Rezension Rezension (3/5*) zu 1965 - Der erste Fall für Thomas Engel: Kriminalroman von Thomas Christos.

Literaturhexle

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2. April 2017
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Buchinformationen und Rezensionen zu 1965 - Der erste Fall für Thomas Engel von Thomas Christos
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Plakativer Spannungsroman auf zwei Zeitebenen


Krimis, die in den 1960er Jahren angesiedelt sind, gibt es bislang nicht viele. Der Titel hat mich sofort angesprochen, zumal das Buch auch haptisch sehr ansprechend gestaltet ist. Insofern wurde ich sehr überrascht, als ich mich schon auf der ersten Seite im Jahr 1939 wiederfand. Der Autor erzählt seine Geschichte nämlich auf zwei Zeitebenen, in beiden geht es unter anderem um Sexualmorde an kleinen Mädchen, die offensichtlich miteinander in Verbindung stehen. Der Einstieg in den Roman ist von daher sehr gelungen.

Thomas Engel ist in einem bürgerlich-biederen Elternhaus auf dem Land aufgewachsen. Sein Vater ist der Patriarch, der als Polizist extrem konservative Werte verkörpert. Thomas hat Abitur gemacht und träumt davon, Kripo-Beamter zu werden. Vorbild dafür ist sein „Onkel“ Kurt Strobel, ein enger Freund des Vaters. Thomas will raus aus der Enge, will in die Stadt. Dank des Onkels geht der Wunsch in Erfüllung, er absolviert seine Ausbildung bei der Kriminalpolizei Düsseldorf mit Bestnoten.

Der erste Mordfall führt Thomas und seine Abteilung in eine Zigeunersiedlung, wo ein Schreibmaschinen-Vertreter tot in einem Auto aufgefunden wird. Natürlich geraten zunächst die Roma in Tatverdacht. Der versierte Kurt Strobel findet jedoch Anzeichen einer Selbsttötung, so dass der Fall zu den Akten gelegt werden kann. Allerdings hätte der Tote noch einen Termin in der Sonderkommission für Nazi-Verbrechen gehabt, was den dortigen Ermittler Drezko misstrauisch macht und weiter ermitteln lässt. Bereits hier vermutet man Verstrickungen der Polizei, die in die Nazi-Vergangenheit zurückreichen.

Kurz vor dem 2. Weltkrieg wurde die kleine Radschlägerin Lotte verschleppt und Opfer eines Sexualmordes. Spuren am Tatort weisen auf ein seltenes Auto hin, Hauptkommissar Salziger ist zuversichtlich, den Täter stellen zu können. Der Fall wird ihm jedoch von der Gestapo entzogen. Man präsentiert einen bemitleidenswerten Schwulen als Triebtäter, dem man ein Geständnis durch Folter abpresst.

Im Jahr 1965 geschieht nun ein sehr ähnlicher Mord an einem kleinen Gastarbeiterkind. Der Leser entdeckt sofort die Parallelen zum Fall von 1939. Thomas findet die Leiche, muss aber bereits am nächsten Tag feststellen, dass der Fall manipuliert und als tragischer Unfalltod deklariert wurde...

Mehr und mehr verliert Thomas den Glauben an die Gerechtigkeit und Ehrlichkeit seiner Idole. Er begehrt auf, ermittelt auf eigene Faust, was ihn nicht beliebt macht bei den Kollegen. Privat wird er dabei von seiner neuen Freundin Peggy unterstützt, die aus einem Fürsorgeheim getürmt ist. Peggy ist ein Kind ihrer Zeit, sie liebt die Musik der Beatles, der Rolling Stones, deren Melodien und Texte den Roman durchziehen.

Die zweite Zeitebene wird auch weitergeführt. Offensichtlich sind im Jahr 1941 Kriegsverbrechen geschehen, in die Teile der Düsseldorfer Polizei verwickelt sind. Thomas kommt per Zufall ins Archiv und kann anhand alter Akten Zusammenhänge aufspüren, auch den Fall der kleinen Lotte. Unnachgiebig und mit kriminalistischer Spürnase sucht er nach der Wahrheit. Er will die Verantwortlichen stellen, sowohl den Triebtäter als auch diejenigen, die ihn schützen, um weitere Opfer zu verhindern. Das führt zu einer kurzweiligen Lesereise an verschiedene Handlungsorte. Man folgt Thomas nach Amsterdam und Polen, man lernt die grauenhaften Zustände in psychiatrischen Heilanstalten und Fürsorgeheimen kennen, in denen die Schutzbefohlenen unterdrückt und missbraucht werden. Überall ist das Obrigkeitsdenken noch weit verbreitet, die Behörden sind mit Alt-Nationalsozialisten und entsprechendem Gedankengut durchsetzt, alte Seilschaften sind lange haltbar, vom Rechtsstaat ist die Republik noch weit entfernt. Die ersten Gastarbeiter wurden angeworben, sie leben in Barracken, werden beschimpft und haben keine Reputation.

Christos hat sorgfältig recherchiert und gibt einen guten Einblick in diese Jahre der Vergangenheits-Verdrängung. Auf der anderen Seite begegnen wir rund um Peggy aber auch jungen Menschen, die Freude am Tanzen, der freien Liebe und am Leben haben, die tolerant sind und neue Vorbilder suchen. Wer Düsseldorf kennt, wird auch am Lokalkolorit seine Freude haben.

Die Kriminalfälle an sich sind interessant verwoben, die Verknüpfung der Zeitebenen schlüssig. Schwierigkeiten hatte ich mit der Art der Darstellung. Mir sind viele Dialoge, Situationen, Einstellungen und Figuren einfach zu plakativ, eindimensional und platt geraten. Christos will uns mit dem Zaunpfahl auf bestehende Defizite, Ungerechtigkeiten und Radikale hinweisen, wo ein Zeigestock genügt hätte. Es gibt dabei aber nur Schwarz und Weiß, keine Grautöne. Die Guten sind gut und die Bösen böse. Als Leser fühlte ich mich bevormundet, weil nichts zwischen den Zeilen steht, sondern alles auf dem Silbertablett präsentiert wird. Die Dialoge geraten dadurch überzeichnet, da kommen Aussagen wie:
„Ein nordischer Mann kann nie ein Verbrecher sein, geschweige denn ein Kinderschänder. Merken Sie sich, Verbrecher sind Untermenschen, Perverse und Juden.“ (S.105)
„Wir können die Langhaarigen leider nicht wie früher ins Arbeitslager stecken, aber wir können ihnen mit unseren Schlagstöcken Manieren beibringen.“ (S. 126)
„Was heißt Kapo?“ „Das waren die Aufseher im KZ. Ich weiß also, wie man mit Kanaken umgeht.“ (S. 163)
Im Gegensatz dazu erfährt Thomas in kurzer Zeit eine wundersame Wandlung vom biederen Dorfjungen zum Superhelden.

Das Ende ist schlüssig konstruiert. Hier laufen die verschiedenen Zeitebenen zusammen. Es gibt ein richtig launiges Finale, das Überraschungen bereithält. Man sollte nur nicht zu kritisch sein, inwiefern die Fiktion auch der Realität entsprechen kann.
Insofern ist „1965“ ein solide konstruierter Krimi mit starkem Bezug in die Jahre des Nationalsozialismus. Er ist unterhaltsam und bildhaft, konnte mich jedoch nicht völlig überzeugen.

3/5 Sterne



 
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Krimis, die in den 1960er Jahren angesiedelt sind, gibt es bislang nicht viele. Der Titel hat mich sofort angesprochen, zumal das Buch auch haptisch sehr ansprechend gestaltet ist. Insofern wurde ich sehr überrascht, als ich mich schon auf der ersten Seite im Jahr 1939 wiederfand. Der Autor erzählt seine Geschichte nämlich auf zwei Zeitebenen, in beiden geht es unter anderem um Sexualmorde an kleinen Mädchen, die offensichtlich miteinander in Verbindung stehen. Der Einstieg in den Roman ist von daher sehr gelungen.

Thomas Engel ist in einem bürgerlich-biederen Elternhaus auf dem Land aufgewachsen. Sein Vater ist der Patriarch, der als Polizist extrem konservative Werte verkörpert. Thomas hat Abitur gemacht und träumt davon, Kripo-Beamter zu werden. Vorbild dafür ist sein „Onkel“ Kurt Strobel, ein enger Freund des Vaters. Thomas will raus aus der Enge, will in die Stadt. Dank des Onkels geht der Wunsch in Erfüllung, er absolviert seine Ausbildung bei der Kriminalpolizei Düsseldorf mit Bestnoten.

Der erste Mordfall führt Thomas und seine Abteilung in eine Zigeunersiedlung, wo ein Schreibmaschinen-Vertreter tot in einem Auto aufgefunden wird. Natürlich geraten zunächst die Roma in Tatverdacht. Der versierte Kurt Strobel findet jedoch Anzeichen einer Selbsttötung, so dass der Fall zu den Akten gelegt werden kann. Allerdings hätte der Tote noch einen Termin in der Sonderkommission für Nazi-Verbrechen gehabt, was den dortigen Ermittler Drezko misstrauisch macht und weiter ermitteln lässt. Bereits hier vermutet man Verstrickungen der Polizei, die in die Nazi-Vergangenheit zurückreichen.

Kurz vor dem 2. Weltkrieg wurde die kleine Radschlägerin Lotte verschleppt und Opfer eines Sexualmordes. Spuren am Tatort weisen auf ein seltenes Auto hin, Hauptkommissar Salziger ist zuversichtlich, den Täter stellen zu können. Der Fall wird ihm jedoch von der Gestapo entzogen. Man präsentiert einen bemitleidenswerten Schwulen als Triebtäter, dem man ein Geständnis durch Folter abpresst.

Im Jahr 1965 geschieht nun ein sehr ähnlicher Mord an einem kleinen Gastarbeiterkind. Der Leser entdeckt sofort die Parallelen zum Fall von 1939. Thomas findet die Leiche, muss aber bereits am nächsten Tag feststellen, dass der Fall manipuliert und als tragischer Unfalltod deklariert wurde...

Mehr und mehr verliert Thomas den Glauben an die Gerechtigkeit und Ehrlichkeit seiner Idole. Er begehrt auf, ermittelt auf eigene Faust, was ihn nicht beliebt macht bei den Kollegen. Privat wird er dabei von seiner neuen Freundin Peggy unterstützt, die aus einem Fürsorgeheim getürmt ist. Peggy ist ein Kind ihrer Zeit, sie liebt die Musik der Beatles, der Rolling Stones, deren Melodien und Texte den Roman durchziehen.

Die zweite Zeitebene wird auch weitergeführt. Offensichtlich sind im Jahr 1941 Kriegsverbrechen geschehen, in die Teile der Düsseldorfer Polizei verwickelt sind. Thomas kommt per Zufall ins Archiv und kann anhand alter Akten Zusammenhänge aufspüren, auch den Fall der kleinen Lotte. Unnachgiebig und mit kriminalistischer Spürnase sucht er nach der Wahrheit. Er will die Verantwortlichen stellen, sowohl den Triebtäter als auch diejenigen, die ihn schützen, um weitere Opfer zu verhindern. Das führt zu einer kurzweiligen Lesereise an verschiedene Handlungsorte. Man folgt Thomas nach Amsterdam und Polen, man lernt die grauenhaften Zustände in psychiatrischen Heilanstalten und Fürsorgeheimen kennen, in denen die Schutzbefohlenen unterdrückt und missbraucht werden. Überall ist das Obrigkeitsdenken noch weit verbreitet, die Behörden sind mit Alt-Nationalsozialisten und entsprechendem Gedankengut durchsetzt, alte Seilschaften sind lange haltbar, vom Rechtsstaat ist die Republik noch weit entfernt. Die ersten Gastarbeiter wurden angeworben, sie leben in Barracken, werden beschimpft und haben keine Reputation.

Christos hat sorgfältig recherchiert und gibt einen guten Einblick in diese Jahre der Vergangenheits-Verdrängung. Auf der anderen Seite begegnen wir rund um Peggy aber auch jungen Menschen, die Freude am Tanzen, der freien Liebe und am Leben haben, die tolerant sind und neue Vorbilder suchen. Wer Düsseldorf kennt, wird auch am Lokalkolorit seine Freude haben.

Die Kriminalfälle an sich sind interessant verwoben, die Verknüpfung der Zeitebenen schlüssig. Schwierigkeiten hatte ich mit der Art der Darstellung. Mir sind viele Dialoge, Situationen, Einstellungen und Figuren einfach zu plakativ, eindimensional und platt geraten. Christos will uns mit dem Zaunpfahl auf bestehende Defizite, Ungerechtigkeiten und Radikale hinweisen, wo ein Zeigestock genügt hätte. Es gibt dabei aber nur Schwarz und Weiß, keine Grautöne. Die Guten sind gut und die Bösen böse. Als Leser fühlte ich mich bevormundet, weil nichts zwischen den Zeilen steht, sondern alles auf dem Silbertablett präsentiert wird. Die Dialoge geraten dadurch überzeichnet, da kommen Aussagen wie:
„Ein nordischer Mann kann nie ein Verbrecher sein, geschweige denn ein Kinderschänder. Merken Sie sich, Verbrecher sind Untermenschen, Perverse und Juden.“ (S.105)
„Wir können die Langhaarigen leider nicht wie früher ins Arbeitslager stecken, aber wir können ihnen mit unseren Schlagstöcken Manieren beibringen.“ (S. 126)
„Was heißt Kapo?“ „Das waren die Aufseher im KZ. Ich weiß also, wie man mit Kanaken umgeht.“ (S. 163)
Im Gegensatz dazu erfährt Thomas in kurzer Zeit eine wundersame Wandlung vom biederen Dorfjungen zum Superhelden.

Das Ende ist schlüssig konstruiert. Hier laufen die verschiedenen Zeitebenen zusammen. Es gibt ein richtig launiges Finale, das Überraschungen bereithält. Man sollte nur nicht zu kritisch sein, inwiefern die Fiktion auch der Realität entsprechen kann.
Insofern ist „1965“ ein solide konstruierter Krimi mit starkem Bezug in die Jahre des 2. Weltkrieges. Er ist unterhaltsam und bildhaft, konnte mich jedoch nicht völlig überzeugen.

3/5 Sterne



Danke für die hilfreiche Rezension. Hilfreich insofern, als dass ich beschlossen habe, dieses Buch nicht lesen zu müssen.
 
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