Rezension Rezension (4/5*) zu Middlemarch von George Eliot.

MRO1975

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11. August 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Middlemarch von George Eliot
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Eine Studie über das Leben in der Provinz


Middlemarch ist der bedeutende Roman von Mary Ann Evans. Die Autorin veröffentlichte ihn unter dem männlichen Pseudonym George Eliot, weil sie offensichtlich davon ausging, ihn andernfalls nicht veröffentlichen zu können oder dafür öffentlich kritisiert zu werden. Die Autorin war also selbst Opfer des Frauenbilds im angehenden 19. Jahrhunderts, das sie in ihrem Roman trefflich schildert und mit viel Ironie und teils spitzer Zunge beschreibt.

Dennoch ist Middlemarch kein feministischer Roman. Die Autorin schildert vielmehr einfach das Leben der Mittelschicht in einer mittelgroßen, fiktiven englischen Kleinstadt zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Dabei stehen im Wesentlichen vier Frauen im Vordergrund, die aus sehr unter-schiedlichen Verhältnissen kommen und in der damals von Männern dominierten Welt ihren Weg suchen.

Zunächst ist da Dorothea Brook. Ihre Familie gehört dem niederen Adel an. Nach dem Tod ihrer Eltern lebt sie mit ihrer Schwester Celia bei ihrem Onkel, der auch der Friedensrichter der Gegend ist. Dorothea strebt nach Höherem. Sie will ihrem Leben Sinn verleihen, Gutes tun. Als Frau in ihrer Position stehen ihr indes nicht viele Möglichkeiten offen. Sie entscheidet sich, den viel älteren Geistlichen Casaubon zu heiraten. Sie bewundert Casaubons Intellekt und wünscht sich, ihn bei seinen Forschungen zu unterstützen und von ihm zu lernen. Die Ehe bleibt allerdings weit hinter den Erwartungen Dorotheas zurück und – bis das der Tod sie scheidet ˗ trostlos. Erst als Casaubons Witwe findet Dorothea den Mut, ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen.

Dorotheas Schwester Celia hat weniger hochfliegende Träume. Sie ist angepasst, heiratet standes¬gemäß einen Landadeligen, gebiert ihm Kinder und führt sein Haus. Sie hat keine hohen Erwartungen und wird demgemäß auch kaum enttäuscht.

Dagegen ist die Enttäuschung von der Ehe bei der verwöhnten Rosamond Vincy groß. Sie stammt aus einer (ehemals) reichen Fabrikantenfamilie. Sehr gut aussehend und gut erzogen, liegen ihr die Verehrer zu Füßen. Rosamond möchte aus ihren bürgerlichen Verhältnissen aufsteigen und am liebsten Middlemarch und seine Bewohner hinter sich lassen. Der junge, gerade zugezogene Arzt Lydgate scheint da gerade der richtige Ehekandidat. Daher wickelt sie ihn ein und bringt ihn dazu, sie zu heiraten. Nachdem der anfängliche Zauber verflogen ist, ist der Jammer allerdings groß. Zu unterschiedlich sind die Charaktere von Rosamond und Lydgate und keiner von beiden kann und will die Erwartungen des anderen erfüllen.

Neben Dorothea Brook ist Mary Garth ein weiterer Lichtblick in der Frauenrunde. Mary kommt aus einfachen Verhältnissen und ihre Rechtschaffenheit ist beeindruckend. Anders als Dorothea verfügt sie nicht über die finanziellen Mittel, andern zu helfen. Dennoch ist sie jederzeit bereit, anderen die erforderliche Hilfe und Unterstützung zu leisten und weiß immer, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Die beschriebenen Frauen und ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft stehen klar im Vordergrund des Romans. Die Autorin erzählt bildreich und anschaulich, unter welchen Zwängen und Benachteiligungen Frauen damals leben mussten. Sie geizt nicht mit Kritik an der untergeordneten Rolle der Frauen und ihren schlechten bis nicht vorhandenen Bildungschancen. Da ist es kein Wunder, dass die Autorin mit massiver Kritik an ihrem Werk rechnete. Allerdings beschränkt sich die Autorin auf eine Situationsbeschreibung und zeigt keinen Ausweg. Erkenntnis ist allerdings der erste Schritt zur Verbesserung.

Neben den Frauen wird der Roman natürlich von einer großen Anzahl weiterer Personen bevölkert, deren Schicksal und Erleben die Autorin wunderbar miteinander verwebt, sodass tatsächlich ein gut vorstellbares Bild vom Leben in der Provinz entsteht. Historische Ereignisse, wie die Wahlrechtsreform, sowie der Bau der ersten Eisenbahnen finden ebenfalls ihren Platz. Insgesamt gibt der Roman ein gut abgerundetes Bild ab. Aufgrund einiger Längen gibt es von mir 4 Sterne.