Rezension Rezension (4/5*) zu Unter der Erde: Thriller von Stephan Ludwig.

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Von Wölfen und Schafen

30 Jahre ist es her, dass der mittelmäßig erfolgreiche Autor Elias Haack seinen Großvater, Wilhelm, zu dessen neunzigstem Geburtstag er eingeladen ist, gesehen hat. Doch das Wiedersehen steht unter keinem guten Stern: Bei seiner Reise in das brandenburgische Dorf Volkow verunglückt Elias, kurze Zeit später stirbt sein Großvater. Elias sitzt nun fest in diesem Dorf, dessen Einwohner/innen ihm mehr als seltsam erscheinen. Für den Autor beginnt damit eine Reise in die Katakomben … die des Dorfes und die seiner eigenen Vergangenheit.
Erschienen ist dieser 400-seitige Thriller im Februar 2020 bei Fischer Scherz.
Anfangs mögen Leserinnen und Leser nicht so recht wissen, woran sie bei diesem Thriller sind. Er beginnt eher gemächlich und gewinnt seine subtile Spannung aus der bizarren Wesensart seiner Charaktere. Insbesondere die Einwohner/innen des Dorfes sind zwar recht skurril, erscheinen aber harmlos. Lediglich erahnen die Leser/innen das Unheimliche, wenn Elias heimlich überwacht wird. In der zweiten Hälfte dann wird deutlich, wie viele Leichen die Menschen von Volkow im Keller haben. Nach einer überraschenden Wendung nimmt die Handlung enorm Fahrt an, um in einem fulminanten Finale zu enden.
Der Roman führt zurück in die Vergangenheit – in die des Protagonisten durch Flashbacks sowie in die des von der Roten Armee besetzten Ostteils unseres Landes. Allerdings sind die Schatten, die die Geschichte auf die Dörfler/innen wirft, m.E. etwas realitätsfern. Nichtsdestotrotz wird die Nachkriegszeit im Lager eindrücklich dargestellt und der Roman insgesamt beschert der Leserschaft ein nervenaufreibendes Lesevergnügen.
Die Handlung wird auf mehreren Ebenen erzählt: Zum einen ist da die aktuelle Handlung in der Gegenwart, unterbrochen von Rückschauen auf Elias‘ Kindheit, die nach und nach das Drama seiner Herkunft lüften. Schließlich wird vor allem im vierten dieses fünfteiligen Thrillers die Geschichte von Wilhelms Nachkriegszeit in einem sowjetischen Gefangenenlager aufgerollt.
Die Charaktere dieses Thrillers sind eine Ansammlung skurriler Figuren, niemand ist so, wie zu sein er oder sie vorgibt. Lediglich die junge Jessi und Elias bleiben sich selber treu und machen dadurch positive Entwicklungen durch.
Stephan Ludwigs Schreibstil ist schnörkellos und flüssig zu lesen. Die Beschreibungen sind plastisch, weshalb man das von Gott und der Welt verlassene Dorf förmlich vor Augen hat. Auch das Lagerleben ist eindrücklich zu lesen.
Alles in allem hat Ludwig mit „Unter der Erde“ einen Thriller geschaffen, dessen Ende sich über weiter Strecken nicht erahnen lässt, und der somit ein rätselhaftes Lesevergnügen bereitet. Vor allem aufgrund der m.E. doch recht großen Realitätsferne vergebe ich dann „nur“ dreieinhalb von fünf Lesepunkten, empfehle das Buch allen Thrillerfans aber gerne zur Lektüre weiter. Es lohnt sich!