und verlieren die Kinder aus den Augen. Traurig.
Absolut. Die Ehe hatte sowieso schon einen Schlag weg und jetzt ist der Neuanfang missglückt. Man steht wieder vor der Tatsache, dass man die Differenzen nicht mehr überbrücken kann.
Die Mutter wusste, wie sehr der Sohn in Holt leidet und lässt ihn trotzdem zurück. Das ist egoistisch.
 

Bibliomarie

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Entlarvend die Sitzung des Kirchengemeinderates. Es wurde nicht einmal versucht, die Haltung des Pfarrers zu verstehen. Die beiden Damen stehen auf verlorenen Posten, ich fürchte sie haben die Männerriege nicht einmal zum Nachdenken gebracht. Hier steht Nationalismus deutlich über dem Glauben.

Das Sterben des Dad Lewis ist sehr empathisch erzählt. Es berührt mich tief. Er begegnet im Dämmerzustand den Menschen seiner Vergangenheit. Vor allem seinem Sohn und das schmerzt ihn. Er kann seine Fehler nicht mehr ungeschehen machen. Wenigstens kann er Lorraine all das sagen, was er ihr als Kind nicht sagen konnte. Ja, die sprachlosen Väter – zumindest meine Generation kennt sie gut.
 

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Unglaublich, welche Reaktion ihr Direktor zeigt, sollte sie sich einen weiteren Fehltritt leisten, werde sie entlassen. Auch der Schulleiter hätte fast seinen Job verloren, für die Beziehung bedeutet dies das Ende.

Das ist wirklich unglaublich und wirkt total aus der Zeit gefallen. 40 Jahre früher ich hätte ich die Reaktion normal gefunden.
 

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Seine Frau macht hier nicht mehr mit. „ Prinzipien kann man nicht essen.“ Die Lebensgrundlage fehlt, wobei natürlich beide nach Alternativen hätten suchen können.
Und der Junge steht eh allein da.

Wenn sie noch ihren Mann lieben würde, fänden sie Alternativen, aber sie hat sich doch schon längst von ihm gelöst. Sie hat oder hatte einen Liebhaber und hält nur den äußeren Schein aufrecht.
 

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Es wirkt wie die Tarnbemalung von Soldaten, die sich vor einem Einsatz das Gesicht schwärzen. Könnte es sein, dass John damit ein Statement gegen die Haltung seines Vaters zeigt oder ist das zu weit hergeholt?
Das ist eine interessante Interpretation. Für mich ist es auch der Versuch zusagen, ihr seht mich nicht, schwärzen im Sinne von unkenntlich machen.

Die Mutter hat, indem sie John zurücklässt, auch jegliche Sympathie für mich verloren.