Rezension Rezension (4/5*) zu Giovannis Zimmer: Roman von James Baldwin.

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Lebenslügen und Flucht vor der eigenen Identität...


Im Paris der Fünfzigerjahre lernt David, amerikanischer Expat,in einer Bar den reizend überheblichen, löwenhaften Giovanni kennen. Die beiden beginnen eine Affäre – und Verlangen und auch Scham brechen in David los wie ein Sturm. Dann kehrt plötzlich seine Verlobte zurück. David bringt nicht den Mut auf, sich zu outen. Im Glauben, sich selbst retten zu können, stürzt er Giovanni in ein Unglück, das tödlich endet.

Für mich ungewohnt, habe ich mir mit dieser Rezension Zeit gelassen. Denn die Lektüre, der Schreibstil, die Bilder, die Düsternis - alles an dem Roman war für mich beeindruckend. Und das Gefühl, dem Roman mit einer Rezension kaum gerecht werden zu können, hat mich zögern lassen.

In diesem Roman geht es um einen jungen Mann, David, den es aus den USA nach Paris gezogen hat. Dort geht er mitnichten einer Tätigkeit nach, sondern lebt von seinem Ersparten bzw. von dem, was sein Vater gewillt ist, ihm zukommen zu lassen. David lässt sich durch die Tage treiben, vor allem aber durch die Nächte. Seine Verlobte reist für einige Wochen durch Spanien, ein Abstand, der beiden zeigen soll, wie sie zueinander stehen.

Ein Problem. Denn David weiß noch nicht einmal, wie er zu sich selbst steht. Er hütet ein Geheimnis, das er niemandem offenbaren mag, nicht einmal sich selbst. Er fühlt sich von Männern angezogen, hegt homoerotische Gedanken, versucht diese aber im selben Moment zu verdrängen, gar vor sich selbst zu leugnen. Denn es kann nicht sein, was nicht sein darf - David möchte den Traum aller Männer verwirklichen: ein Haus, eine attraktive und versorgende Ehefrau, Kinder...


"Doch leider können sich die Menschen ihren Ankerplatz, ihre Liebhaber und ihre Freunde ebenso wenig aussuchen wie ihre Eltern. Das Leben gibt sie und nimmt sie und die Schwierigkeit liegt darin, zum Leben Ja zu sagen." (S. 11)


In einer Bar stößt David schließlich auf Giovanni, und sofort flammt eine Leidenschaft auf, die ihn gleichzeitig mitreißt und entsetzt. Er folgt dem jungen Mann in sein Zimmer, bleibt, Stunden, Tage, Wochen. Bemerkt, wie Giovanni ihn zu seinem Stern erhebt, um den er fortwährend kreist. Weiß aber selbst nicht, was er denken, fühlen, tun soll, verhaftet im Leugnen. Und in Giovanni keimt eine leise Verzweiflung auf, denn David bleibt auf seine Weise unnahbar, verloren, noch bevor er sich hat finden lassen.

Paris in den 50er Jahren - dort war die Homosexualität zu der Zeit nicht mehr verpönt. Sehr wohl aber in den USA, wo gleichgeschlechtliche Liebe mit zahllosen Repressalien einherging. Es gab ein klares Bild von 'richtig' und 'falsch' - und vor diesem Hintergrund muss Baldwins Roman gelesen werden. Aus heutiger Sicht sorgt eine Einstellung wie die von David fast schon eher für Kopfschütteln - er kann niemanden lieben, weil er sich selbst nicht annimmt. Aber wenn man die Umstände der damaligen Zeit betrachtet, wächst ein Verständnis für Davids innere Zerrissenheit, für seine große Lebenslüge, die ihn selbst am meisten trifft, für seine Flucht vor seiner eigenen Identität.

David entscheidet sich letztlich für seine Verlobte, versucht sein Idealbild von sich selbst aufrechtzuerhalten - und verliert schließlich alles. Ein Lebensdrama, das andere Dramen nach sich zieht...

Baldwin schildert die Geschehnisse einzig aus den Gedanken und Erinnerungen Davids heraus, womit die Sicht begrenzt und sehr individuell erscheint. Er eröffnet den Roman mit einem Paukenschalg, der den Leser sofort neugierig werden lässt. David erscheint als ein sehr zerrissener und komplexer Charakter. Dabei spielt Baldwin geschickt mit Nähe und Distanz - in einzelnen Szenen schwang ich emotional durchaus mit David mit, und an anderen Stellen distanzierte ich mich wieder von ihm, einfach weil unsympathische oder nicht nachvollziehbare Züge Davids zutage traten.

Ein trister grauer Charme liegt über dem Geschehen, der Gedanke an einen 'film noir' kam immer wieder auf. Düstere Verzweiflung - alles steuert zwangsläufig auf einen Abgrund zu. Baldwin zieht den Leser geschickt mit in den Strudel, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint.

Mich konnte dieses Lebensdrama, dieser Roman, für den Baldwin Mühe hatte, einen Verlag zu finden, wirklich beeindrucken - bis hin zum Nachwort von Sasha Marianna Salzmann, die den Roman in einen gesellschaftlich-politischen Kontext der damaligen Zeit stellt und bei mir für einige Aha-Momente gesorgt hat.

Einzig das Frauenbild, das Baldwin in diesem Roman durch seine Figuren vermittelt, hat mir missfallen. Frauen fungieren hier als bloße Randfiguren - Opfer, Protituierte, alte Jungfern oder moderne Frauen, deren höchstes Ziel es ist, um jeden Preis zu heiraten und eine Familie zu gründen. Keine einzige weibliche Figur bricht hier aus diesem Rahmen aus, was mir - selbst vor dem Hintergrund einer anderen Zeitrechnung und der Annahme, dass dies womöglich nicht Baldwins persönliche Meinung war - unangenehm aufstieß.

So schmal wie dieser Roman auch sein mag, so brillant ist seine erzählerische Wucht. Mit Sicherheit nicht mein letztes Buch des Autors!


© Parden


 
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kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Wunderbare Rezension! Nach deinem Zitat habe ich Lust auf ein baldiges Reread :D. Aber da hat mein SuB was dagegen...
 
  • Haha
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