Rezension Rezension (2/5*) zu Das Ministerium des äußersten Glücks: Roman von Arundhati Roy.

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Buchinformationen und Rezensionen zu Das Ministerium des äußersten Glücks: Roman von Arundhati Roy
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... Puh...schwierig, schwierig...


Arundathi Roy’s zweiter Roman, ein 543 Seiten langer Abriss der Geschichte des modernen Indiens, ist ein politischer, kritischer, provokativer und aktueller Roman, in dem es v. a. um den Kaschmirkonflikt und um die Kasten- und Glaubenskämpfe in Indien geht.

Das Wissen, die Erfahrung und die Empörung der Autorin springen dem Leser entgegen. Man wird mit einem Bombardement an Gewalt, Gräuel und Ungerechtigkeiten konfrontiert.

Eingebettet sind diese Themen in die erschreckenden und interessanten, teilweise auch berührenden Geschichten von Anjum, einem Hermaphroditen, der als Sohn geboren wird, als Frau ein selbstbestimmtes Leben führt und eine kleine Parallelwelt auf einem Friedhof gründet und vier Studienfreunden, v. a. Tilo, die von ihrer leiblichen Mutter adoptiert wurde.

Man liest Dutzende von schrecklichen Geschichten über Folter und Misshandlung, wird mit komplexen politischen Themen bombardiert und atmet auf, wenn die Autorin kurzzeitig zu einer leichter lesbaren und besser verständlichen Liebes- oder Familiengeschichte wechselt.

Es fiel mir nicht immer leicht, den zahlreichen Erzählfäden zu folgen und die Charaktere blieben mir bis zuletzt ziemlich fremd. Den Romanfiguren fehlte es meines Erachtens an Tiefe und Vielschichtigkeit und ich „wurde nicht warm“ mit ihnen.

Die Autorin kommt häufig vom Hölzchen aufs Stöckchen und insgesamt wirken die Handlungsstränge auf mich überfrachtet. Überbordende Fülle und rasante Geschwindigkeit führten dazu, dass ich mich oft verloren fühlte und immer wieder überlegte, ob ich den Roman abbrechen sollte. Aber Hoffnung, Neugierde und Ehrgeiz, das Begonnene zu beenden hielten mich davon ab. Wenn man, wie ich, dazu neigt, alles verstehen zu wollen, dann ist die Lektüre stellenweise fast unerträglich. Wahrscheinlich müsste man sich intensiv einlesen, um Roys Andeutungen, schaurige Anekdoten und Aphorismen sowie sämtliche politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen.

Eine Aussage auf Seite 356 ließ mich innehalten. Auf einem Notizzettel von Tilo steht, dass sie gern eine dieser kultivierten Geschichten schreiben würde, in denen zwar nichts passiere, aber es trotzdem viel gebe, worüber man schreiben könne so etwas sei in Kashmir nicht möglich, es sei nicht kultiviert, was hier passiere. Es gebe zu viel Blut für gute Literatur.

Ich dachte mir, dass die m. E. für ihr kämpferisches Engagement bewundernswerte politische Aktivistin, Kritikerin und Autorin auf diesem Notizzettel wahrscheinlich ihre eigenen Gedanken niedergeschrieben hat.
Hat sie vermutet, befürchtet oder erkannt, dass in ihrem Roman zu viel Blutiges passiert und er deshalb nicht mehr zur sog. „gute Literatur“ gezählt werden kann?

Für mich war das Buch im Großen und Ganzen eine Enttäuschung - überfrachtet und z. T. sprunghaft und verwirrend - es war für mich letztlich so chaotisch wie das Land, von dem ich in meinem letzten Urlaub einen Eindruck bekommen habe.

Obwohl es auch Textstellen gab, die mir sprachlich gefielen, weil sie lebhafte Bilder und Szenen in mir auslösten wie z. B. „Den ganzen Morgen war ein heißer Wind durch die Straßen gepeitscht und hatte Staub, Kronkorken und Beedi-Kippen vor sich her und gegen Windschutzscheiben und in die Augen von Fahrradfahrern getrieben … die Hitze flirrte auf den Straßen wie eine Bauchtänzerin. Die Menschen warteten auf das Gewitter, das auf jeden Sandsturm folgte, aber es kam nicht. Ein Feuer wütete durch eine Ansammlung von Hütten am Flussufer, verwüstete im Nu mehr als zweitausend. Dennoch blühte der Indische Goldregen in einem trotzigen Gelb.“ Welch“ schöne und poetische Beschreibung! Ich hätte gern mehr davon gehabt.

Was mich bei der Lektüre begleitet hat, war der Eindruck, dass die Autorin ihren politischen und gesellschaftlichen Kampf auf literarischer Ebene fortführen wollte. Sie hat den Roman damit gnadenlos überfrachtet. Sie hat ihn mit Tragödien vollgestopft und das war mir zu viel. Ich hatte das Gefühl, dass eine Tragödie nach der anderen abgehandelt wird.

„Das Ministerium des äußersten Glücks“ ist ein sehr komplexer Roman, in dem ich Einiges über Indien lernte und der sehr viel Ausdauer, „Mut zur Lücke“ und Konzentration von mir forderte und weder vergnüglich noch unterhaltsam war, den ich jedoch letztlich unbedingt zu Ende lesen wollte. Und am Ende war ich dann froh, durchgehalten zu haben, weil es eben doch eine neue und interessante Leseerfahrung war.

 

Literaturhexle

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Und am Ende war ich dann froh, durchgehalten zu haben, weil es eben doch eine neue und interessante Leseerfahrung war.
Danke für deine Eindrücke! Auf diese Leseerfahrung werde ich verzichten. Kennst du den Vorgänger?
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Den hätte ich noch auf dem Reader, hat auch mal den Booker Preis gewonnen, meine ich.
 

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Danke für deine Eindrücke! Auf diese Leseerfahrung werde ich verzichten. Kennst du den Vorgänger?
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Den hätte ich noch auf dem Reader, hat auch mal den Booker Preis gewonnen, meine ich.
... diesen Roman schenkte mir mein Mann, als ich während meiner ersten Schwangerschaft wegen vorzeitigen Wehen liegen musste. Es ist also schon richtig lange her, dass ich das Buch gelesen habe. Aber ich habe es in äußerst guter Erinnerung. Es ist wieder mal keine Erinnerung an den Inhalt, sondern es ist eher eine emotionale Erinnerung.
 
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Arundathi Roy’s zweiter Roman, ein 543 Seiten langer Abriss der Geschichte des modernen Indiens, ist ein politischer, kritischer, provokativer und aktueller Roman, in dem es v. a. um den Kaschmirkonflikt und um die Kasten- und Glaubenskämpfe in Indien geht.

Das Wissen, die Erfahrung und die Empörung der Autorin springen dem Leser entgegen. Man wird mit einem Bombardement an Gewalt, Gräuel und Ungerechtigkeiten konfrontiert.

Eingebettet sind diese Themen in die erschreckenden und interessanten, teilweise auch berührenden Geschichten von Anjum, einem Hermaphroditen, der als Sohn geboren wird, als Frau ein selbstbestimmtes Leben führt und eine kleine Parallelwelt auf einem Friedhof gründet und vier Studienfreunden, v. a. Tilo, die von ihrer leiblichen Mutter adoptiert wurde.

Man liest Dutzende von schrecklichen Geschichten über Folter und Misshandlung, wird mit komplexen politischen Themen bombardiert und atmet auf, wenn die Autorin kurzzeitig zu einer leichter lesbaren und besser verständlichen Liebes- oder Familiengeschichte wechselt.

Es fiel mir nicht immer leicht, den zahlreichen Erzählfäden zu folgen und die Charaktere blieben mir bis zuletzt ziemlich fremd. Den Romanfiguren fehlte es meines Erachtens an Tiefe und Vielschichtigkeit und ich „wurde nicht warm“ mit ihnen.

Die Autorin kommt häufig vom Hölzchen aufs Stöckchen und insgesamt wirken die Handlungsstränge auf mich überfrachtet. Überbordende Fülle und rasante Geschwindigkeit führten dazu, dass ich mich oft verloren fühlte und immer wieder überlegte, ob ich den Roman abbrechen sollte. Aber Hoffnung, Neugierde und Ehrgeiz, das Begonnene zu beenden hielten mich davon ab. Wenn man, wie ich, dazu neigt, alles verstehen zu wollen, dann ist die Lektüre stellenweise fast unerträglich. Wahrscheinlich müsste man sich intensiv einlesen, um Roys Andeutungen, schaurige Anekdoten und Aphorismen sowie sämtliche politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen.

Eine Aussage auf Seite 356 ließ mich innehalten. Auf einem Notizzettel von Tilo steht, dass sie gern eine dieser kultivierten Geschichten schreiben würde, in denen zwar nichts passiere, aber es trotzdem viel gebe, worüber man schreiben könne so etwas sei in Kashmir nicht möglich, es sei nicht kultiviert, was hier passiere. Es gebe zu viel Blut für gute Literatur.

Ich dachte mir, dass die m. E. für ihr kämpferisches Engagement bewundernswerte politische Aktivistin, Kritikerin und Autorin auf diesem Notizzettel wahrscheinlich ihre eigenen Gedanken niedergeschrieben hat.
Hat sie vermutet, befürchtet oder erkannt, dass in ihrem Roman zu viel Blutiges passiert und er deshalb nicht mehr zur sog. „gute Literatur“ gezählt werden kann?

Für mich war das Buch im Großen und Ganzen eine Enttäuschung - überfrachtet und z. T. sprunghaft und verwirrend - es war für mich letztlich so chaotisch wie das Land, von dem ich in meinem letzten Urlaub einen Eindruck bekommen habe.

Obwohl es auch Textstellen gab, die mir sprachlich gefielen, weil sie lebhafte Bilder und Szenen in mir auslösten wie z. B. „Den ganzen Morgen war ein heißer Wind durch die Straßen gepeitscht und hatte Staub, Kronkorken und Beedi-Kippen vor sich her und gegen Windschutzscheiben und in die Augen von Fahrradfahrern getrieben … die Hitze flirrte auf den Straßen wie eine Bauchtänzerin. Die Menschen warteten auf das Gewitter, das auf jeden Sandsturm folgte, aber es kam nicht. Ein Feuer wütete durch eine Ansammlung von Hütten am Flussufer, verwüstete im Nu mehr als zweitausend. Dennoch blühte der Indische Goldregen in einem trotzigen Gelb.“ Welch“ schöne und poetische Beschreibung! Ich hätte gern mehr davon gehabt.

Was mich bei der Lektüre begleitet hat, war der Eindruck, dass die Autorin ihren politischen und gesellschaftlichen Kampf auf literarischer Ebene fortführen wollte. Sie hat den Roman damit gnadenlos überfrachtet. Sie hat ihn mit Tragödien vollgestopft und das war mir zu viel. Ich hatte das Gefühl, dass eine Tragödie nach der anderen abgehandelt wird.

„Das Ministerium des äußersten Glücks“ ist ein sehr komplexer Roman, in dem ich Einiges über Indien lernte und der sehr viel Ausdauer, „Mut zur Lücke“ und Konzentration von mir forderte und weder vergnüglich noch unterhaltsam war, den ich jedoch letztlich unbedingt zu Ende lesen wollte. Und am Ende war ich dann froh, durchgehalten zu haben, weil es eben doch eine neue und interessante Leseerfahrung war.


Ich bin wirklich immer froh, wenn ich hier auch mal eine zwei Sterne Bewertung lese, das beruhigt mich ungemein und ich kann wieder beherzt ein Buch streichen, danke!
 
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