Rezension Rezension (4/5*) zu Die Toten von Marnow: Ein Fall für Lona Mendt und Frank Elling von Holger Kars.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Leider konnten wir zu diesem Buch keine Daten ermitteln.
Definitiv kein 0-8-15-Krimi...

Der Jahrhundertsommer 2003. Gluthitze liegt über Marnow, dem malerischen Ort an der Mecklenburgischen Seenplatte. Die Kommissare Frank Elling und Lona Mendt ermitteln in einem Mordfall. Das Tatmotiv scheint klar, die Aufklärung nur eine Frage der Zeit. Doch nichts ist so, wie es scheint. So entpuppt sich das Tatmotiv als absichtlich gelegte Fehlspur des Mörders, der vermeintliche Routinefall als Beginn einer Mordserie mit brisantem politisch-historischem Hintergrund. Und mächtige Gegenspieler der Kommissare haben ein Interesse daran, die wahren Zusammenhänge im Dunkeln zu belassen. Je weiter Elling, der treu sorgende Familienvater, der auf recht großem Fuß lebt, und Mendt, die Unnahbare, die in ihrem Wohnmobil geheimnisvolle Besuche empfängt, in ihren Ermittlungen kommen, desto größer werden die Hindernisse, die sie überwinden müssen. Und desto häufiger lassen sie sich selbst zu moralisch höchst fragwürdigen Handlungen hinreißen. So zwingen die Ereignisse die beiden so unterschiedlichen Charaktere nach und nach, einander blind zu vertrauen – nicht zuletzt, um ihre eigene Haut zu retten.

480 Seiten stecken zwischen den Buchdeckeln der broschierten Ausgabe - eine Menge Text, der es in sich hat. Dieser Band läutet eine neue Krimireihe ein, und ich denke, da kann man sich auch in Zukunft auf einiges gefasst machen...

Worum es in diesem Krimi genau geht, kann man nicht wirklich auf den Punkt bringen, denn hier greifen viele Themen ineinander. Eines aber ist gewiss: hier gibt es kein klares Gut und Böse, kein Schwarz und Weiß - hier gibt es viele Grauschattierungen, die einen ins Grübeln bringen und gerade gegen Ende daran zweifeln lassen, was man nun selbst für richtig und für falsch hält.


"Es ging um diese feine Verwerfung zwischen Recht und Gerechtigkeit. Zwischen dem Recht, das die Gerichte sprachen, und der Gerechtigkeit, die dabei manchmal auf der Strecke blieb." (S. 467 f.)


Dieser erste Fall für Elling und Mendt führt die beiden Rostocker Ermittler tief in die DDR-Vergangenheit zurück, und es erweist sich, dass alte Stasi-Seilschaften bis heute wirksam sind. Ungeheuerliches tritt nach und nach zutage, und Elling und Mendt werden von gewissen einflussreichen Kreisen daran gehindert, dem näher auf die Spur zu kommen. Die Kommissare müssen tief in die Trickkiste greifen, um weiter graben zu können. Doch ihre Gegner sind mächtig...

Parallel zu den Ermittlungen zu den diversen Todesfällen spielt der private Hintergrund von Elling und Mendt hier eine große Rolle.

Elling ist der biedere Familienvater mit Reihenhäuschen, der seiner Frau und seiner Tochter jeden Wunsch von den Augen abliest - ein im Vergleich zu seinem eher bescheidenen Gehalt deutlich überzogener Lebensstil ist die Folge. Die Bank sitzt ihm wegen der Tilgung seiner Raten im Nacken, und der Platz im Altersheim für seine Mutter ist auch nicht gerade kostengünstig. Verschuldet wie er ist, greift Elling nach jedem Strohhalm - und ehe er es sich versieht, nimmt er das Bestechungsgeld einer ihm fremden Frau an, die dafür natürlich eine entsprechende Gegenleistung erwartet...

Lona Mendt hat sich erst vor kurzem von Hannover nach Rostock versetzen lassen und ist eine toughe, unabhängige Frau. Mit ihrem Campingwagen wechselt sie immer wieder ihren Wohnort, je nachdem, wo sie meint, sich gerdade wohlfühlen zu können. Schnell wird deutlich, dass sie vor irgendetwas aus ihrer Vergangenheit davon läuft. Die Ermittlerin hat ein schweres Päckchen zu tragen - etwas, das auch so manche ihrer Entscheidungen beeinflusst.

Beide Ermittler wagen beim Balanceakt von Recht und Unrecht immer wieder auch den Schritt auf die andere Seite. Manche 'Verfehlungen' erscheinen dabei mit dem Wissen um den Hintergrund der Tat zumindest nachvollziehbar, andere dagegen lassen neben dem Kopfschütteln darüber eigentlich nur die Frage zu, was beispielsweise Elling noch von einem 'gewöhnlichen' Verbrecher unterscheidet.

Insofern präsentiert der erfolgreiche Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt hier Ermittler, die polarisieren. Dies zieht sich bis zum Ende durch - und gefällt mir letztlich auch gut, denn so gibt es hier zwar mal wieder Kommissare, die auch im privaten Leben Dramen zu bewältigen haben, aber sie unterscheiden sich in ihrer Handlungsweise doch gewaltig von dem gewöhnlichen 'Einheitsbrei'.

Als Drehbuchautor ist Schmidt offensichtlich auch geläufig, wie man Spannung erzeugt. Dabei hat mir hier der Wechsel von spannenden mit eher ruhigen Abschnitten gut gefallen - und gegen Ende zog die Spannungskurve dann wie erwartet noch einmal gewaltig an. Zwar gab es im Handlungsverlauf immer wieder einmal Szenen, die für mich nicht schlüssig oder logisch waren, aber in der Summe konnte mich der Krimi nicht nur gut unterhalten, sondern hat mich durchaus auch zum Nachdenken gebracht. Gerade diese vage Grenze zwischen Gut und Böse stellte für mich ein interessantes Gedankenexperiment dar.

Definitiv kein 0-8-15-Krimi, aber spannende Unterhaltung, die unbedingt Lust auf mehr macht!


© Parden

von: Gerd Schilddorfer
von: Sven Amtsberg
von: Alexander Steffensmeier