Rezension Rezension (5/5*) zu Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte vom Franz Biberkopf (Fischer Klassik) vo.

nineLE

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4. November 2019
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Buchinformationen und Rezensionen zu Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin
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Großstadtdschungel und Lebensbild


Eine Herausforderung aufgrund des asynchronen Erzählstils, der Verknüpfung verschiedener Parallelwelten, der Einarbeitung von aktuellen Zeitgeschehnissen (Versammlungen, Fahrplan/Wetter/Auslagen), Zitaten von Goethe/Schiller etc., Vergleiche mit Götterbildnissen, Einarbeitung von Kulturgut des 19./20. JHs (Kinderlieder, Zählreime, Schlager), konkrete Darstellungen der damaligen Lebensverhältnisse, dezidierte Orts - und Zustandsbeschreibungen der Großstadt Berlins und des dortigen Lebens, verknüpft mit dem Schicksal des in diesem Sumpf strauchelnden Franz Biberkopf; kurzum ein Feuerwerk alles in Allem, das trifft es wohl am besten.

Es zu lesen ist nicht einfach, zu kompliziert die Darstellung unseres Charakters Franz Biberkopf, seine Gedanken gemischt mit seinen tatsächlichen Handlungen und diese wiederum mit dem einflussnehmenden Erzähler, der ausruft, mitteilt, anprangert, hinweist. Man möchte meinen, es ist ein armer Tropf, dieser vom Leben gebeutelte Protagonist, der aus dem Gefängnis entlassen, in die dunkle, triste Welt Berlins der schwermütigen 20 ger Jahre geschubst, ohne Geld, Können, Perspektive, aber mit enorm großen Selbstbewußtsein...
[zitat]
... man muß sich abfinden. Man soll sich nicht dicke tun mit seinem Schicksal.

[/zitat]

Der Leser erkennt gut, das vom Ersten Weltkrieg schwer gebeutelte Volk, den kleinen Mann und seine Perspektivlosigkeit, die Schwermut, die schwierigen Lebensverhältnisse, der strake Zynismus der Berliner/des Volkes diesen schwierigen Lebensvoraussetzungen zu begegnen... Diese Nachkriegsjahre waren stark geprägt von gedrückter Stimmung, Wut auf die Regierung und Desillusion, ja gar Resignation. Man sah nicht den Sinn, sondern vor allem die Sinnlosigkeit des Abstrampelns im Sumpf der 20ger Jahre, in dem ein Aufrappeln, trotz all des Fleißes und aller Bemühungen kaum aussichtsreich bzw. möglich schien. Kurz um, all dies zeigt uns Berlin Alexanderplatz in seiner vollen Wucht, ein Potpourri an Gesellschaftskritik, Zeichnung von Lebensentwürfen und Zustandsbeschreibung der Nachkriegsgeneration, des deutschen Volkes in den 20ger Jahren. Wie ein Puzzle fügt Döblin all dies geschickt zusammen.

Und nein, Franz Biberkopf konnte mir trotz der Umstände, in die er aufgrund seiner, ja was eigentlich - Dummheit, Naivität, Gleichgültigkeit, Angst vorm Versagen, schlechter Startbedingungen, seines trotz alledem übersteigerten Selbstbewußtseins - nicht leid tun. Genug Grips als Zuhälter zu fungieren, Gewalt auszuüben und eben eingenommenes Geld zu versaufen, hatte er immerhin, eingebettet in dieses allgemeine destruktive Lebensgefühl wohl aber irgendwie nachvollziehbar...

[zitat]Der Mensch ist seines Lebens froh, gewöhnlich nur als Embryo ! (Goethe) ... Da ist der gute Vater Staat, er gängelt dich von früh bis spat...[/zitat]


Dass dies alles, trotz seiner nunmehr körperlichen Versehrtheit, einen guten Ausgang nimmt, da er im Mordprozess redlich aussagt und letztlich Hilfsportier in einer Fabrik wird und so über die Möglichkeit eines festen Einkommens verfügt, sowie der damit verbundenen Perspektive, fortan redlich zu leben, stimmt geradezu froh nach diesem Feuerwerk.
[zitat][Das muß man nicht als Schicksal verehren, man muß es ansehen, anfassen, zerstören. Wach sein, Augen aufgepasst... Biberkopf ist ein kleiner Arbeiter. Wir wissen was wir wissen, wir habens teuer bezahlen müssen. zitat]


Und schon lässt das Marschieren und das Fahnenschwenken im Großstadtdschungel Berlin erneut erahnen, dass das deutsche Volk direkt in den nächsten- wir wissen es- "Schlamassel" rein schliddert, zu groß die Sehnsucht nach Wohlstand und Ende der Perspektivlosigkeit, des Abstrampelns... Ja, auch da immer noch und schon wieder, gefährliche Parallelen zum Hier und Jetzt.

Fazit: Wer Einblick möchte in das Wie und Warum des destruktiven Lebensgefühls der Bevölkerung der 20ger Jahre und den sich daraus ergebenden Entwicklungen, unbedingt lesen. Fünf Sterne!


von: Kathryn Stockett
von: Gabriel García Márquez
von: Alexander Häusser
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