Rezension Rezension (5/5*) zu Wolfsegg: Roman von Peter Keglevic.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Buchinformationen und Rezensionen zu Wolfsegg: Roman von Keglevic, Peter
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Von Wolfsegg aus gesehen ist die Welt ein Abgrund.


Eisenstein irgendwo in einem Alpental. Dort lebt Agnes Walder mit den Eltern und ihren jüngeren Geschwistern. Der Vater hat den Job als Förster verloren. Gestohlen soll er haben, wird behauptet. Die Mutter hat Krebs und nicht mehr lange zu leben. Nach dem Schulabschluss will Agnes gerne etwas „mit Motoren“ lernen. Aber sie landet als Lehrling im örtlichen Lagerhaus und ist dort dem brutalen, besitzergreifenden Vorgesetzten ausgeliefert. Als dieser versucht Agnes zu vergewaltigen, lässt sie sich das nicht gefallen. Es beginnt eine Hetzjagd auf die Familie, bei der Vater umkommt. Als dann auch die Mutter ihrer Krankheit erliegt, flieht Agnes mit den Geschwistern in die Berge zu einer abgelegenen Hütte – Wolfsegg - die man auf keiner Karte findet.

Peter Keglevic‘ Roman Wolfsegg ist ein zeitloser Roman voller Wucht über Gewalt, Missbrauch und Rache. Die Orte sind fiktiv. Wenn man die Anspielungen versteht, kann man das Geschehen jedoch genau verorten.

„Eisenstein suchte den Schatten an den Ausläufern des Waldes, der zu beiden Seiten bis zur Baumgrenze hochstieg, dann war der Berg nur mehr Stein. Die Häuser des Städtchens lehnten aneinander wie Eidechsen mit ihren glänzenden Schieferschuppen auf den Dächern.“

Es ist ein dunkles Durchbruchstal mit schroffen Kalkgipfeln. So schroff wie die Berge sind dort die Menschen und gleich einem Schatten hängt eine unheilvolle Bedrohung über der Geschichte. Es herrscht ein patriarchalisches und sexistisches System in dieser ländlichen Gemeinschaft, bei der Männer das Sagen und Frauen das Nachsehen haben. Ein enges Tal erzeugt engstirnige Menschen. Zwischen Stammtisch und Kirche haben Außenseiter wie die Walders keinen Platz. Mädchen passen allemal nur als Pin-Up in eine Werkstatt. Während Agnes immer mehr dem Dunstkreis der zotigen Aussprüche und der begehrlichen Ansprüche ihres Lehrherren ausgesetzt ist, umso mehr drängen sich ihr auch Erinnerungen an ihre Zeit in einem Kinderheim auf, wo sie einige Zeit untergebracht war.

Der Vater, der die Zeichen der aufkommenden Gewaltbereitschaft richtig deutet, beginnt Agnes aufs Überleben vorzubereiten, bringt ihr bei zu jagen, schießen, töten und das Wild aufzubrechen. Er wappnet sie gegen das Böse, das jeden Tag näher auf die Familie eindringt.

„Das Herz müsst‘ man ihm rausreißen, hatte er einmal gesagt, weil da drinnen das Böse wohnt. Und dann müsst‘ man’s einfrieren, damit es bei der Auferstehung nicht mehr in seine Brust passt!“

Agnes‘ Träume von einer glücklichen Familie und einem guten Ausbildungsplatz werden brutal zerstört. Schock, Trauer und die Bürde der Verantwortung für ihre Geschwister katapultieren Agnes in eine Art Parallelwelt, aus der es kein Zurück mehr gibt.

Von Wolfsegg aus gesehen ist die Welt ein Abgrund. Die Abgründe menschlicher Bösartigkeit lotet Peter Keglevic mit Präzision aus. Schwer wie ein bleiernes Lot wiegen die begangenen Verbrechen, das Versagen staatlicher Schutzinstitutionen, das Ende mit Schrecken.



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