1. Leseabschnitt: Anfang bis Seite 50

Literaturhexle

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In der Hoffnung, dass ich bei 13 TN nicht mit mir allein diskutieren muss, mache ich mal den Anfang. Schließlich ist dieses das Buch, auf das ich mich in dieser Saison am allermeisten gefreut habe. Zu gut ist mir noch Swifts letztes Buch "Ein Festtag" in Erinnerung :rolleyes:.

Sofort nach den ersten Seiten fühlte ich mich auch in diesem Buch sauwohl. Swift hat so eine Art zu erzählen, ich weiß nicht, wie ich das bechreiben soll. Da klingt etwas mit, so eine unterschwellige Bedeutung in den Sätzen, ich liebe diesen Stil!

Jack ist ein Varietekünstler, er führt durch das Programm der sommerlichen Seebadaufführung in Brighton, die Saison neigt sich dem Ende zu. Er reflektiert über seine Mutter, die ihn einst wie einen kleinen Hund für das Leben auf der Bühne dressierte und seiner Karriere stets auf die Sprünge half.

Höhepunkt der Vorstellungen ist der Auftritt des Zauberers Ronnie mit seiner Assistentin Evie. Jack hat sie selbst angeheuert, aber irgendetwas Bedeutsames ist geschehen, was zur Trennung des auch privat verbändelten Paares führte. Es wird die Vermutung erzeugt, dass die Verbindung durch Jack zerbrochen sein könnte. Früher waren die Drei häufig gemeinsam unterwegs. Betont wird zudem, dass Jack und Evie eine sehr ähnliche Kindheit und Jugend unter ihren ehrgeizigen Müttern hatten.

Ronnie ist als Sohn einer Putzfrau und eines Seemannes anders aufgewachsen, nämlich in ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater kam selten zu Besuch. Eines Tages brachte er einen Papagei von der Reise mit, den die Mutter anschließend verkaufte - sehr zum Leidwesen ihres Sohnes.

Eine Wende tritt für den 8-jährigen 1939 ein, als er im Rahmen der Kinderlandverschickung nach Evergrene zum Ehepaar Lawrence in die Nähe von Oxford geschickt wird. In diesem Abschnitt hat der Autor es sehr gut verstanden, die Spannung zu steigern. Durch kleine Formulierungen wurde die Befürchtung geweckt, dass der Junge in schlechte, lieblose Hände kommen könnte, zumal die Kinder auf der Reise erbittert weinten.
Doch weit gefehlt! Bei Eric und Penny Lawrence beginnt der Junge so etwas wie ein neues Leben. Das Haus ist riesig und die Gasteltern sind ihm von Anfang an herzlich zugetan. Schon früh entwickelt der Junge den verschämten Wunsch, gar nicht mehr nach Hause zu müssen. Zum ersten Mal fühlt er sich ernst genommen und geliebt. Er schreibt nur kurze Postkarten nach Hause, weiß er doch, dass er seiner Mutter nicht die Wahrheit über seine neuen Umstände sagen kann - zu verschieden sind die beiden Welten. Die Mitteilung, dass sein leiblicher Vater als vermisst/tot gilt, berührt ihn nicht sehr. Erst als ihm klar wird, dass er die Eltern gerne tauschen würde, bricht er in nächtliche Tränen aus...

Die Jahre in Evergrene bezeichnet Jack als seine Bildungsjahre. Darüber hinaus hat er Zugang zu seiner künftigen Karriere als Zauberer bekommen. Offensichtlich hält Eric auch regelmäßige Aufführungen als Zauberkünstler ab. Beschrieben wird eine wunderschöne Szene im Garten, als Eric vier weiße Kaninchen auftauchen und verschwinden lässt, was den Jungen natürlich sofort fasziniert, so dass er zum "Zauberlehrling" wird. Wie gerne würde er auch seine bevorstehende Rückkehr zur Mutter, er ist 1945 14 Jahre alt, mit magischen Kräften verhindern!
 

Literaturhexle

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Gemessen daran, dass man erst 50 Seiten gelesen hat, ist ziemlich viel geschildert worden und passiert. Ich war jetzt völlig in die neue Welt Ronnies eingetaucht und würde ihm ein dauerhaftes Leben auf Evergrene wünschen. Aber der Krieg ist ja vorbei.
Fast vergessen ist der Anfang des Buches, wo wir erfahren haben, dass Ronnie verschwunden ist, Evie den Verlobungsring ins Wasser wirft und hofft, dass er wiederkommen wird. Hinzu kommt das kleine Sätzchen, dass die Polizei ihr nun erlaubt, den Ort zu verlassen... Liegen Indizien für ein Gewaltverbrechen vor? Was ist mit Ronnie geschehen?

Ich werde jetzt hoch motiviert weiter lesen.
 

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Gemessen daran, dass man erst 50 Seiten gelesen hat, ist ziemlich viel geschildert worden und passiert. Ich war jetzt völlig in die neue Welt Ronnies eingetaucht und würde ihm ein dauerhaftes Leben auf Evergrene wünschen. Aber der Krieg ist ja vorbei.
Fast vergessen ist der Anfang des Buches, wo wir erfahren haben, dass Ronnie verschwunden ist, Evie den Verlobungsring ins Wasser wirft und hofft, dass er wiederkommen wird. Hinzu kommt das kleine Sätzchen, dass die Polizei ihr nun erlaubt, den Ort zu verlassen... Liegen Indizien für ein Gewaltverbrechen vor? Was ist mit Ronnie geschehen?

Ich werde jetzt hoch motiviert weiter lesen.
... Ich finde das auch klasse. Gleich zu Beginn wird man ziemlich neugierig gemacht, weil der Autor einem ein paar Brocken vor die Nase wirft. Und dann, wenn man so richtig neugierig und gespannt ist, dann erzählt er ziemlich gemütlich und ausführlich Ronnys Geschichte, in die ich total eintauchte, weil sie so lebendig und herzerwärmend erzählt wurde.
 

RuLeka

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Mir ging es ähnlich. Ich habe mich auf diesen Roman gefreut und musste mich bremsen, um das Buch nicht in einem Haps zu lesen. Die Sprache und der Erzählstil von Swift sind besonders. Er verwebt Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in einem kleinen Abschnitt. Gerade am Anfang gibt es so viele Hinweise und Andeutungen in einem Nebensatz. Warum treten Ronnie und Evie trotz Erfolg nie mehr gemeinsam auf ? Warum wirft Evie ihren Verlobungsring ins Meer. Weshalb taucht die Polizei auf?
Die Mütter von Jack und Evie ähneln sich.
Und dann geht die Geschichte weiter mit Ronnie. Da erfährt man nun viel mehr von dessen Kindheit. Was für eine Kindheit ? Ein abwesender Vater , eine verbitterte Mutter. Und hier taucht auch der Papagei auf, der das Cover des Buches ziert. Dann wird Ronnie, wie so viele Kinder zu dieser Zeit, aus dem unsicheren London zu einer Familie aufs Land geschickt. Hier meint es das Schicksal gut mit ihm. Er kommt nicht zu Leuten, die ihn als Arbeitskraft missbrauchen, sondern trifft auf ein kinderloses Ehepaar, die in ihm einen Sohn sehen. Hier findet Ronnie seine Bestimmung: das Zaubern. Aber das beschauliche Leben endet, als der Krieg vorbei ist.
Diese Geschichte Ronnies hat mich sehr berührt. Es ist meisterhaft, wie Swift sich in die Gefühlswelt des Kindes versetzen kann. Seine ambivalente Haltung zu den Eltern, seine Reaktion auf den Tod des Vaters, seine Gewissenskonflikte, weil es ihm in Evergrene ( was für ein Name - erinnert an ever green = Immergrün ) so gut gefällt . Schon seltsam, wenn die Kriegsjahre die glücklichsten Jahre seiner Kindheit sind.
 

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Was mich total fasziniert, ist dieser Tempowechsel. Eine Zäsur. In den ersten Seiten weckt Graham Neugierde und wenn die Spannung dann ziemlich hoch ist (Warum trennen sich Evie und Ronny? Warum erlaubt ihr die Polizei den Ort zu verlassen? Wo ist Ronny?), dann haut er die Bremse rein und erzählt aus Ronnys Biografie. Aber dadurch entsteht keine Langeweile. Ich wurde dadurch nicht minder gefesselt. Durch seine herzerwärmende, zarte und feine Beschreibung wurden die nächsten Seiten zum Page Turner.

ich freu mich schon aufs Weiterlesen.
 

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Mir ging es ähnlich. Ich habe mich auf diesen Roman gefreut und musste mich bremsen, um das Buch nicht in einem Haps zu lesen. Die Sprache und der Erzählstil von Swift sind besonders. Er verwebt Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in einem kleinen Abschnitt. Gerade am Anfang gibt es so viele Hinweise und Andeutungen in einem Nebensatz. Warum treten Ronnie und Evie trotz Erfolg nie mehr gemeinsam auf ? Warum wirft Evie ihren Verlobungsring ins Meer. Weshalb taucht die Polizei auf?
Die Mütter von Jack und Evie ähneln sich.
Und dann geht die Geschichte weiter mit Ronnie. Da erfährt man nun viel mehr von dessen Kindheit. Was für eine Kindheit ? Ein abwesender Vater , eine verbitterte Mutter. Und hier taucht auch der Papagei auf, der das Cover des Buches ziert. Dann wird Ronnie, wie so viele Kinder zu dieser Zeit, aus dem unsicheren London zu einer Familie aufs Land geschickt. Hier meint es das Schicksal gut mit ihm. Er kommt nicht zu Leuten, die ihn als Arbeitskraft missbrauchen, sondern trifft auf ein kinderloses Ehepaar, die in ihm einen Sohn sehen. Hier findet Ronnie seine Bestimmung: das Zaubern. Aber das beschauliche Leben endet, als der Krieg vorbei ist.
Diese Geschichte Ronnies hat mich sehr berührt. Es ist meisterhaft, wie Swift sich in die Gefühlswelt des Kindes versetzen kann. Seine ambivalente Haltung zu den Eltern, seine Reaktion auf den Tod des Vaters, seine Gewissenskonflikte, weil es ihm in Evergrene ( was für ein Name - erinnert an ever green = Immergrün ) so gut gefällt . Schon seltsam, wenn die Kriegsjahre die glücklichsten Jahre seiner Kindheit sind.
Du sprichst mir aus der Seele. Genau so habe ich das auch empfunden. Es ist unglaublich, dass in nur 50 Seiten so viel passieren kann aber nicht nur im Sinne des konkret Erzählten, sondern auch, was die Gefühlswelt des Lesers anbelangt. Neugierde. Gespanntheit. Entrüstung. Empathie. Freude. Enttäuschung, Wut und Traurigkeit. Eine Meisterleistung, wenn man es genau betrachtet.
 

Literaturhexle

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Es ist meisterhaft, wie Swift sich in die Gefühlswelt des Kindes versetzen kann. Seine ambivalente Haltung zu den Eltern, seine Reaktion auf den Tod des Vaters, seine Gewissenskonflikte,
Das hat mir auch imponiert. Oft werden kindliche Perspektiven mit erwachsener Weitsicht kombiniert und dadurch in meinen Augen unglaubwürdig. Hier werden genau die richtigen, altersgerechten Worte für die Empfindungen des Jungen gewählt.
Der Papagei taucht häufiger auf, da steckt eine tiefe Symbolik dahinter. Danke für den Hinweis mit dem Cover. Ich fand es wunderschön, habe es aber noch nicht eingehend betrachtet ;)
Neugierde. Gespanntheit. Entrüstung. Empathie. Freude. Enttäuschung, Wut und Traurigkeit. Eine Meisterleistu
Absolut! Ich MUSS unbedingt weitere Bücher dieses Autors von meinem SUB befreien!!!
 

Renie

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Tatsächlich ist dies mein erster Swift und somit auch der Beginn einer lang anhaltenden Freundschaft;). Mir gefällt sein kreativer Sprachstil. Ich ertappe mich dabei, dass ich beim Lesen das eine oder andere Schmunzeln im Gesicht habe. Es ist schon sehr besonders, was Swift aus einzelnen Szenen machen kann. Ich denke da an die Rolle der weißen Taschentücher bei der Abschiedsszene am Bahnhof (Kinderlandverschickung). Erstaunlich, welche Möglichkeiten es gibt, die Nutzung eines Taschentuches zu umschreiben :D
Mich hat gleich zu Anfang das Szenario angefixt: ein Conferencier, der ein Engagement im Seebad Brighton hat und durch eine Varietéshow für Urlauber führt. Und das in den 50er Jahren. Glanz und Glamour ist anders. Ich habe eher Bilder von angestaubten Kulissen, krebsroten nörgeligen Urlaubern und Künstlern, die sich die Seele aus dem Leib spielen, um dieses Publikum zufrieden zu stellen, vor Augen.

Natürlich bin ich auf die Dreieckskonstellation Jack/Ronnie/Evie gespannt. Was sich hier für Möglichkeiten ergeben: Liebe, Eifersucht, Rivalität, Verbrechen . Ich bin so gespannt, wo die Reise in diesem Buch hingeht.
 

Renie

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Der Papagei taucht häufiger auf, da steckt eine tiefe Symbolik dahinter.
Es ist weniger der Papagei. Eher findet sich immer wieder der Titel des Buches wieder, wenn auch in abgewandelter Form.
Der Papagei bspw. plappert "Da bin ich"
Penny Lawrence meint auf den Kommentar "Was für ein reizender kleiner Junge": "Ja, das ist er."
Oder "Immer wenn Mrs Lawrence etwas brachte, manchmal aber auch ohne Grund, sagte sie: 'Da wären wir'!

Ich kann noch nicht greifen, was hinter diesem banalen Sätzchen steckt.
 

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...“
Absolut! Ich MUSS unbedingt weitere Bücher dieses Autors von meinem SUB befreien!!!
„Der Festtag“ liegt schon auf meinem Nachtkästchen. Eigentlich wollte ich das Buch vorher gelesen, aber ich bin einfach nicht dazu gekommen. Jetzt freue ich mich noch mehr darauf als bevor. Hast du noch andere Bücher von ihm?
 

Querleserin

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Warum treten Ronnie und Evie trotz Erfolg nie mehr gemeinsam auf ? Warum wirft Evie ihren Verlobungsring ins Meer. Weshalb taucht die Polizei auf?
Die Mütter von Jack und Evie ähneln sich.
Der Anfang macht sehr neugierig, das ist fast wie ein Krimi und dann wird eine Pause eingelegt...und man holt erstmal Luft, um Ronnies Geschichte zu lesen. Ich freue mich auf das Weiterlesen.
 

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„Der Festtag“ liegt schon auf meinem Nachtkästchen. Eigentlich wollte ich das Buch vorher gelesen, aber ich bin einfach nicht dazu gekommen. Jetzt freue ich mich noch mehr darauf als bevor. Hast du noch andere Bücher von ihm?
Ich habe noch „Wasserland“ gelesen:
Buchinformationen und Rezensionen zu Wasserland: Roman von Graham Swift
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.
Fand ich sehr gut!
 
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Ich habe noch „Wasserland“ gelesen:
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... Da werde ich doch gleich mal recherchieren…
 
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Ich habe vor ca. 20 Jahren „ Letzte Runde“ von ihm gelesen und bekomme wieder Lust auf das Buch.
Buchinformationen und Rezensionen zu Letzte Runde: Roman von Graham Swift
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Aber zuerst werde ich mir seine Erzählungen vornehmen.Da möchte aus dem Klappentext einen Kritiker zitieren: „ Mit einem einzigen Satz sagt Swift oft mehr als manch einer auf einer ganzen Seite.“
Das passt zu unserem Buch und damit ist er natürlich auch geeignet für die kurze Form, für Erzählungen.
 

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Der Papagei taucht häufiger auf, da steckt eine tiefe Symbolik dahinter.
...welche Symbolik fällt Dir da auf? Also ich meine, bezogen auf den 1. Abschnitt. Später ( z. B. im 2. Abschnitt) fällt mir da schon eher was ein, aber hier noch nicht...aber da halte ich sie dann nicht so „tief“, da ausgesprochen....
 

RuLeka

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...welche Symbolik fällt Dir da auf? Also ich meine, bezogen auf den 1. Abschnitt. Später ( z. B. im 2. Abschnitt) fällt mir da schon eher was ein, aber hier noch nicht...aber da halte ich sie dann nicht so „tief“, da ausgesprochen....
Darüber werden wir sicher noch diskutieren: Wofür steht der Papagei ?