Rezension Rezension (4/5*) zu Vom Land: Roman von Barta, Dominik.

Literaturhexle

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2. April 2017
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Scheinbare Idylle auf dem Land

Der Roman ist in einem kleinen oberösterreichischen Dorf namens Pielitz angesiedelt. Land- und Forstwirtschaft hatten in vergangenen Jahrzehnten große Bedeutung für den Wohlstand des Ortes. Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels haben sich in Pielitz die Strukturen verschoben.

Theresa und Erwin Weichselbaum führen ihren Hof noch nach alten Maßstäben. Sie bauen Getreide und Gemüse an, halten Schweine und Ziegen. Sie sind beide um die 60 Jahre, gehören zu der Generation, die immer nur gearbeitet hat. Sie haben drei erwachsene Kinder, von denen keines Interesse hat, in die Fußstapfen der Eltern zu treten – eine Tatsache, die insbesondere Erwin schmerzt:
„Wenn er abends einsam den Feldweg hinaus fuhr (…), dann konnte er es nicht fassen, warum seine Söhne ihn verlassen hatten. Warum waren sie fortgegangen? Warum verachteten sie den Bauernstand? Was war falsch an der Lebensweise, die doch Generationen von Menschen seit Jahrhunderten zufrieden oder sogar glücklich gemacht hatte?“ (S. 33)

Plötzlich wird Theresa sehr krank. Sie hat keinen Appetit mehr, kann keine Nahrung bei sich behalten und liegt tagelang völlig kraftlos auf dem Sofa. Krankheit ist im Tagesablauf des Hofes nicht vorgesehen, Theresa hat noch nie ihre Pflichten vernachlässigt. Erschreckend distanziert gehen die herbeigerufenen Kinder mit der Situation um. Schnell wird klar, dass es offene und versteckte Konflikte in dieser Familie gibt.
„Selbst die Krankheit unserer Mutter hatte keinen vereinigenden Effekt, sondern trieb die Bruchlinien nur stärker zutage.“ (S. 50)

Nach und nach blättert sich die Familienchronik vor dem Leser auf. Sehr interessant eingebaut sind die Perspektivwechsel. Neben dem auktorialen Erzähler kommen auch andere Familienmitglieder zu Wort. Von den Kindern hat es Max materiell am weitesten gebracht, er hat jedoch sehr fragwürdige, radikale Ansichten, scheut keinen Konflikt. Rosalie ist mit Fridolin verheiratet, sie haben einen 12-jährigen Sohn, Daniel. Die kleine Familie ist aber nicht glücklich, denn der Gatte ist ein notorischer Schürzenjäger, was für Aufsehen im Dorf sorgt und weitere Folgen nach sich zieht. Der dritte Spross ist Lehrer geworden, er fühlt sich völlig unverstanden und geht gerne seiner eigenen Wege.

Daniel spürt natürlich die Veränderungen, die vor sich gehen. Er ist der Sonnenschein der Großeltern. Er besucht sie regelmäßig, hilft am Hof fleißig mit und liebt den angrenzenden Wald, in dem er eines Tages den Flüchtlingsjungen Toti kennenlernt und sich mit ihm anfreundet. Pfarrer Heinrich hat nämlich zahlreiche syrische Flüchtlinge im Nachbarort untergebracht, die insbesondere Max und seiner „Bewegung“ ein Dorn im Auge sind.

Im Zuge des Romans spitzen sich die verschiedenen Konfliktfelder zu, die Spannung steigt. Nicht nur Bauer Erwin hat Schwierigkeiten mit der Zeitenwende, auch andere Bürger des Ortes fühlen sich als Verlierer der Globalisierung. Der Autor wechselt von der familiären Ebene hin zu gesamtgesellschaftlichen Problemen im Dorf. Das halte ich nicht für durchgängig gelungen. Angesichts der Themenvielfalt lauert die Gefahr zu viel zu wollen und sich zu verzetteln. Der Autor hat es zwar geschafft, die unterschiedlichen Handlungsstränge zum Ende hin weitgehend überzeugend aufzulösen, dennoch wäre hier und da aus meiner Sicht weniger mehr gewesen.
Neben der Familie geht es um Ausgrenzung und Mobbing, um Ehebruch und Gewalt in der Ehe, um Vorbestimmung, um den Kampf nach Freiheit und Selbstverwirklichung, um Religion/andere Kulturen sowie (In-)Toleranz und Vorurteile ihnen gegenüber. Es geht auch um Freundschaft, Liebe, Loyalität und ihre Grenzen, um Recht und Unrecht.

Die Figuren sind ebenso vielgestaltig wie die behandelten Themen. Vielleicht ist die ein oder andere etwas zu extrem, zu polarisierend geraten. Dadurch werden die geschilderten Eskalationen aber glaubwürdig. Die Pielitzer Männer sind sehr gewaltbereit. Die scheinbar ländliche Idylle wird entzaubert und es wird aufgezeigt, wie sehr es unter der Oberfläche brodelt.

Ich halte „Vom Land“ für ein sprachlich attraktives, spannendes Debüt, das behutsam beginnt und immer mehr Fahrt aufnimmt, so dass man durch die Seiten fliegt. Es wirft wichtige Fragen auf und schärft die Wahrnehmung. Die Figur Theresas gerät leider etwas aus dem Blick, von ihr hätte ich gern mehr erfahren. Da war mir einiges zu einfach.

Ich habe das Buch gerne gelesen und möchte es sehr empfehlen. Hoffentlich wird dies nicht der letzte Roman aus der Feder Dominik Bartas sein.


 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Scheinbare Idylle auf dem Land


Der Roman ist in einem kleinen oberösterreichischen Dorf namens Pielitz angesiedelt. Land- und Forstwirtschaft hatten in vergangenen Jahrzehnten große Bedeutung für den Wohlstand des Ortes. Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels haben sich in Pielitz die Strukturen verschoben.

Theresa und Erwin Weichselbaum führen ihren Hof noch nach alten Maßstäben. Sie bauen Getreide und Gemüse an, halten Schweine und Ziegen. Sie sind beide um die 60 Jahre, gehören zu der Generation, die immer nur gearbeitet hat. Sie haben drei erwachsene Kinder, von denen keines Interesse hat, in die Fußstapfen der Eltern zu treten – eine Tatsache, die insbesondere Erwin schmerzt:
„Wenn er abends einsam den Feldweg hinaus fuhr (…), dann konnte er es nicht fassen, warum seine Söhne ihn verlassen hatten. Warum waren sie fortgegangen? Warum verachteten sie den Bauernstand? Was war falsch an der Lebensweise, die doch Generationen von Menschen seit Jahrhunderten zufrieden oder sogar glücklich gemacht hatte?“ (S. 33)

Plötzlich wird Theresa sehr krank. Sie hat keinen Appetit mehr, kann keine Nahrung bei sich behalten und liegt tagelang völlig kraftlos auf dem Sofa. Krankheit ist im Tagesablauf des Hofes nicht vorgesehen, Theresa hat noch nie ihre Pflichten vernachlässigt. Erschreckend distanziert gehen die herbeigerufenen Kinder mit der Situation um. Schnell wird klar, dass es offene und versteckte Konflikte in dieser Familie gibt.
„Selbst die Krankheit unserer Mutter hatte keinen vereinigenden Effekt, sondern trieb die Bruchlinien nur stärker zutage.“ (S. 50)

Nach und nach blättert sich die Familienchronik vor dem Leser auf. Sehr interessant eingebaut sind die Perspektivwechsel. Neben dem auktorialen Erzähler kommen auch andere Familienmitglieder zu Wort. Von den Kindern hat es Max materiell am weitesten gebracht, er hat jedoch sehr fragwürdige, radikale Ansichten, scheut keinen Konflikt. Rosalie ist mit Fridolin verheiratet, sie haben einen 12-jährigen Sohn, Daniel. Die kleine Familie ist aber nicht glücklich, denn der Gatte ist ein notorischer Schürzenjäger, was für Aufsehen im Dorf sorgt und weitere Folgen nach sich zieht. Der dritte Spross ist Lehrer geworden, er fühlt sich völlig unverstanden und geht gerne seiner eigenen Wege.

Daniel spürt natürlich die Veränderungen, die vor sich gehen. Er ist der Sonnenschein der Großeltern. Er besucht sie regelmäßig, hilft am Hof fleißig mit und liebt den angrenzenden Wald, in dem er eines Tages den Flüchtlingsjungen Toti kennenlernt und sich mit ihm anfreundet. Pfarrer Heinrich hat nämlich zahlreiche syrische Flüchtlinge im Nachbarort untergebracht, die insbesondere Max und seiner „Bewegung“ ein Dorn im Auge sind.

Im Zuge des Romans spitzen sich die verschiedenen Konfliktfelder zu, die Spannung steigt. Nicht nur Bauer Erwin hat Schwierigkeiten mit der Zeitenwende, auch andere Bürger des Ortes fühlen sich als Verlierer der Globalisierung. Der Autor wechselt von der familiären Ebene hin zu gesamtgesellschaftlichen Problemen im Dorf. Das halte ich nicht für durchgängig gelungen. Angesichts der Themenvielfalt lauert die Gefahr zu viel zu wollen und sich zu verzetteln. Der Autor hat es zwar geschafft, die unterschiedlichen Handlungsstränge zum Ende hin weitgehend überzeugend aufzulösen, dennoch wäre hier und da aus meiner Sicht weniger mehr gewesen.
Neben der Familie geht es um Ausgrenzung und Mobbing, um Ehebruch und Gewalt in der Ehe, um Vorbestimmung, um den Kampf nach Freiheit und Selbstverwirklichung, um Religion/andere Kulturen sowie (In-)Toleranz und Vorurteile ihnen gegenüber. Es geht auch um Freundschaft, Liebe, Loyalität und ihre Grenzen, um Recht und Unrecht.

Die Figuren sind ebenso vielgestaltig wie die behandelten Themen. Vielleicht ist die ein oder andere etwas zu extrem, zu polarisierend geraten. Dadurch werden die geschilderten Eskalationen aber glaubwürdig. Die Pielitzer Männer sind sehr gewaltbereit. Die scheinbar ländliche Idylle wird entzaubert und es wird aufgezeigt, wie sehr es unter der Oberfläche brodelt.

Ich halte „Vom Land“ für ein sprachlich attraktives, spannendes Debüt, das behutsam beginnt und immer mehr Fahrt aufnimmt, so dass man durch die Seiten fliegt. Es wirft wichtige Fragen auf und schärft die Wahrnehmung. Die Figur Theresas gerät leider etwas aus dem Blick, von ihr hätte ich gern mehr erfahren. Da war mir einiges zu einfach.

Ich habe das Buch gerne gelesen und möchte es sehr empfehlen. Hoffentlich wird dies nicht der letzte Roman aus der Feder Dominik Bartas sein.



Das ist auf jeden Fall ein Roman, den ich im Auge behalten werde. Die Thematik spricht mich an und für ein Debut scheint es gelungen zu sein.
 
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Bibliomarie

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10. September 2015
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Scheinbare Idylle auf dem Land


Der Roman ist in einem kleinen oberösterreichischen Dorf namens Pielitz angesiedelt. Land- und Forstwirtschaft hatten in vergangenen Jahrzehnten große Bedeutung für den Wohlstand des Ortes. Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels haben sich in Pielitz die Strukturen verschoben.

Theresa und Erwin Weichselbaum führen ihren Hof noch nach alten Maßstäben. Sie bauen Getreide und Gemüse an, halten Schweine und Ziegen. Sie sind beide um die 60 Jahre, gehören zu der Generation, die immer nur gearbeitet hat. Sie haben drei erwachsene Kinder, von denen keines Interesse hat, in die Fußstapfen der Eltern zu treten – eine Tatsache, die insbesondere Erwin schmerzt:
„Wenn er abends einsam den Feldweg hinaus fuhr (…), dann konnte er es nicht fassen, warum seine Söhne ihn verlassen hatten. Warum waren sie fortgegangen? Warum verachteten sie den Bauernstand? Was war falsch an der Lebensweise, die doch Generationen von Menschen seit Jahrhunderten zufrieden oder sogar glücklich gemacht hatte?“ (S. 33)

Plötzlich wird Theresa sehr krank. Sie hat keinen Appetit mehr, kann keine Nahrung bei sich behalten und liegt tagelang völlig kraftlos auf dem Sofa. Krankheit ist im Tagesablauf des Hofes nicht vorgesehen, Theresa hat noch nie ihre Pflichten vernachlässigt. Erschreckend distanziert gehen die herbeigerufenen Kinder mit der Situation um. Schnell wird klar, dass es offene und versteckte Konflikte in dieser Familie gibt.
„Selbst die Krankheit unserer Mutter hatte keinen vereinigenden Effekt, sondern trieb die Bruchlinien nur stärker zutage.“ (S. 50)

Nach und nach blättert sich die Familienchronik vor dem Leser auf. Sehr interessant eingebaut sind die Perspektivwechsel. Neben dem auktorialen Erzähler kommen auch andere Familienmitglieder zu Wort. Von den Kindern hat es Max materiell am weitesten gebracht, er hat jedoch sehr fragwürdige, radikale Ansichten, scheut keinen Konflikt. Rosalie ist mit Fridolin verheiratet, sie haben einen 12-jährigen Sohn, Daniel. Die kleine Familie ist aber nicht glücklich, denn der Gatte ist ein notorischer Schürzenjäger, was für Aufsehen im Dorf sorgt und weitere Folgen nach sich zieht. Der dritte Spross ist Lehrer geworden, er fühlt sich völlig unverstanden und geht gerne seiner eigenen Wege.

Daniel spürt natürlich die Veränderungen, die vor sich gehen. Er ist der Sonnenschein der Großeltern. Er besucht sie regelmäßig, hilft am Hof fleißig mit und liebt den angrenzenden Wald, in dem er eines Tages den Flüchtlingsjungen Toti kennenlernt und sich mit ihm anfreundet. Pfarrer Heinrich hat nämlich zahlreiche syrische Flüchtlinge im Nachbarort untergebracht, die insbesondere Max und seiner „Bewegung“ ein Dorn im Auge sind.

Im Zuge des Romans spitzen sich die verschiedenen Konfliktfelder zu, die Spannung steigt. Nicht nur Bauer Erwin hat Schwierigkeiten mit der Zeitenwende, auch andere Bürger des Ortes fühlen sich als Verlierer der Globalisierung. Der Autor wechselt von der familiären Ebene hin zu gesamtgesellschaftlichen Problemen im Dorf. Das halte ich nicht für durchgängig gelungen. Angesichts der Themenvielfalt lauert die Gefahr zu viel zu wollen und sich zu verzetteln. Der Autor hat es zwar geschafft, die unterschiedlichen Handlungsstränge zum Ende hin weitgehend überzeugend aufzulösen, dennoch wäre hier und da aus meiner Sicht weniger mehr gewesen.
Neben der Familie geht es um Ausgrenzung und Mobbing, um Ehebruch und Gewalt in der Ehe, um Vorbestimmung, um den Kampf nach Freiheit und Selbstverwirklichung, um Religion/andere Kulturen sowie (In-)Toleranz und Vorurteile ihnen gegenüber. Es geht auch um Freundschaft, Liebe, Loyalität und ihre Grenzen, um Recht und Unrecht.

Die Figuren sind ebenso vielgestaltig wie die behandelten Themen. Vielleicht ist die ein oder andere etwas zu extrem, zu polarisierend geraten. Dadurch werden die geschilderten Eskalationen aber glaubwürdig. Die Pielitzer Männer sind sehr gewaltbereit. Die scheinbar ländliche Idylle wird entzaubert und es wird aufgezeigt, wie sehr es unter der Oberfläche brodelt.

Ich halte „Vom Land“ für ein sprachlich attraktives, spannendes Debüt, das behutsam beginnt und immer mehr Fahrt aufnimmt, so dass man durch die Seiten fliegt. Es wirft wichtige Fragen auf und schärft die Wahrnehmung. Die Figur Theresas gerät leider etwas aus dem Blick, von ihr hätte ich gern mehr erfahren. Da war mir einiges zu einfach.

Ich habe das Buch gerne gelesen und möchte es sehr empfehlen. Hoffentlich wird dies nicht der letzte Roman aus der Feder Dominik Bartas sein.




Das habe ich mir mal notiert, klingt wirklich gut.