"Mary Postgate" von Rudyard Kipling (S. 128 - 146)

Literaturhexle

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Mary Postgate ist eine sehr kontrollierte Frau. Sie wird als Gesellschafterin von Miss Fowler engagiert und beweist sich als Glücksgriff für den Haushalt. Das gilt auch und gerade, als der 11-jährige Neffe Wynn verwaist ins Haus aufgenommen wird.

Wynn wird als junger Man übermütig und zeigt den Frauen neckend bis ernst, was er von ihrem Verstand hält. (Hier sehe ich die herrschende Ansicht der Gesellschaft gespiegelt).

Wynn meldet sich für den Krieg, der sich für ihn zunächst als großer Spaß darstellt, darf er doch zur fliegenden Einheit. Die Frauen sind zu Hause, freuen sich über seine Besuche und stricken warme Kleidung. Mrs Fowler sieht die Gefahren des Krieges und behält am Ende Recht: Wynn kommt bei einem Flugunfall ums Leben - bevor er an die Front musste und selbst einen Menschen töten konnte. Etwas, dass Mary und Miss Fowler sehr bedauern (!).

Beide Frauen können nicht weinen. Es ist offensichtlich, dass Miss Postgate einen Ring um ihre Gefühle geschlossen hat. Sie hat schon viele Menschen sterben sehen.

Zuletzt erst beim Einkauf im Dorf musste sie miterleben, wie ein Kind von einer Fliegerbombe tödlich verletzt wurde. Ein Vorgang, der vertuscht werden soll, um keine Unruhe heraufzubeschwören.

Es wird beschlossen, Wynns sämtliche Habseligkeiten im Garten zu verbrennen. Das scheint eine Art Trauerbewältigung zu sein. Mary macht diese Arbeit allein und so gründlich wie alles.
Dort im Garten taucht dann ein schwer verwundeter Deutscher auf. Es handelt sich möglicherweise um einen der Piloten, der für den Tod des Kindes im Dorf verantwortlich ist. Mary überhört sein Jammern und arbeitet weiter, bis er tot ist. Sie bezeichnet ihn als "Ding".
Der Tod dieses Soldaten ist eine Wiedergutmachung für den Tod des Kindes und Wynns.

Sobald die Arbeit getan und er tot ist, kehrt sie ziemlich aufgeräumt ins Haus zurück, kann sich sogar mal zufrieden aufs Sofa legen.....
 
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kingofmusic

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Wynn wird als junger Man übermütig und zeigt den Frauen neckend bis ernst, was er von ihrem Verstand hält. (Hier sehe ich die herrschende Ansicht der Gesellschaft gespiegelt).
*zustimm* ;)
Beide Frauen können nicht weinen. Es ist offensichtlich, dass Miss Postgate einen Ring um ihre Gefühle geschlossen hat. Sie hat schon viele Menschen sterben sehen.
Schrecklich, wenn man nicht weinen kann, oder? Bzw. generell keine "Gefühle" zeigen kann...
Es wird beschlossen, Wynns sämtliche Habseligkeiten im Garten zu verbrennen. Das scheint eine Art Trauerbewältigung zu sein. Mary macht diese Arbeit allein und so gründlich wie alles.
Die schönen Bücher :eek::D Aber hier zeigt sich, dass man von "Mülltrennung" (sind die Erinnerungsstücke einer nahestehenden Person Müll? Nein...) damals noch nichts wusste; es wird ja alles zusammen verbrannt...
Dort im Garten taucht dann ein schwer verwundeter Deutscher auf. Es handelt sich möglicherweise um einen der Piloten, der für den Tod des Kindes im Dorf verantwortlich ist. Mary überhört sein Jammern und arbeitet weiter, bis er tot ist. Sie bezeichnet ihn als "Ding".
Der Tod dieses Soldaten ist eine Wiedergutmachung für den Tod des Kindes und Wynns.
Hier wird Kiplings Hass auf die Deutschen deutlich.
 

Literaturhexle

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Hier wird Kiplings Hass auf die Deutschen deutlich.
Deutschland war ja nun einmal der Aggressor und nirgends beliebt. Es wird aber auch deutlich, dass Menschenleben nicht allzu viel zählen. Mary hat sich an den Tod ein Stückweit gewöhnt. Auch der alten Miss Fowler waren die Risiken des Krieges bewusst. Dass wird bei einigen ihrer Äußerungen deutlich.
Insofern gehört auch der verletzte Deutsche zum Krieg dazu. Und sein schmerzhafter Tod bringt eine Art Genugtuung. Wobei sich Mary auch an das tote Kind erinnern muss.
 

Literaturhexle

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Daran hat sich bis heute leider wenig geändert...Erschreckend. :(
Zumindest in Kriegszeiten gilt das.
In unserer friedlichen, entwickelten Gesellschaft ist das Leben des Einzelnen ein hohes Gut, das nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. Das beweist ja auch das massive Corona-Eingreifen. Man wusste sehr wohl, dass es unglaublich teuer werden würde. Dennoch wollte man (zurecht) Leben schützen und nahm die Kosten in Kauf.
 
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RuLeka

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Diese Geschichte hat mich richtig erschüttert. Es war doch offensichtlich, dass Mary diesen jungen Mann in ihr Herz geschlossen hatte. Er war ja wie ein Kind für sie. Dann dieser sinnlose Tod, in ihren Augen noch mehr, da er ja nicht im Kriegseinsatz ums Leben kam. Aber kein Jammern, keine Tränen. Natürlich ist der Tod in Kriegszeiten allgegenwärtiger, trotzdem trauert man, wenn nahe Menschen sterben. Ist das Selbstdisziplin, wenn man hier keine Gefühle zeigt? Das Verbrennen habe ich auch als Trauerbewältigung gesehen und die unterlassene Hilfeleistung als Vergeltung. Schrecklich war auch der Tod des Mädchens.
Was will uns Kipling mit dieser Erzählung sagen? Wo steht er ?
 

Literaturhexle

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Ist das Selbstdisziplin, wenn man hier keine Gefühle zeigt?
Wirklich bitter. Mary definiert selbst, wer trauern darf. Eine Mutter darf trauern. Ihr selbst, als Angestellte der Tante, steht es im Grunde gar nicht zu - obwohl sie ja Mutterstelle bei dem Jungen (seitdem er im Haus lebte) vertreten und sich um ihn gesorgt hat.
Was will uns Kipling mit dieser Erzählung sagen? Wo steht er
Interessant die Kurzbiografie hinten im Buch: als Kipling die Erzählung schrieb, war er ein Patriot und Befürworter des Krieges. Ihm wurde der Sadismus in der Geschichte sogar angekreidet.
Seine Meinung änderte sich, als er selbst einen Sohn verlor. Interessant!
 
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RuLeka

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Interessant die Kurzbiografie hinten im Buch: als Kipling die Erzählung schrieb, war er ein Patriot und Befürworter des Krieges. Ihm wurde der Sadismus in der Geschichte sogar angekreidet.
Seine Meinung änderte sich, als er selbst einen Sohn verlor
Das habe ich auch gelesen, aber ich konnte kaum glauben, dass er die Geschichte wirklich so meinte, wie er sie niederschrieb.