Rezension Rezension (2/5*) zu Unter der Erde: Thriller von Stephan Ludwig.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Mal was ganz Anderes als die “Zorn”-Reihe

Das Dorf Volkow, am Rand eines riesigen Tagebaugebiets gelegen, soll in wenigen Monaten komplett abgerissen werden. Dennoch weigern sich die Einwohner stur, ihre Heimat früher zu verlassen, als absolut notwendig. Ungerührt beobachten sie das Näherrücken der Bagger und beharren auf ihrem unerschütterlichen Zusammenhalt als Dorfgemeinschaft – bis zum allerletzten Tag.

In diese Situation platzt Elias Haack, seines Zeichens erfolgreicher Autor wenig anspruchsvoller Schauergeschichten, weil sein Großvater Wilhelm ihn nach drei Jahrzehnten des Schweigens zu seiner Geburtstagsfeier einlud. Zwar grollt Elias dem Mann, der ihn im Stich ließ, als er als Kind zur Vollwaise wurde, aber die Neugierde und die Hoffnung auf eine gute Geschichte (er leidet unter hartnäckiger Schreibblockade) treiben ihn dazu, die Einladung anzunehmen.

Doch dann läuft alles aus dem Ruder, und Elias wird klar: Antworten wird er hier nicht mehr finden. Oder zumindest keine, die er hören will.

Die Ausgangssituation erschien mir zunächst wie aus einem klassischen Krimi à la Christie gegriffen:

In einer nach außen abgeschotteten Räumlichkeit (Protagonist Elias kann das Dorf scheinbar nicht mehr verlassen) ereignet sich ein rätselhafter Todesfall, und absolut jeder der Anwesenden macht sich damit verdächtig, dass er bemüht unverdächtig erscheint. Da fehlen nur noch Hercule Poirot oder Miss Marple, und fast rechnete ich damit, die Sache würde sich als Gemeinschaftsmord der Familie entpuppen.

Es dauerte aber nicht lange, bis jeder Gedanke an Agatha Christie verpuffte und ich mich stattdessen mehr und mehr in eine Geistergeschichte oder gar die Zombieapokalypse versetzt fühlte – die Erde tut sich auf, der weinende Pfarrer beschwört die Wiederkehr der Toten und so weiter. Im Hinterkopf setzte leise die Titelmelodie von “The Walking Dead” ein.

“Du brichst das jetzt nicht ab, du brichst das jetzt nicht ab…”

Ähnlich fassungslos wie der verpeilte Antiheld der Geschichte verfolgte ich die Eskalation der Ereignisse, klammerte mich jedoch hartnäckig an die Hoffnung, der Autor werde sicher noch mit einer logischen Erklärung um die Ecke kommen.

Wie sich alles auflöst, werde ich hier natürlich nicht verraten. So oder so muss ich Ludwig zugute halten, dass er es gnadenlos durchexerziert, seinen Protagonisten in genau die Art von Misere zu bringen, über die der in seinen Romanen schreibt. Das ist anfangs schon amüsant! Und definitiv komplex und einfallsreich – indes sehr, seeeehr überzogen. Ich war bereit, der Geschichte erstmal bis zum bitteren Ende zu folgen, und tatsächlich gibt es jede Menge Erklärungen, die alles immer wieder in einem neuen Licht erscheinen lassen.

Letztendlich erschien mir jedoch bei weitem nicht alles in sich schlüssig und konsequent, das tat der Spannung für mich deutlich Abbruch. Die litt auch darunter, dass viele Erkenntnisse dem Helden durch Geständnisse und Zufälle eher geschenkt werden, als dass er sie sich erarbeitet.

Ein Pluspunkt – der Humor ist vielleicht nicht “Zorn”, aber durch und durch Ludwig.
Elias Haack ist ein Charakter, der Claudius Zorn wunderbar die Hand reichen könnte, weil er so herrlich schlampig und chaotisch ist und seine Schwächen unverbrämt auf dem Revers trägt. Das versöhnte mich zunächst ein Stück weit mit dem Buch – was aber immer mehr ins Wanken geriet, je weiter das Buch sich auf das große Finale zubewegte.

Denn je mehr wir uns dem Ende nähern, desto hemmungsloser werden die Charaktere bis ins Absurde überzeichnet. Abgesehen von Elias sind die meisten irgendwann nicht mehr im Geringsten glaubhaft, weil sie kaum noch Eigenschaften besitzen, die man nachempfinden könnte.

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass hier ganz bewusst das Genre der Trash-Romane persifliert wird. Das ist auch eine vielversprechende Idee und im Ansatz witzig gemacht, indem Elias immer wieder damit konfrontiert wird, dass seine Bücher quasi wahr werden – das kann das Buch aber in meinen Augen nicht bis zum Schluss tragen.

Die Klischees lassen grüßen, und es ist einfach alles zu viel, zu bunt, zu übersteigert. Auch der Schreibstil erschien mir etwas flacher und weniger gewitzt, als ich es aus den Büchern des Autors gewohnt bin.

Fazit:

Klassischer Krimi, Zombie-Apokalypse, Mafia-Thriller? Die Frage, womit man es hier zu tun hat, konnte mich nur bedingt bei der Stange halten.

Dieses Buch hat inhaltlich und stilistisch wenig mit der beliebten “Zorn”-Reihe des Autors gemein – lediglich die Verpeiltheit des Antihelden und der spezielle Humor erinnern gelegentlich daran. Das schreckte mich zunächst nicht ab, sondern ließ mich sogar eher neugierig aufhorchen, aber im Laufe der Handlung hatte ich immer mehr das ungute Gefühl, im falschen Film zu sein… Charaktere und Handlung werden weiter und weiter hochgeputscht, bis für meinen Geschmack alles zu viel, zu laut, zu absurd wird.

Das ist meines Erachtens kein Thriller, sondern eine seltsame Mischung verschiedener Genres, die in den besten Passagen auf SchleFaZ-Art trashig unterhaltsam ist, in den schlechtesten viel zu bemüht konstruiert.