Rezension Rezension (4/5*) zu Die Ladenhüterin: Roman von Sayaka Murata.

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ungewöhnliche Protagonistin

Sayaka Murata, 1979 geboren, ist eine erfolgreiche japanische Schriftstellerin. Ihr Roman „ Die Ladenhüterin“ erhielt 2016 einen der renommiertesten Literaturpreise ihres Landes.
Die Ich- Erzählerin Keiko, eine Frau Mitte Dreißig, arbeitet schon seit vielen Jahren als Aushilfe in einem sog. Konbini, einem kleinen Supermarkt, der rund um die Uhr geöffnet hat. Keiko ist eine Außenseiterin. Schon als Kind fiel sie durch ihr sonderbares Verhalten auf. Sie scheint eine leichte Form von Autismus zu haben. Keiko hat Schwierigkeiten mit Gefühlen, verspürt selbst wenig Emotionen und kann die anderer nicht nachempfinden. Immer wieder werden ihre Eltern zur Schulleitung gebeten, weil die Tochter unangenehm auffiel. Keiko beschließt deshalb, sich in Zukunft still zu verhalten. Für die Eltern ist es nicht leicht mit einem solchen Kind. Trotzdem hält sich Keiko für geliebt.
Als Studentin findet sie einen Job als Ladenhilfe in einem Konbini. Hier herrschen strenge Verhaltensregeln; es gibt genormte Sätze, die man im Kontakt mit den Kunden benutzen muss. In Übungsvideos sieht Keiko, was von ihr erwartet wird und sie imitiert die Verhaltensweisen perfekt. Dieser Job ist geradezu ideal für die junge Frau, denn er gibt ihr Sicherheit im Umgang mit anderen.
Zitat: „Zum ersten Mal war es mir gelungen, am normalen Leben teilzunehmen. Als wäre ich gerade geboren worden. Mein erster Tag im Konbini war mein Geburtstag als normales Mitglied der Gesellschaft.“ ( S. 22 )
Was ursprünglich als Übergangslösung gedacht war, wird für Keiko zur Lebensaufgabe. Sie überlegt ständig, welche Verbesserungen sinnvoll wären, wie man bestimmte Produkte gezielter verkaufen kann usw. Sie identifiziert sich völlig mit ihrem Laden, kennt ihn auch besser als alle anderen Mitarbeiter, da sie am längsten hier arbeitet.
Allerdings stößt dieser Job bei ihrer Familie und ihren ehemaligen Studienkolleginnen auf Unverständnis. In ihrem Alter sollte man einer qualifizierteren Arbeit nachgehen. Und vor allem müsste eine Frau Mitte Dreißig längst verheiratet sein und Kinder haben. Ein Gedanke, der Keiko völlig fremd ist.
Da kommt ihr eine neue männliche Aushilfskraft gerade recht . Shiraha ist ein verlotterter, fauler Mann, der sich total dem Arbeitsleben verweigert. Eigentlich ist Keiko abgestoßen von ihm, aber vielleicht würde eine Heirat ihr die gesellschaftliche Anerkennung bringen. Doch dieser Typ kann nicht die Lösung sein.
Sayaka Murata beschreibt hier zwei völlige Außenseiter der japanischen Gesellschaft. Doch während der Leser für Keiko mit ihrer Andersartigkeit und ihrem Bemühen, ein für sich richtiges Leben zu führen, Sympathien entwickeln kann, stößt einem Shiraha mit seinem rücksichtslosen Egoismus ab. Beide Figuren sind skurrile Charaktere, die leicht überspitzt gezeichnet sind. Die Autorin zeigt an ihnen, unter welchem Druck Menschen stehen, die nicht den Erwartungen anderer entsprechen.
Gleichzeitig bietet der Roman einen interessanten Einblick in den Arbeitsalltag von Angestellten in Japan. Er schildert anschaulich und leicht satirisch die japanische Gesellschaft mit ihrem Leistungsdruck und den dort herrschenden starren Konventionen.
„ Die Ladenhüterin“ ist ein unterhaltsamer, leicht zu lesender Roman aus dem heutigen Japan mit einer ungewöhnlichen Protagonistin.