9. Leseabschnitt: Achtes Buch - Sonnenuntergang und Sonnenaufgang (S. 969 - 1109)

G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Dem stimme ich absolut zu, ob es indes der bedeutendste englische Roman sein soll, wie Barnes es beschreibt, möchte ich letztlich doch verneinen. Ich persönlich finde, dass "Middlemarch" etwa "Stolz und Vorurteil" oder "Jane Eyre"- außer vielleicht in Umfang und Komplexität- nicht wirklich nachsteht in seiner Größe/Bedeutung...
Aber in der Art der Zeichnung der weiblichen Charaktere ist Middlemarch zumindest ein sehr gelungenes und auch bedeutendes Buch in meinen Augen. Aber ich sehe es wie du, es steht auf einer Stufe mit anderen Büchern. :)
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Mich wundert, dass Eliot so betont, dass Lydgate "sehr jung" gestorben sei, nämlich mit fünfzig. War das ein so früher Tod damals?
Balzac, der nur zwanzig Jahre früher geboren wurde als Eliot, hat in einem seiner Bücher (Eugenie Grandet) einen etwas über Sechzigjährigen als Greis bezeichnet.

[zitat]Aber auch Eliot sieht sie, glaube ich, trotz allem kritisch. Sie schreibt zwar ein paar Mal "die arme Rosamond", aber es gehen eben auch sehr viele Spitzen gegen sie.[/zitat]

Dieses "arme Rosamond" ist m.E. recht eindeutig verächtlich gemeint, so wie wir auch jemanden "arm" nennen, der es aus Dünkelhaftigkeit nicht über einen beschränkten Gesichtskreis hinausbringt. Rosamond ist ein direkter Gegenentwurf zu Dorothea. Letztere überlegt immer wieder, was sie für andere tun kann, versucht sich in andere hineinzudenken etc., mithin verlegt ihren Lebensmittelpunkt nach außen, während Rosamond, bildlich gesprochen, nur um ihren Handarbeitstisch herum rotiert und nie ernsthaft versucht, sich mit dem Tun und Denken anderer auseinanderzusetzen.
Über diese Äußerung, dass Lydgate sehr früh mit 50 Jahren stirbt, habe ich mich auch gewundert. Dies klingt nicht ganz so stimmig in meinen Augen. Vielleicht hat die Autorin es ja in Bezug auf seine Gesellschaftsklasse gemeint, vielleicht war es ja für die gehobenere Schicht früh.

Rosamond entspricht in meinen Augen aber mehr dem damaligen Bild der gesellschaftlich höher gestellten Frauen. In ihrem Mädchenschulen wurden sie zu solchen Püppchen gezüchtet. :mad:
Dorothea ist das genaue Gegenteil und wird Zündstoff gewesen sein für die damaligen Gemüter. :D
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.196
49
Jeder weibliche Charakter lenkt anders, aber er lenkt, zwar in seinen Ausführungen der Zeit angepasst, aber es sind lenkende weibliche Rollen. Sehr interessant gemacht dieses Buch.
Du hast das sehr schön in deinen letzten Beiträgen zusammengefasst. Ich schließe mich dem gerne an. Ich habe den Roman genossen und sämtliche Charaktere als glaubwürdig empfunden. Manche durften mehr Entwicklung erfahren als andere - aber so ist es im richtigen Leben ja auch.
Für mich hat das Jahr gleich mit diesem Highlight begonnen, zudem ich viel Spaß an unserer Diskussion hier hatte :).
 

SuPro

Bekanntes Mitglied
28. Oktober 2019
1.865
4.112
49
54
Baden Württemberg
lieslos.blog
Was ich wirklich schlimm finde, ist, wenn Frauen sich selbst abwerten oder nicht ernst nehmen und damit ihre gesellschaftlich zugeschriebenen Rollen zementieren.
Das war ja nicht nur früher so, sondern ist noch heute häufig feststellbar.
„Und ich finde, es ist jetzt ein Segen, dass du James hast, der für dich denkt.“
Das sagt Celia zu ihrer Schwester Dorothea, die an Lydgate glaubt und sich für ihn einsetzen will. (S. 975)
 

SuPro

Bekanntes Mitglied
28. Oktober 2019
1.865
4.112
49
54
Baden Württemberg
lieslos.blog
Ich muss jetzt einfach mal wieder Stellen hervorheben, die mir richtig gut gefallen haben.
Eliot ist wirklich eine begnadete Schriftstellerin!

„Hatte er (Mr. Brooke) etwas Unangenehmes zu erzählen, so brachte er es gewöhnlich zusammen mit zahlreichen unzusammenhängenden Details vor, als handelte es sich um eine Medizin, deren Geschmack etwas gemildert wird, wenn man ihr etwas beimischt.“ (S. 1079)

Und noch ein wunderschöner Vergleich, den ich mehrmals lesen musste:
„Während ihrer ganzen Kindheit hatte sie (Celia) das Gefühl gehabt, sie könne auf ihre Schwester durch ein besonnen gesetztes Wort einwirken – indem sie ein kleines Fenster aufstieß, damit das helle Tageslicht ihres eigenen Verstandes sich mit dem der merkwürdigen getönten Laternen mischte, in deren Licht DoDo die Dinge in der Regel sah.“ (S. 1086)

Mir gefällt die unaufgeregte und besonnene Haltung des Pfarrers Cadwallader, der Dodos Entscheidung nicht als falsch, sondern höchstens als unklug bewertet. An Sir Janes gewandt, beschwichtigt er: „Mein Lieber, wir halten gern eine Tat für falsch, weil sie uns missfällt.“ (S. 1082)
... wie wahr!
 

SuPro

Bekanntes Mitglied
28. Oktober 2019
1.865
4.112
49
54
Baden Württemberg
lieslos.blog
Die Idee, das Buch mit einem Finale zu beenden finde ich bravourös. Ganz nach meinem Geschmack! Vielleicht etwas schnulzig, aber herzerwärmend, berührend und nachvollziehbar.

In großen Teilen ein happy end... und das ist doch auch mal schön :)

Und es ist so rund und weise, dieses Ende!
Der Hinweis darauf, dass nicht nur große Taten von Berühmtheiten positive Veränderungen bewirken, sondern auch die Summe vermeintlich kleiner Taten unscheinbarer Personen, ist auch heute, oder gerade heute, so bedeutend.

Ein Anreiz, nicht tatenlos herumzusitzen, sondern im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten Einfluss zu nehmen.

Ich beende den Roman mit einem zutiefst zufriedenen Gefühl und habe jetzt nur noch den Anhang vor mir.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.196
49
„Und ich finde, es ist jetzt ein Segen, dass du James hast, der für dich denkt.“
Das sagt Celia zu ihrer Schwester Dorothea, die an Lydgate glaubt und sich für ihn einsetzen will. (S. 975)
Der Satz ging mir auch durch und durch:confused:
Ein Anreiz, nicht tatenlos herumzusitzen, sondern im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten Einfluss zu nehmen.
Wirklich, auch das Fazit ist weise und zeitlos! Schön, dass du darauf nochmal hinweist! Wie leer wäre unsere Gesellschaft ohne die vielen vielen Ehrenamtlichen in allen Bereichen!
 

nineLE

Bekanntes Mitglied
4. November 2019
1.028
1.259
49
Hier kann ich dir nur zustimmen. James ist mir im Verlauf der Handlung immer unsympathischer geworden. Wenn man hier bedenkt, Doro hätte ihn geheiratet, dies wäre definitiv nie gut gegangen.
... da stimme ich euch absolut zu. Meinen Eindruck über den Onkel indessen hat sich gleichbleibend bestätigt, er kommt in meinen Augen zwar etwas einfältig und aufschneiderisch daher, weiß er ja ZU ALLEM und JEDEN Thema Bescheid und betrachtet diese Meinung als MAß aller Dinge, auch dem allgemeinen Frauenverstand unterstellt er grundsätzlich Beschränktheit, dennoch tut er all dies auf eine gut meinende Art, die mich ihn zu den "Guten" zählen lässt. Besonders gefallen hat mir sein Appell an James, indem er suggeriert, Dodo enterben zu wollen, insgeheim so aber doch auf eine Versöhnung der Familie hofft. Geschickt gemacht und in diesem Fall Plan aufgegangen, Dodos Sohn erbt das Vermögen des Onkels Mr. Brooke.
 

nineLE

Bekanntes Mitglied
4. November 2019
1.028
1.259
49
Die Idee, das Buch mit einem Finale zu beenden finde ich bravourös. Ganz nach meinem Geschmack! Vielleicht etwas schnulzig, aber herzerwärmend, berührend und nachvollziehbar.

In großen Teilen ein happy end... und das ist doch auch mal schön :)

Und es ist so rund und weise, dieses Ende!
Der Hinweis darauf, dass nicht nur große Taten von Berühmtheiten positive Veränderungen bewirken, sondern auch die Summe vermeintlich kleiner Taten unscheinbarer Personen, ist auch heute, oder gerade heute, so bedeutend.

Ein Anreiz, nicht tatenlos herumzusitzen, sondern im Rahmen seiner eigenen Möglichkeiten Einfluss zu nehmen.

Ich beende den Roman mit einem zutiefst zufriedenen Gefühl und habe jetzt nur noch den Anhang vor mir.
Ja, das finde ich auch, das Ende empfand ich ebenfalls als nicht schnulzig, sondern als "gerechten" Ausgang aufgebauter Hoffnung über so eine große Seitenanzahl hinweg... Besonders Dodos Lebensglück war mehr als nur wünschenswert und wunderbar, wie ich fand.
 

nineLE

Bekanntes Mitglied
4. November 2019
1.028
1.259
49
Was ich wundervoll fand, war folgendes:
[zitat]Oberflächliche Naturen träumen davon,leicht die Gefühle anderer beherrschen zu können, indem sie stillschweigend darauf vertrauen, dass ihr eigener geringfügiger Zauber die tiefsten Ströme umleitet, und davon überzeugt, dass sie mit ihren hübschen Gesten etwas schaffen, das nicht existiert[/zitat]

oder:
[zitat] Wie können wir mit dem Gedanken leben, dass jemand Kummer hat-großen Kummer-, und wir könnten ihm helfen und versuchen es nie?[/zitat]

ach, so vieles gäb´ es anzuführen, was von @Literaturhexle, @SuPro oder oder... längst zitiert wurde als wunderbare Stellen des Buches.
 

milkysilvermoon

Bekanntes Mitglied
13. Oktober 2017
1.803
5.061
49
Nun ist auch der letzte Abschnitt beendet. Am Ende wurde es noch turbulenter als gedacht. Aber es war eben auch sehr kurzweilig, sodass die letzten Seiten dann doch schneller gelesen waren als gedacht.

Ich bin nun, ehrlich gesagt, ein wenig erleichtert, dass ich mit dem dicken Wälzer durch bin. Solche Schinken bin ich einfach nicht mehr gewohnt. Vielleicht muss ich doch wieder häufiger umfangreichere Romane lesen.

Hier ist mir manche Szene mit etwas zuviel Pathos geraten

Oh ja! An mancher Stelle musste ich auch mit den Augen rollen. Aber für die Literatur der damaligen Zeit war es sicher nicht untypisch, so viel Pathos in einen Roman zu packen.

Und ich denke dieses Buch wird viele Diskussionen in der damaligen Zeit ausgelöst haben, birgt es ja auch eine gewisse Gesellschaftskritik. Sie nimmt zwar nicht so den großen Raum ein. Aber sie ist vorhanden.

Ja, das denke ich auch. Es hat bestimmt damals schon polarisiert.
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle