Rezension Rezension (4/5*) zu Imperium: Roman (Hochkaräter) von Christian Kracht.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Kokovorismus in Herbertshöhe

Als Vegetarier und Nudist ist August Engelhardt im Berlin der 1910er Jahre ein spleeniger Außenseiter. So schildert Christian Kracht diese historisch verbürgte Person in seinem Roman „Imperium“ und nimmt uns mit ihm in eine Gegend mit, die ich literarisch noch nie entdecken konnte: Nach Deutsch Neu-Guinea, eine deutsche Kolonie in der Südsee. Hier in der „Hauptstadt“ Herbertshöhe – nein, dieser Name ist keine literarische Erfindung, sondern historisch bezeugt – landet er vollkommen mittellos, aber mit großen Visionen, die er hier in die Tat umsetzen will: einen Orden der Kokosfreunde (die Anhänger des Kokovorismus) gründen, sich ausschließlich von der göttlichen Frucht Kokosnuss ernähren und überhaupt: aussteigen auf eine antiquierte und gleichzeitig überaus moderne Art und Weise.
Kracht schildert diesen Sonderling, der eine Insel erwirbt und die dort wachsenden Kokospalmen von Eingeborenen abernten lässt, mit einem spitzen Augenzwinkern. Als eine Art moderner Robinson lebt er auf der kleinen, der „Hauptstadt“ vorgelagerten Insel, entwickelt seine Kokosprodukte, ohne jemals einen Markt für sie aufzutun und zieht eine Handvoll Jünger aus dem fernen Deutschen Reich an, die verwahrlosend auf das heilsbringende Wirken des Kokospapstes und der Kokosnuss warten.
Der erste Weltkrieg beendet dieses brüchige „Idyll“, denn das Deutsche Reich muss sich aus diesen Breiten als Kolonialmacht zurückziehen. Engelhardt verliert seine Inselbasis und lebt noch viele Jahre ein Eremitendasein in den Weiten der Inselwelt des Pazifik.
Mein Fazit:
Kracht erzählt diese Geschichte mit einer stimmigen Prise Humor und Augenzwinkern, die mir immer wieder ein breites Grinsen ins Gesicht zeichnen konnte. Imperium ist ein Abenteuer- und Schelmenroman und gleichzeitig auch ein Roman der Gesellschafts- und Zivilisationskritik. In der Rezeption wurde er teilweise als rassistisch orientiert zerrissen, aber auch hoch gelobt und ausgezeichnet.
Die Sprache des Romans verdient eine besondere Erwähnung. Nicht selten erstrecken sich Krachts Sätze über mehr als eine halbe Seite und der Leser hat Inhalte darin aufzunehmen, die gut und gern für zwei bis drei Sätze ausreichend wären. Und dennoch fließt Sprache und Lektüre flüssig und verständlich dahin.
Ich habe mich köstlich amüsiert und der Roman war für mich eine große und erfreuliche Überraschung. Ich vergebe gern 4 dicke Sterne.


 
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