Rezension Rezension (4/5*) zu Das Norman-Areal von Jan Kjaerstad.

Literaturhexle

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2. April 2017
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Buchinformationen und Rezensionen zu Das Norman-Areal von Jan Kjaerstad
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Wenn die Literatur wichtiger ist als das Leben

Dieses war mein erster Roman Kjaerstads. Ich habe ihn in zwei Abschnitten gelesen. Der Roman ist sorgfältig konstruiert, aber auch nicht einfach zu lesen, obwohl die Sprache ein Genuss ist. Selten habe ich zum Beispiel so ästhetisch über leidenschaftlichen Sex gelesen. Spätestens seit Reich-Ranicki wissen wir, dass das eine hohe Kunst ist 

John Richard Norman ist Lektor in einem großen Verlagshaus. Er hat die wertvolle Gabe, eingereichte Manuskripte nach Segel (gleich Spreu) und Schokolade (gleich Weizen) trennen zu können. Dadurch ist er für den Verlag ein unverzichtbarer Mitarbeiter. Er erkennt die wahrhaft prestigeträchtigen Bücher. 

Dann hat Norman einen Unfall , den er schwer verletzt überlebt. Allerdings kann er nicht mehr lesen: Sobald er ein Manuskript oder Buch vor die Augen nimmt, wird ihm speiübel....
Zur Erholung reist er in das Haus seines Freundes auf einer einsamenSchäreninsel. Beeindruckend sind die Schilderungen der Natur, der Vögel, des Meeres. Es ist (typisch norwegisch?) ein langsamer, beruhigender Roman. Am Strand beobachtet er eine Frau: Ingrid. Die beiden nähern sich langsam an, treffen sich, sprechen miteinander. Dann ist Ingrid mal wieder eine Weile verschwunden, trotzdemgeistert sie durch Normans Gedanken.

Im Teil zwei des Buches entwickelt sich nun eine geheimnisvolle Liebesgeschichte, die ich mit wachsendem Eifer gelesen habe. Ingrid gibt nicht viel von sich preis, dennoch wirkt ihre Liebe aufrichtig. Es taucht ein ehemaliger eifersüchtiger Geliebter auf, der den Lektor bedroht, es gibt Erlebnisse, die Zweifel an Ingrid aufkommen lassen,ob sie die ist, die sie zu sein scheint... Alles recht spannend.

Durch die Liebe beflügelt und von seinem Chef unter Druck gesetzt,beginnt Norman wieder Manuskripte zu lesen - dieses Mal ohne Übelkeit. Jedoch taucht er dermaßen tief in die Lektüren ein, dass sie zur Gefahr für die Liebe werden....

Das Normal-Areal ist eine neu entdeckte Zone im Frontallappen des menschlichen Gehirns, dass durch Lesen stimuliert wird. Der Arzt Dr. Lumholtz hat dieses bei Norman entdeckt und sich dessenErforschung verschrieben. Der gesamte Roman ist ein ausführlicherBericht des Ich-Erzählers John Richard Norman an die Assistentin eben jenes Arztes (der zwischenzeitlich einem Schlaganfall erlegen ist). Dieser Zusammenhang wurde mir erst am Ende richtig klar und macht die Struktur des Romans nicht ganz einfach.

Norman hat schon als Junge leidenschaftlich gern gelesen und darüber anderes Wichtige vergessen. Ist dieses "Norman-Areal" dafürverantwortlich gewesen? Ist dort auch seine Gabe zum Erschnüffeln künftiger Bestseller angesiedelt? Dieser medizinische Rahmen für diese Geschichte mutete mir etwas seltsam an. Nicht umsonst wird das Buch stellenweise auch in die Fantasy-Sparte eingeordnet.

Der Roman ist ein Plädoyer für das Lesen und die Liebe. Ob beides immer dermaßen in Konkurrenz zueinander stehen muss, hoffe ich nicht. Die Literatur ist für den Protagonisten wichtiger als das Leben. Sowohl über das Lesen als auch über die Liebe wird unglaublichleidenschaftlich und literarisch anspruchsvoll und packend geschrieben. Die Ausführungen über das Norman-Areal empfand ichwiederum als ermüdend, sie wirkten auf mich wie die hypochondrischen Innensichten eines alternden Mannes.

Wie soll ich dieses Buch, das zweifellos hohe Ansprüche erfüllt, denenich mich aber nicht in Gänze gewachsen sehe, bewerten? Ich werde es gefühlsmäßig angehen und lande zwischen 3 (für die langweiligen Passagen) und 4 (für die Passionen) Sternen:


 

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