Rezension Rezension (4/5*) zu Die Wunder von Little No Horse: Roman von Louise Erdrich.

Bibliomarie

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10. September 2015
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49
Häutungen

Agnes als Schwester Cecilia im Kloster heimisch, dient Gott,
ehrfürchtig und demütig. Doch wenn sie Klavier spielt, verselbstständigt sich
ihr Seele, Musik durchdringt sie und das ist den Mitschwestern suspekt. Sie
verlässt das Kloster und kommt auf einer Farm unter. Doch auch dieses Leben
bleibt eine Episode. Zufällig kann sie in die Identität eines Missionspfarrers
schlüpfen – Damien Modeste – und geht an seiner Stelle ins Objiwe Reservat.
Dort in No Little Horse wird der Priester schon erwartet und Father Damien
richtet sich ein.

Jahrzehnte später, Modeste ein Greis, läuft sein Leben noch
einmal vor ihm ab, als er Auskunft über das Wirken einer Nonne aus dem Reservat
geben soll, deren Seligsprechung ansteht.

Louise Erdrich entfaltet sprachmächtig und überwältigend
einen ganz eigenen Kosmos. Die diversen Clans der First Nation, ihre
Streitigkeiten, ihr Kampf ums Überleben wird sichtbar. Die Missionierung der
Familien, die ihnen den alten Glauben raubt, den neuen aber nicht
verinnerlichen lässt, fällt Agnes/Damien ins Auge. Er interessiert sich für die
Überlieferung und Riten, er lernt die Sprache und im Lauf der Jahre wird er
fast einer der Ihren.

Mit Agnes/Damien habe ich eine Figur kennengelernt, die den
weiblichen Blick mit männlicher Entschlossenheit vereint und eine ganz besondere
Schöpfung der Autorin ist.

Eine unglaubliche Vielzahl an Charakteren, die sich manchmal
auch über die Generationen hinzieht, machte es mir nicht immer ganz einfach.
Ohne den Figurenstammbaum zu Beginn des Buches wäre ich fast verloren gewesen. In
ihrem Roman mischen sich Überlieferungen, alte Mythen und reale Begebenheiten
zu einem vielschichtigen Epos. Wie gesagt, nicht immer einfach zu lesen, aber
ein besonderes Leseerlebnis.

Manche der Figuren und Familien tauchen auch in anderen Romanen
der Autorin auf und es erleichtert sicher den Einstieg, wenn man schon Bücher
von Louise Erdrich kennt.