FAZIT zu "Milchmann"

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.635
4.771
49
62
Essen
Ein wunderbarer Roman, der uns die so absurde, "psychopolitische" Atmosphäre im Nordirland der späten 1970er Jahre durch eine sehr typologisch gestrickte, aber gleichzeitig auch psychologisch dichte Schilderung von Menschen, Geschichten, Schicksalen und Situationen nahe bringt. Gerade in Zeiten des Brexits, wo die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und der Republik Irland wieder Gewicht und damit ihre gefährliche Brisanz zu erhalten droht, ist dieser Roman ein wichtiger Beitrag für die LeserInnen und für mich sehr aufrüttelnd.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.167
49
Dieser Roman ist etwas ganz Besonderes! Sprachlich dicht und sehr atmosphärisch werden wir nach Irland zeitversetzt. Der Konflikt und vor allem, was er für den Einzelnen bedeutet, wird unglaublich lebensnah geschildert.
Keine Namen sind für mich der Beleg dafür, dass die Handlung auch in anderen Ländern, zu anderen Zeiten spielen kann.
Das Ende empfand ich als etwas überzogen. Aber das kann meinen positiven Gesamteindruck nicht schmälern. Der Roman ist ein großer Wurf.
https://whatchareadin.de/community/threads/rezension-5-5-zu-milchmann-roman-von-anna-burns.20858/
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Habe letztlich mein Fazit schon im letzten Leseabschnitt gepostet. Ein außergewöhnlicher Roman, der thematisch und sprachlich überzeugt. Die Erzählweise ermöglicht tiefe Einblicke in die Psyche einer verängstigten jungen Frau, die der Gewalt des Milchmanns nicht gewachsen ist und letztlich nach dem privaten Schlag kapituliert. Sie wählt die vermeintlich falsche Strategie, wobei ich sicher bin, auch eine andere hätte nichts an den Gerüchten geändert. Neben dieser persönlichen Geschichte bietet der Roman einen Einblick in die politischen Verhältnisse der 70er Jahre in Belfast - die Situation in der katholischen Hochburg umgeben von "denen", die die Staatsmacht repräsentieren. Ein Fünf-Sterne-Roman!
https://whatchareadin.de/community/threads/rezension-5-5-zu-milchmann-roman-von-anna-burns.20873/
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.167
49
Doch durch die überragende Leserunde hier bin ich eines besseren "belehrt" worden und so ist es nun auch für mich zu einem 5*-Buch geworden.
Ich sage es doch: DREAMTEAM :rolleyes:
Nirgends kann man so schön über anspruchsvolle Bücher diskutieren wie mit euch. Es tut mir weh, die zum Teil unterirdischen Rezensionen im Netz zu sehen. Diese Leute haben das Buch nicht VERSTANDEN ! Das hätte ich vielleicht vor 20-30 Jahren auch nicht. Aber da wird ein perfekt durchkomponierter, komplexer und sprachlich grandioser Roman einfach niedergemacht, "weil er zu langweilig" ist. Autsch!
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Ich sage es doch: DREAMTEAM :rolleyes:
Nirgends kann man so schön über anspruchsvolle Bücher diskutieren wie mit euch. Es tut mir weh, die zum Teil unterirdischen Rezensionen im Netz zu sehen. Diese Leute haben das Buch nicht VERSTANDEN ! Das hätte ich vielleicht vor 20-30 Jahren auch nicht. Aber da wird ein perfekt durchkomponierter, komplexer und sprachlich grandioser Roman einfach niedergemacht, "weil er zu langweilig" ist. Autsch!
Allerdings haben die anspruchsvollen Feuilleton Blätter den Roman positiv besprochen, wir sind halt auch Profis ;)
 

MRO1975

Bekanntes Mitglied
11. August 2018
1.538
3.981
49
48
Ich habe meine Einschätzung auch schon im letzten Abschnitt hinterlassen.

Die historische Einbindung fand ich sehr interessant. Das Buch hat mir die Augen geöffnet für den Nordirlandkonflikt und dessen Auswirkungen auf das tägliche Leben der kleinen Leute. Allein deshalb ist der Roman sehr lesenswert.

Der rote Faden um die Bedrängnis der Erzählerin hat zudem einen aktuellen Bezug und für mich sehr nachvollziehbar geschildert worden.

Einiger kleiner Minuspunkt: Für mich waren einige der inneren Reflexionen einfach zu lang und das Ende blieb unbefriedigend. Vllt. musste das so sein, um die Botschaft des Romans rüberzubringen; gefallen muss es mir dennoch nicht. Werden wohl 4 gute Sterne.
 

Leseglück

Aktives Mitglied
7. Juni 2017
543
1.272
44
67
Ein Roman zum Nordirlandkonflikt (und zu jeder durch Hass und Gewalt vergifteten Gesellschaft) aus der Sicht einer jungen Frau.
Ich habe den Roman auch als feministisches Buch, im weitesten Sinne gelesen (ich hoffe, das stört dich nicht @Literaturhexle ;))
Eine Besonderheit war der Schreibstil der Autorin, die langen Sätze, viele Aufzählungen, viele Reflextionen...aus meiner Sicht passend zu der undurchsichtigen, komplexen und bedrohlichen Gesellschaftsstruktur.

Eine Entwicklung der Protagonistin hat stattgefunden hauptsächlich zwischen der erlebenden Icherzählerin und der erzählenden Icherzählerin. Ich hoffe ich habe die Begriffe richtig wiedergegeben und danke @Querleserin für diese klare Unterscheidung!
Der Unterschied zwischen diesen beiden Icherzählerinnen ist einfach, dass die ältere nun Worte für das hat, was mit ihr damals geschehen ist und damit erst die Möglichkeit, darüber zu sprechen und sich mit anderen Zusammen zu tun...siehe Metoo.

Ein vielschichtiger Roman, von dem man definitiv mehr hat, wenn man ihn mit anderen zusammen liest: vielen Dank an die Leserunde!
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.167
49
Ich habe den Roman auch als feministisches Buch, im weitesten Sinne gelesen (ich hoffe, das stört dich nicht @Literaturhexle ;))
Nein. Überhaupt nicht. Das ist hier aber ein feministisches Buch im positiven Sinn. Eines, das eine Geschichte erzählt, ohne laufend mit dem Zeigefinger das Feministische zu betonen.
Auf alle Fälle werden hier Frauenthemen in den Mittelpunkt gerückt und die Ungerechtigkeiten herausgestellt. Passt für mich alles!
 

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.635
4.771
49
62
Essen
Das ist hier aber ein feministisches Buch im positiven Sinn.
Als feministisches Buch habe ich das überhaupt nicht gelesen, sondern als ein zutiefst politisches! Aber jeder soll sich das herausziehen, was für ihn/sie passt! Das ist wahrscheinlich auch eine Qualitätsmerkmal eines Buches, wenn es so vielschichtig ist.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.167
49
Das ist wahrscheinlich auch eine Qualitätsmerkmal eines Buches, wenn es so vielschichtig ist.
Da stimme ich dir unumwunden zu. Neben dem Politischen gab es aber auch Themen der Frauenbewegung. Schließlich wurden die Frauen von der Politik drastisch unterdrückt, haben aber Wege zur Gegenwehr gefunden...
Ein sehr vielschichtiges und großartiges Buch! Als "feministisches Buch" allein würde ich es auch nicht bezeichnen wollen.