Rezension Rezension (3/5*) zu Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran. Erzählung von Eric-Emmanuel Schmitt.

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28. Oktober 2019
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Buchinformationen und Rezensionen zu Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran. Erzählung von Eric-Emmanuel Schmitt
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Ein modernes Märchen - lesenswert, aber kritisch zu lesen...

„Die Langsamkeit, sie ist das Geheimnis des Glücks.“ (S. 83) - ein schöner Gedanke in unserem schnelllebigen Alltag.

Der elfjährige Moses lebt zusammen mit seinem Vater, einem verbitterten, kühlen, strengen und lieblosen Rechtsanwalt, in Paris. Moses geht zur Schule und führt den Haushalt.
Die Freundschaft mit dem Ladenbesitzer Monsieur Ibrahim und der Kontakt zu den Prostituierten aus der Rue de Paradis bringen Wärme und Licht in seinen tristen Alltag.

Mehr möchte ich über den Inhalt nicht verraten, weil das schmale Bändchen nur ca. 100 Seiten lang ist und der Lesegenuss nicht gemindert werden soll.

In diesem modernen Märchen werden einerseits zarte, zärtliche, leise Töne und andererseits herzzerreißende, empörende, erschütternde Akkorde angeschlagen.

Eine katastrophale Vater-Sohn-Beziehung wird geschildert, von schwierigen, zutiefst bedauernswerten und tiefes Mitgefühl erregenden Lebensbedingungen wird erzählt, aber es geht auch darum, wie dies alles bewältigt werden kann, wobei Wärme, Nähe, Freundlichkeit, Güte, Freundschaft und Liebe zentral bedeutend sind.

Es ist eine bewegende und rührende Geschichte. Der Autor spielt auf der Klaviatur der Gefühle und fordert den Leser emotional: Mitgefühl, Rührung, Empörung, Traurigkeit, Amüsement und Freude.

Wenn man bereit ist, sich in eine märchenhafte Welt hinein treiben zu lassen und sich darauf einlässt, ein modernes Märchen zu lesen und die allzu kritischer Brille des realen Alltags abzusetzen, kann man diese Geschichte, in der es so manche Wahrheit und Weisheit zu entdecken gibt, genießen.

Und das ist nun die Stelle, an der ich Kritik äußern möchte. Manchmal waren mir die Weisheiten und Ratschläge zu flach.
Als dann Monsieur Ibrahim Moses den Rat gab, nicht wütend auf seinen Vater zu sein, da dieser es doch selbst so schwer im Leben hatte, sträubten sich mir sämtliche Nackenhaare. Ja, es ist sinnvoll, hilfreich und wichtig, nachvollziehen zu können, warum Eltern oder Elternteile gravierende Fehler gemacht haben. Aber diese Erklärung kann oder muss keine Entschuldigung sein und darf und kann nicht die Gefühle unterbinden, die dringend notwendig sind, um all das Erlebte zu verdauen. Dieser Rat ist nicht nur psychologisch unsinnig sondern auch gefährlich, weil es dem Notleidenden die Möglichkeit nimmt, durch das emotionale Verarbeiten das Schwere zu überwinden und ein zufriedenes, unbeschwertes Leben zu führen.

Unterm Strich ist die Geschichte durchaus lesenswert, es ist aber wichtig, dass v. a. die gerade erwähnte Stelle kritisch gelesen wird, um falschen und schädlichen Überzeugungen vorzubeugen. M. E. ein unterhaltsames Büchlein für zwischendurch.