Rezension Rezension (3/5*) zu Die Wunder von Little No Horse: Roman von Louise Erdrich.

KrimiElse

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26. Januar 2019
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buchmafia.blogspot.com
Die Stimme der Native Americans?

Eine Frau wird zum Katholischen Priester im fiktiven Reservat der Ojibwe „Little No Horse“, nachdem sie als junges Mädchen bei Nonnen untergekommen war, mit einem Deutschen Auswanderer in wilder Ehe gelebt hatte, einem Bankräuber und einer Flutkatastrophe knapp mit dem Leben entkam. Das genügt für ein Buch? Nicht bei Louise Erdrich, die in ihrem neuen Roman „Die Wunder von Little No Horse“ nicht nur das Leben von Agnes alias Father Damien Modeste aufrollt sondern gleichzeitig viele Lebens-Fäden von Menschen aus dem Reservat der Ojibwe spinnt, die mit dem Priester zusammenleben. Dabei mag es hilfreich sein, wenn man andere Werke der Autorin kennt, die seit fünf Jahrzehnte bereits Lebenslinien der Ojibwe kreuzen.

Anfangs gleichzeitig ernüchtert wegen des riesigen Umfanges an Personal, bei dem man ohne den vorangestellten Stammbaum der Ojibwe-Familien durchaus den Überblick verlieren könnte, und zugleich gefesselt vom subtilen Humor, mit dem die Autorin die Geschichte, wie Agnes zu Father Damien wurde, aufspult, hat mich das Buch im weiteren Verlauf immer mal wieder verloren, auch wenn es eine spannende Geschichte ist, die erzählt wird, über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg mit dem weiblichen Priester im Reservat als Wegmarke.
Es ist eine Sammlung unendlich vieler Blitzlichter und Momente aus dem Leben der Reservatsbewohner, die aneinandergereiht für den aufmerksamen Leser einen Einblick in das Leben der Native Americans, ihre Traditionen und Geisterwelt, ihren Verfall durch Krankheit, Alkohol und Verlust ihres Landes gewährt. Wertungsfrei erzählt Louise Erdrich vom Niedergang einst starker Familien, deren Frauen kraftvolle Jäger, anerkannt und bewundert von den Männern keine Unterdrückung kannten. Das Elend und die Armut brachten die weißen Einwanderer, in Form von Krankheiten und Landraub durch Betrug. Ohne dass dies ständig von der Autorin herausgestrichen wird wirkt dies als ein wichtiger Fakt im Roman.
Eine löbliche Ausnahme ist Father Modeste, der sich wahrscheinlich weil er selbst mit seiner Identität hadert, sehr gut in die Ureinwohner hinein versetzen kann und einen erstaunlich gut funktionierenden Mischmasch aus Katholizismus und naturverbundener Weisheit gelten und leben läßt. Dass es ihm dabei selbst gut geht spürt man deutlich.
Weniger deutlich ist für mich, wie es den übrigen Reservatsbewohnern dabei geht. Die Autorin prangert an, aber alle Figuren außer Father Modeste bleiben mir sehr fern. Ich lese für meinen Geschmack zu viel weiße sprachverliebte Passagen, und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass dies der Denk-und Redeweise der Native Americans entspricht. So bleiben die Charaktere auf großer Distanz, fast ein bisschen durch die westliche satirische Lupe von oben herab betrachtet, und das gefällt mir überhaupt nicht. Ich hätte mir hier mehr Verbundenheit und Nähe sehr gewünscht.
Auf der anderen Seite lese ich über einen sehr weichgezeichneten versöhnlichen Katholizismus, und auch das kann ich mir kaum vorstellen, dass es tatsächlich so abgelaufen ist. Selbst wenn es einzelne Priester gegeben hat, die Humanität und Menschenliebe vor den Glauben stellen, so war die Bekehrung zum katholischen Glauben doch viel gewalttätiger.
Gelobt wird die Verbundenheit der Autorin mit der indianischen Kultur, aufgewachsen in den 1960er Jahren in einem Reservat und mit späteren Literaturstudium am Dartmouth College ist Louise Erdrich sicherlich in zwei Kulturen zu Hause und erzählt mit großem Erfahrungsschatz vom Zusammenprall der Kultur der Ureinwohner und dem westlichen rationalem Denken, dem Konflikt zwischen Naturreligion und Katholizismus. Doch an keiner Stelle ist der Völkermord thematisiert, ihr Umgang mit dem Thema ist zwar kritisch aber dennoch versöhnlich, stellenweise sogar fast ein bisschen westlich-arrogant und herablassend.
Was habe ich also gelesen? Einen interessanten episodenhaft erzählten oft überraschenden und unterhaltsamen Roman mit für meinen Geschmack viel zu vielen Fäden und Personen, die sich immer wieder verlieren, und für mich zu sehr weichgezeichnet dort wo Konfrontation hätte sein sollen.


 
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