Rezension Rezension (5/5*) zu Wege, die sich kreuzen: Roman von Tommi Kinnunen.

RuLeka

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Buchinformationen und Rezensionen zu Wege, die sich kreuzen: Roman von Tommi Kinnunen
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Familienalbum

Tommi Kinnunen, 1973 im nordfinnischen Kuusamo geboren, arbeitet als Englischlehrer. „Wege, die sich kreuzen“ ist sein Debut. Der Roman war in seiner Heimat sowohl bei den Kritikern als auch bei den Lesern ein großer Erfolg, stand wochenlang auf der finnischen Bestsellerliste, war „ Buch des Jahres 2014“ und erhielt zahlreiche Auszeichnungen.
Er erzählt die Geschichte einer Familie über drei Generationen und über 100 Jahre hinweg.
Es beginnt 1996, am Sterbebett der alten Lahja, die angesichts des Todes ihren verstorbenen Ehemann um Verzeihung bittet. Um ihre Schuld zu erklären, muss der Autor weit zurückgehen, ins Jahr 1895, zurück zu Lahjas Mutter Maria. ( Es empfiehlt sich am Ende des Buches nochmals das Eingangskapitel zu lesen.)
Maria, eine selbstbewusste, junge Frau war damals eine der ersten Hebammen hier oben im Norden Finnlands. Mit ihrem eigenen Fahrrad - eine Sensation zu dieser Zeit - war sie unterwegs, um auf den entlegenen Höfen den Frauen bei allzu schwierigen Geburten beizustehen. Ihre Tochter Lahja zieht sie allein, ohne Ehemann, groß.
Auch diese erlernt einen eigenen Beruf. Sie wird Fotografin und eröffnet das erste Fotoatelier am Ort. Auch sie bekommt ein uneheliches Kind. Doch Lahja ist nicht so unabhängig wie ihre Mutter; sie will einen Mann zu ihrem Glück. Da trifft sie auf Onni, einen ruhigen, freundlichen Menschen . Der entwickelt gleich eine tiefe Zuneigung zu ihrer Tochter. Er wird Maria und den beiden gemeinsamen Kindern Johannes und Helena ein guter Vater sein, aber seiner Frau kann er nicht das geben, was sie braucht. Am Ende steht Lahja allein mit ihren Kindern da, verbittert und hart geworden.
Nach ihrem Tod findet die Schwiegertochter Kaarina auf dem Dachboden einen Brief, der das ganze Drama der Familie enthüllt.
Auch das Weltgeschehen hat Auswirkungen auf das Leben der Figuren. Die Nazis zerstören das Dorf, ihr Haus wird niedergebrannt, die Familie muss fliehen und überlebt in Erdhütten. Onni kehrt von der Front als gefeierter Held zurück, ist aber nicht mehr derselbe, der er vorher war. Er hilft als Zimmermann beim Aufbau des Dorfes.
Langsam kommt ein bisschen Wohlstand in die karge, ärmliche Gegend. ( Der erste Kühlschrank wird geliefert.) Doch die soziale Kontrolle zeigt sich an vielen Beispielen.
Tommi Kinnunen hat kraftvolle, vielschichtige Figuren geschaffen, die nicht alle unbedingt sympathisch wirken, dafür jedoch lange im Gedächtnis bleiben.
Das Bemerkenswerte am Roman ist aber auch seine Erzählkonstruktion. Es gibt vier Erzählstränge, die nacheinander jeweils die Perspektive der vier Hauptfiguren einnehmen. Die kurzen Kapitel sind mit Jahreszahlen überschrieben. Dabei richtet der Autor seinen Blick auf einzelne Episoden, die Momentaufnahmen des Alltags beschreiben. Die Leerstellen dazwischen muss der Leser selbst füllen, bzw. einzelne Geschehnisse werden wiederum von anderen Figuren weitererzählt. So entsteht am Ende ein Gesamtbild mit ein paar blinden Flecken.
„ Wege, die sich kreuzen“ erzählt von Familiengeheimnissen und dem Schweigen darüber, von Schuld und Enttäuschung. Ein lesenswerter Familienroman aus Finnland.

 

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Tommi Kinnunen, 1973 im nordfinnischen Kuusamo geboren, arbeitet als Englischlehrer. „Wege, die sich kreuzen“ ist sein Debut. Der Roman war in seiner Heimat sowohl bei den Kritikern als auch bei den Lesern ein großer Erfolg, stand wochenlang auf der finnischen Bestsellerliste, war „ Buch des Jahres 2014“ und erhielt zahlreiche Auszeichnungen.
Er erzählt die Geschichte einer Familie über drei Generationen und über 100 Jahre hinweg.
Es beginnt 1996, am Sterbebett der alten Lahja, die angesichts des Todes ihren verstorbenen Ehemann um Verzeihung bittet. Um ihre Schuld zu erklären, muss der Autor weit zurückgehen, ins Jahr 1895, zurück zu Lahjas Mutter Maria. ( Es empfiehlt sich am Ende des Buches nochmals das Eingangskapitel zu lesen.)
Maria, eine selbstbewusste, junge Frau war damals eine der ersten Hebammen hier oben im Norden Finnlands. Mit ihrem eigenen Fahrrad - eine Sensation zu dieser Zeit - war sie unterwegs, um auf den entlegenen Höfen den Frauen bei allzu schwierigen Geburten beizustehen. Ihre Tochter Lahja zieht sie allein, ohne Ehemann, groß.
Auch diese erlernt einen eigenen Beruf. Sie wird Fotografin und eröffnet das erste Fotoatelier am Ort. Auch sie bekommt ein uneheliches Kind. Doch Lahja ist nicht so unabhängig wie ihre Mutter; sie will einen Mann zu ihrem Glück. Da trifft sie auf Onni, einen ruhigen, freundlichen Menschen . Der entwickelt gleich eine tiefe Zuneigung zu ihrer Tochter. Er wird Maria und den beiden gemeinsamen Kindern Johannes und Helena ein guter Vater sein, aber seiner Frau kann er nicht das geben, was sie braucht. Am Ende steht Lahja allein mit ihren Kindern da, verbittert und hart geworden.
Nach ihrem Tod findet die Schwiegertochter Kaarina auf dem Dachboden einen Brief, der das ganze Drama der Familie enthüllt.
Auch das Weltgeschehen hat Auswirkungen auf das Leben der Figuren. Die Nazis zerstören das Dorf, ihr Haus wird niedergebrannt, die Familie muss fliehen und überlebt in Erdhütten. Onni kehrt von der Front als gefeierter Held zurück, ist aber nicht mehr derselbe, der er vorher war. Er hilft als Zimmermann beim Aufbau des Dorfes.
Langsam kommt ein bisschen Wohlstand in die karge, ärmliche Gegend. ( Der erste Kühlschrank wird geliefert.) Doch die soziale Kontrolle zeigt sich an vielen Beispielen.
Tommi Kinnunen hat kraftvolle, vielschichtige Figuren geschaffen, die nicht alle unbedingt sympathisch wirken, dafür jedoch lange im Gedächtnis bleiben.
Das Bemerkenswerte am Roman ist aber auch seine Erzählkonstruktion. Es gibt vier Erzählstränge, die nacheinander jeweils die Perspektive der vier Hauptfiguren einnehmen. Die kurzen Kapitel sind mit Jahreszahlen überschrieben. Dabei richtet der Autor seinen Blick auf einzelne Episoden, die Momentaufnahmen des Alltags beschreiben. Die Leerstellen dazwischen muss der Leser selbst füllen, bzw. einzelne Geschehnisse werden wiederum von anderen Figuren weitererzählt. So entsteht am Ende ein Gesamtbild mit ein paar blinden Flecken.
„ Wege, die sich kreuzen“ erzählt von Familiengeheimnissen und dem Schweigen darüber, von Schuld und Enttäuschung. Ein lesenswerter Familienroman aus Finnland.


Mal wieder eine äußerst Lust-aufs-Lesen machende Rezension!!!