Rezension Rezension (5/5*) zu Palast der Miserablen von Abbas Khider.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Willkommen in der herzlichen Hölle

Shams Hussein wächst In einem kleinen schiitischen Dorf im Süden des Iraks auf. Es sind die 1980er Jahre, die Zeit des ersten Golfkrieges und später der Invasion des Iraks in den Kuweit. Die Eltern erhoffen sich ein besseres Leben in der Hauptstadt und so zieht die Familie nach Bagdad, wo sie sich mühsam im Slum, der Blechhüttenstadt, eine kleine Existenz aufbauen. Mit findigen Ideen, vom Plastiktütenverkäufer am Basar, Wasserverkäufer bei Fußballspielen, Busfahrergehilfe, trägt Shams schon als Junge zum kargen Familieneinkommen bei. Mit Hilfe eines entfernten Verwandten bekommen er und seine ältere Schwester Qamer wieder einen Schulplatz. Shams entdeckt seine Liebe zu Büchern und der Literatur, schließt sich einem kleine Kreis von Kunst- und Literaturbegeisterten an: dem Palast der Miserablen. Es ist eine Zeit, in der es gefährlich ist zu denken und eines Tages wird Shams verhaftet und landet in den Kerkern Saddams.
Der Autor Abbas Khider ist 1973 im Irak geboren und wurde mit 19 Jahren wegen seiner politischen Tätigkeit verhaftet. Ihm gelang nach seiner Entlassung die Flucht in den Westen, wo er seit 2000 in Deutschland lebt und schreibt. Mit Shams‘ Geschichte schreibt Abbas Khider über das Leben und Überleben im Irak. Gleich zu Beginn erfahren wir von Shams, dass er als politischer Gefangener inhaftiert ist, nach und nach erzählt Shams von seiner Kindheit und Jugend, Vergangenheit, Gegenwart und einer ungewissen Zukunft.
„Der Krieg zog sich acht Jahre lang hin und irgendwann wurde er normal.“ Es darf niemals normal sein, wenn Krieg zum Alltag wird. Der Vater als Soldat eingezogen, die Mutter allein mit zwei Kindern, die sich tagelang im Schrank vor den „Bomben des Bush“ verstecken. Das Heimatdorf der Familie trägt einen skurrilen Namen. Helle, in der Übersetzung bedeutet das herzlich, hieß das Dorf unter der Herrschaft der Osmanen. Als die Briten die Türken vertrieben, fanden sie dort unterirdische Kerker und Folterkammern und tauften das Dorf in „hell“ - Hölle – um. Willkommen in der herzlichen Hölle, wo sich Shams Eltern trotz Krieg, Armut und Elend um ein harmonisches und liebevolles Familienleben bemühen. Die Namen der Kinder, Shams die Sonne, Qamer der Mond, zeigen, dass sich die Eltern für die Kinder ein besseres Leben wünschen.
„Erst acht Jahre Krieg gegen den Iran, dann eine kleine Pause, bis Kuwait dran war. Das hat zum zweiten Golfkrieg geführt, der wiederum den Aufstand im Süden und Norden zur Folge hatte. Davor, danach oder dazwischen noch unzählige weitere Kampfhandlungen: Regierung gegen Opposition, Opposition gegen Opposition, Araber gegen Kurden, Araber gegen Araber, Muslime gegen Christen, Volk gegen Volk und so weiter. Die Liste an Kriegen, Schlachten und Massakern ist endlos und wird jeden Tag länger.“
Literatur und Bücher werden für den heranwachsenden Shams Orte der Zuflucht, ein Ventil der Gedankenfreiheit. Im Palast der Miserablen trifft er auf Gleichgesinnte. Doch die richtigen Gedanken und Wort zur falschen Zeit sind lebensgefährlich im Regime von Saddam Hussein.
Abbas Khider schreibt darüber, wenn Krieg eine Normalität ist und die Willkür einer Diktatur obsiegt. So sollte niemand leben müssen.


 
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