Rezension Rezension (4/5*) zu Der zerrissene Brief: Roman von Zischler, Hanns.

RuLeka

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Gespräche zweier Frauen

Hanns Zischler, berühmter Schauspieler, Schriftsteller und Photograph, hat nun mit 72 Jahren seinen ersten Roman vorgelegt. Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit.
Wir sind im Sommer 1966 in einem kleinen Dorf im Fränkischen. Elsa, eine junge Studentin, hat gerade eine unglückselige Affäre mit einem verheirateten Professor hinter sich. Nun besucht sie die über 80jährige Pauline. Die beiden kennen sich seit Jahren, standen stets auch in brieflichem Kontakt. Als 8jährige kam Elsa nach dem Krieg hierher und Pauline hat sie gewissermaßen adoptiert.
Die Gespräche dieser beiden Frauen, der jungen und der alten, führen weit in die Vergangenheit Paulines zurück.
Diese, 1882 geboren, war mit fünf Jahren Vollwaise und kam deshalb zu ihrem Patenonkel. Mit 17 Jahren lernt sie auf einem Jahrmarkt den wesentlich älteren Max kennen und die beiden verlieben sich . Max, Nachkomme litauischer Pelzhändler, ist als Photograph für die Brüder Lumiere unterwegs. Der ältere Liebhaber, klug und weltgewandt, schickt nun seine junge Geliebte mit 2000 Goldmark allein auf eine Reise nach New York. Hier soll sie 2 Jahre bleiben, danach wird er sie heiraten. „Ein Erziehungsprogramm“ für Pauline - „ in bester Absicht....und nicht ohne egoistischen Hintersinn“. Und die Rechnung geht auf. „Ich bin in seine Arme zurückgekehrt, aber ich war eine andere Frau geworden, als die, die er kannte.“ bekennt Pauline gegenüber Elsa. Aus dem unbedarften Mädchen aus der Provinz wurde eine selbstbewusste Frau. Sie hat im Botanischen Garten in der Bronx das Botanisieren für sich entdeckt.
Das Ehepaar reist nun gemeinsam nach Russland, Japan und bis Alaska.Pauline teilt mit ihrem Mann die Lust am Entdecken, hat Verständnis für seinen „ Raumhunger“. Doch Max war kein Eroberer. „Was er auf seinen Reisen suchte, war das Konkrete und Individuelle. Die Vielgestaltigkeit der Landschaften wie der Menschen ...“ Davon zeigen zahlreiche Gegenstände, v.a. Masken und Idole, die Max sammelte.
Hanns Zischler erzählt uns diese Lebensgeschichte aber nicht chronologisch, sondern entwickelt sie episodenhaft im Gespräch der zwei Frauen. Auslöser dafür sind meist irgendwelche Sachen, wie Briefe, alte Photos, Zeitungsausschnitte und ähnliches. Denn „ ...- die Erinnerung geht nie der Reihe nach....Unsere Erinnerungen spulen sich um das, was gewesen ist, wie Eisenspäne um einen Magneten.“
Der Autor findet für seine Geschichte eine passende Sprache - bilderreich, voller Metaphern und literarischer Anspielungen, Wörter aus einer vergangenen Zeit. Treffend ist z.B. der Ausdruck „ Efeumutter“ für Max‘ besitzergreifende Mutter.
Nicht alle Exkurse ( literarischer, volkskundlicher u.ä. Art) sind gleichermaßen interessant. Sehr gut gefallen haben mir die Gedanken über die Schönheit in der Natur. Die lässt sich nicht immer zweckmäßig begründen. Denn oft „ gibt es nur einen einzigen Grund... Weil die Natur spielt.“ So wie hier auch Hanns Zischler.
„Der zerrissene Brief“ ist ein Buch für Leser, die Gefallen finden an interessantenFrauenbiographien ( wobei die Weltgeschichte nur ganz am Rande vorkommt ) und eine ruhige Erzählweise mögen.

 

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Gespräche zweier Frauen


Hanns Zischler, berühmter Schauspieler, Schriftsteller und Photograph, hat nun mit 72 Jahren seinen ersten Roman vorgelegt. Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit.
Wir sind im Sommer 1966 in einem kleinen Dorf im Fränkischen. Elsa, eine junge Studentin, hat gerade eine unglückselige Affäre mit einem verheirateten Professor hinter sich. Nun besucht sie die über 80jährige Pauline. Die beiden kennen sich seit Jahren, standen stets auch in brieflichem Kontakt. Als 8jährige kam Elsa nach dem Krieg hierher und Pauline hat sie gewissermaßen adoptiert.
Die Gespräche dieser beiden Frauen, der jungen und der alten, führen weit in die Vergangenheit Paulines zurück.
Diese, 1882 geboren, war mit fünf Jahren Vollwaise und kam deshalb zu ihrem Patenonkel. Mit 17 Jahren lernt sie auf einem Jahrmarkt den wesentlich älteren Max kennen und die beiden verlieben sich . Max, Nachkomme litauischer Pelzhändler, ist als Photograph für die Brüder Lumiere unterwegs. Der ältere Liebhaber, klug und weltgewandt, schickt nun seine junge Geliebte mit 2000 Goldmark allein auf eine Reise nach New York. Hier soll sie 2 Jahre bleiben, danach wird er sie heiraten. „Ein Erziehungsprogramm“ für Pauline - „ in bester Absicht....und nicht ohne egoistischen Hintersinn“. Und die Rechnung geht auf. „Ich bin in seine Arme zurückgekehrt, aber ich war eine andere Frau geworden, als die, die er kannte.“ bekennt Pauline gegenüber Elsa. Aus dem unbedarften Mädchen aus der Provinz wurde eine selbstbewusste Frau. Sie hat im Botanischen Garten in der Bronx das Botanisieren für sich entdeckt.
Das Ehepaar reist nun gemeinsam nach Russland, Japan und bis Alaska.Pauline teilt mit ihrem Mann die Lust am Entdecken, hat Verständnis für seinen „ Raumhunger“. Doch Max war kein Eroberer. „Was er auf seinen Reisen suchte, war das Konkrete und Individuelle. Die Vielgestaltigkeit der Landschaften wie der Menschen ...“ Davon zeigen zahlreiche Gegenstände, v.a. Masken und Idole, die Max sammelte.
Hanns Zischler erzählt uns diese Lebensgeschichte aber nicht chronologisch, sondern entwickelt sie episodenhaft im Gespräch der zwei Frauen. Auslöser dafür sind meist irgendwelche Sachen, wie Briefe, alte Photos, Zeitungsausschnitte und ähnliches. Denn „ ...- die Erinnerung geht nie der Reihe nach....Unsere Erinnerungen spulen sich um das, was gewesen ist, wie Eisenspäne um einen Magneten.“
Der Autor findet für seine Geschichte eine passende Sprache - bilderreich, voller Metaphern und literarischer Anspielungen, Wörter aus einer vergangenen Zeit. Treffend ist z.B. der Ausdruck „ Efeumutter“ für Max‘ besitzergreifende Mutter.
Nicht alle Exkurse ( literarischer, volkskundlicher u.ä. Art) sind gleichermaßen interessant. Sehr gut gefallen haben mir die Gedanken über die Schönheit in der Natur. Die lässt sich nicht immer zweckmäßig begründen. Denn oft „ gibt es nur einen einzigen Grund... Weil die Natur spielt.“ So wie hier auch Hanns Zischler.
„Der zerrissene Brief“ ist ein Buch für Leser, die Gefallen finden an interessantenFrauenbiographien ( wobei die Weltgeschichte nur ganz am Rande vorkommt ) und eine ruhige Erzählweise mögen.


Mal wieder eine wunderschöne und aussagekräftige Rezension von Dir. Danke. Eigentlich genau nach meinem Geschmack. Aber ich bin gerade dabei, mich zu bremsen, was neue Bücher betrifft… Aber es gibt ja noch die Wunschliste ;-)
 

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