1. Leseabschnitt: Amber (Anfang bis S. 32)

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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"Eine Woche nach Mattias wurde sein Fahrrad geliefert." (7)
Bereits im ersten Satz des Romans wird der Titel aufgegriffen und der Bezugspunkt genannt. Was geschieht in der Zeit, nachdem Mattias gestorben ist.
Im ersten Kapitel steht Mattias Freundin Amber im Mittelpunkt, die aus der Ich-Perspektive erzählt, wie sie sich fühlt.
"Trauer ist wie ein Schatten. Der richtet sich nach dem Stand der Sonne, fällt morgens anders als abends." (7)
Die Zeitebene wechselt und wir erleben mit, wie Amber Zeugin wird, dass ein Pitbull fast einen kleinen Hund tot beißt. Quentin, ein Freund Mattias kommt ihr und der Besitzerin des Hundes zu Hilfe.
Amber entschließt sich, diese zum Tierarzt zu begleiten. Nachdem ihr die Frau erzählt hat, dass ihr Mann an Krebs gestorben ist, gelingt es Amber von Mattias zu erzählen. Von seiner Begeisterungsfähigkeit, davon, dass er ganz viele Sachen gemacht hat, aber nichts zu Ende (?), dass er viele verrückte Ideen hatte, aber sie nicht durchdacht waren. Sie scheint die Rationale, Pragmatische in der Beziehung gewesen zu sein.
"Aber vielleicht solltest du dich für eine Sache entscheiden." (14)
Am letzten Tag stritten sie, wir erfahren aber nicht, wie es zu Mattias Tod gekommen ist.
Die Sprache ist sehr dicht und man hat sofort ein Bild von Mattias vor Augen, so wie Amber ihn beschreibt.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Wieder eine wunderbare Zusammenfassung, liebe Querleserin:rolleyes:
Die genannten Zitate habe ich auch markiert.

Zwei Szenen sind mir nicht ganz klar geworden. Die Erinnerung an den Fesselballon zog sie in den Park. Ich denke, wir können jetzt die Bedeutung dieser Szene noch nicht erfassen. Bestimmt kommt noch etwas dazu, oder?

Dann finde ich noch die Erläuterung des Glücksbegriffes erwähnenswert (S. 18). Auch da kommt die unterschiedliche Haltung des Paares zum Ausdruck.
Amber hat Vertrauen in die Geschicke ihres Freundes. Mehrfach betont sie, dass er schon vieles erreicht hat. "Es ist halt Mattias". Für mich kam es wenigstens so rüber, kann allerdings auch etwas rosenrot durch die Trauer eingefärbt sein. Im Gegensatz zu Amber ist er mutig, packt Neues an. Die Grenze zum Leichsinn scheint allerdings fließend.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Die Szene im Park war mit Mathias eine glückliche, der Ballon, die Sonne, die Familien. Deshalb geht Amber dorthin, allerdings muss sie feststellen, dass jetzt alles anders ist- grauer Himmel, Regen und Schreie. Allerdings scheint sich mit der Frau und dem Hund eine neue Bekanntschaft anzubahnen...
Ja, okay. So hatte ich das auch gesehen. Ich bin gespannt, ob die Ballonszene noch einmal auftaucht oder ob das alles war.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Ich bin jetzt auch in den Roman eingestiegen. Interessant, dass hier wohl aus vielen verschiedenen Perspektiven erzählt wird. Vielleicht von den Personen, die Mattias am nächsten standen? Diese unterschiedlichen Perspektiven erinnern mich ein wenig an "Der Sprung". Das könnte aber auch die einzige Gemeinsamkeit bleiben.

Ich vermute, dass wir erst spät erfahren werden, wie Mattias gestorben ist. Ich habe bislang noch keine konkrete Idee. Aber bisher klingt es so, als ob es eher ein plötzlicher Tod war. War es ein Unfall? Oder sogar ein Suizid? Bis jetzt ist noch vieles denkbar.

Amber und Mattias waren also ein Paar - mit sehr unterschiedlichen Charakteren. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die beiden gar nicht sooo gut zueinander gepasst haben, obwohl Amber unter dem Verlust schon ziemlich zu leiden hatte. Aber die Beziehung lief wohl nicht immer so toll, denn es gab mehrfach Meinungsverschiedenheiten.

Bis jetzt habe ich noch viele Fragezeichen im Kopf: Wo spielt das Ganze? Wie alt war Mattias? Wie alt ist Amber? usw.
 

parden

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Eine interessante Konzeption des Romans - wir lernen jemanden kennen, den es nicht mehr gibt, aus den Erinnerungen verschiedenster Menschen. Daraus ergibt sich dann wohl ein komplexes Bild, vielschichtig, denn jeder hat doch zu einem bestimmten Menschen eine andere Art von Kontakt, andere Schwerpunkte im Miteinander, auch einen anderen Blick als jemand anderes.

Zu Amber habt Ihr ja schon einiges geschrieben, da muss ich nicht viel ergänzen. Sie trauert eindeutig, auch wenn sie eigentlich zuletzt nicht wusste, ob ihre Beziehung wirklich noch eine Zukunft haben würde. Mattias hatte sich innerlich von ihr entfernt. Als letzte Erinnerung einen Streit - das wünscht sich wohl niemand.
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Ich habe mir auf den wenigen Seiten schon ganz viel angestrichen und auch das ein oder andere ins Buch geschrieben – "Wirst du dafür nicht gesteinigt?!", fragt mein Mann...

Auf den ersten Seiten dachte ich mir schon: mein Gott, dieser Autor kann Dinge unglaublich prägnant und klar ausdrücken. Ganz einfache Bilder, wie "das Ticken eines sich drehenden Rads in einer ansonsten totenstillen Wohnung" haben in meinen Augen unheimlich viel Tiefe. Oder dass sie eine Stunde lang heult, weil das Lesezeichen aus seinem letzten Buch gefallen ist.

Aber man merkt auch direkt: in dieser Beziehung zwischen Amber und Matthias war nicht alles harmonisch. Sie ist "sehr vorsichtig", ihn nicht zu verärgern, fragt man sich: was verbirgt sich da? In unheimlich vielen Sätzen schwingt seinerseits eine sehr passiv-aggressive Art mit. "Jetzt tust du wieder so", "Du willst mich davon abhalten", "Das musst du mir jetzt ankreiden" usw. Ein echtes Gleichgewicht scheint es nicht zu geben, sie ist diejenige, die alles repariert und anpackt, während er von einem Luftschloss zum nächsten springt. Amber und Matthias hatten komplett gegensätzliche Persönlichkeiten, wahrscheinlich hätte es beiden gut getan, sich vom anderen ein bisschen abzuschauen.

An einer Stelle klang es für mich so, als habe er möglicherweise Depressionen gehabt, als sie sagt "Mir war manchmal bange vor diesem Winkel seiner Gedanken".

Bei der Episode mit dem Hund dachte ich mir erst: was für eine Art und Weise, Quentin als Charakter einzuführen! In der Annahme, es handle sich um seinen Hund, habe ich ihn abgestempelt, wie auch die Besitzerin des Hündchens...

Die Episode, als Amber mit der Besitzerin geht und mit ihr über den Mann und über Matthias spricht, zeigt, dass Trauer vielleicht das universellste menschliche Gefühl ist... Ich hoffe, dass diese Frau noch eine größere Rolle spielen wird.

Doppelt angestrichen habe ich mir "Pessimisten gab es genug, damals schon. Es wurde normal, jemanden, der anderen helfen möchte, Gutmensch zu nennen, während sich eine immer größer werdende Gruppe ängstlicher Menschen hinter die schimpfenden Schwarzseher scharte, weil die am Ende nur recht haben können: Denn eines Tages muss ja etwas schiefgehen, und bis dahin können sie sagen: »Warte mal ab!«, und das ist dann nicht zu widerlegen."
 

ulrikerabe

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"Was ich all die Jahre gemeint hatte, wenn ich sagte, dass ich gut allein sein könnte, war, dass ich gut allein sein konnte, solange das mit einer annehmbaren Endlichkeit verknüpft wurde."
Amber muss sich erst zurecht finden in der Zeit nach Mattias. Allein sein wollen ist etwas ganz anderes als alleine zu sein, weil ein anderer unwiederbringlich fort ist. Die Zeit "nach Mattias" klingt fast so wie eine neue Zeitrechnung. Nur, dass es keinen Reset Knopf gibt, weil an allen Ecken und Enden Erinnerungen auftauchen. Ein Buch, das herunterfällt, ein Fesselballon im Park, eine Stück Schnur im Mantelsack...
 
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Mir ist aufgefallen, dass der Autor den Leser direkt ins Geschehen katapultiert. Wir müssen uns nicht mit langen Vorreden befassen, wir erfahren zeitnah, dass Mattias tot ist, dass er in Ambers Leben eine große Lücke hinterlassen hat.
Die Szene im Park fand ich sehr wichtig, denn durch die Bekanntschaft mit der Hundebesitzerin öffnet Amber sich und erzählt von Mattias, wie er so war, und dem Streit, den sie hatten.
Teilweise bekommt man das Gefühl, dass die Beziehung schon ihre Schattenseiten hatte. Amber versucht nicht Mattias fehlerlos darzustellen, wie viele Trauernde es oft tun. Man redet halt nicht schlecht über einen Toten, ein Mantra, das weit verbreitet zu sein scheint, hier habe ich es nicht wahrgenommen.
Die Zitate, die hier von euch schon genannt wurden, sind auch mir aufgefallen. Der Autor hat eine angenehme Art, er schafft es passende und aussagekräftige Beschreibungen des Gemütszustands seiner Protagonisten zu verfassen.
 
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Die Szene im Park war mit Mathias eine glückliche, der Ballon, die Sonne, die Familien. Deshalb geht Amber dorthin, allerdings muss sie feststellen, dass jetzt alles anders ist- grauer Himmel, Regen und Schreie. Allerdings scheint sich mit der Frau und dem Hund eine neue Bekanntschaft anzubahnen...
Da Amber sich bei der Frau öffnen konnte, über Mattias erzählen konnte, denke ich, dass ihr diese Bekanntschaft sehr gut täte. Jemanden zu kennen, der einen versteht, der auch kürzlich erst einen Verlust erlitten hat, deshalb vieles nachvollziehen kann, ist sicher von nutzen bei der Trauerbewältigung. Warten wir ab, ob wir noch öfter von der Frau hören werden.
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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@ulrikerabe

Ich musste da manchmal schon schlucken. Viele kennen sicher das Gefühl, dass mit dem Tod eines Menschen quasi eine neue Zeitrechnung beginnt.

Ich fühle mich bei sowas immer wieder an den "Funeral Blues von W. H. Auden erinnert:

Stop all the clocks, cut off the telephone
Prevent the dog from barking with a juicy bone
Silence the pianos and with muffled drum
Bring out the coffin, let the mourners come

Let aeroplanes circle moaning overhead
Scribbling on the sky the message 'He Is Dead'
Put crêpe bows round the white necks of the public doves
Let the traffic policemen wear black cotton gloves.

He was my North, my South, my East and West
My working week and my Sunday rest
My noon, my midnight, my talk, my song
I thought that love would last for ever – I was wrong

The stars are not wanted now; put out every one
Pack up the moon and dismantle the sun
Pour away the ocean and sweep up the wood
For nothing now can ever come to any good

@Sassenach123

Ich habe auch immer wieder das Gefühl gehabt, dass es in dieser Beziehung einige Konflikte gab, aber das ändert nichts an Ambers Trauer... Ich hoffe sehr, sie freundet sich mit der Hundebesitzerin an.