9. Leseabschnitt: Achtes Buch - Sonnenuntergang und Sonnenaufgang (S. 969 - 1109)

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Der letzte Abschnitt hat es in sich, eine Fülle von Ereignissen, die den Lebensweg einiger Figuren entscheidend verändert. In aller Kürze ;)
- Doro will sich für Lydgate einsetzen: "Die Nöte eines Mannes, der mic in meinen Nöten beraten und in meiner behandelt hat, können mir nicht gleichgültig sein." (972).
- Währenddessen verflucht er den Tag, an dem er nach Middlemarch gekommen ist, die Ereignisse haben sich wie "ein Gifthauch über seinen ehrenwerten Ehrgeiz gelegt" (976).
Er reflektiert über seine Entscheidung, das Geld angenommen zu haben und den Tod Raffles nicht hinterfragt zu haben und kommt zu dem Schluss: "Doch leider war das wissenschaftliche Gewissen in die erniedrigende Gesellschaft von Geldverpflichtungen und eigennützigen Erwägungen geraten." (979) Er empfindet Schuld, die letztlich wohl auch dazu führt, dass er Middlemarch trotz Doros Unterstützung verlassen wird.
- Bezeichnenderweise erfahren weder Mrs. Bulstrode noch Rosamond von ihren Ehemännern von den Gerüchten, sondern werden aus "Nächstenliebe" von ihren Nachbarinnen bzw. Verwandten darüber aufgeklärt. Mrs. Bulstrode kann dabei auf mehr Mitgefühl hoffen als Rosamond. Mrs. Sprague bringt die folgende Handlung auf den Punkt: "Die Bulstrodes werden wohl wegziehen und irgendwo im Ausland leben [...]. Das tut man ja im Allgemeinen, wenn Schimpf und Schande über eine Familie gekommen ist." (987) Bemerkenswert ist, dass Mrs. Bulstrode ihrem Mann gegenüber loyal bleibt, die Szene, wenn beide weinend zusammen sitzen, ohne die Schande auszusprechen, hat etwas Rührendes.
- Rosamond dagegen ergeht sich in Tagträumen über Will, indem sie sich einredet, dass er tief für sie empfindet, sie kann sich nicht vorstellen, dass er ihrem Charme nicht erliegt. Als sie von den "schmachvollen Verdächtigungen" (1001) gegenüber Lydgate erfährt, denkt sie zunächst an ihr grausames Schicksal, sich an den falschen Mann gebunden zu haben. Eine Aussprache zwischen den beiden scheitert daran, dass keiner in der Lage ist, seine Gedanken und Gefühle auszusprechen und jeder auf den ersten Schritt des anderen wartet.
"Tagaus, tagein lebten sie in getrennten Gedankenwelten" (1005)
- In einem Gespräch zwischen Dorothea, die Lydgate die Unterstützung für sein Krankenhaus zusagen will, kann dieser sich endlich alles von der Seele reden - auch seine Schuldgefühle, doch er kompromittiert Rosamond nicht, so dass Dorothea in ihrer Güte sich bereit erklärt, mit dieser zu reden. Gleichzeitig entschließt sie sich die Schulden Lydgates zu übernehmen, so dass dieser Bulstrode gegenüber nicht mehr verpflichtet ist.
Lydgate erfährt bei Dorothea, dass eine Frau auch der Freund eines Mannes sein kann und nicht nur schmückendes Beiwerk.
- Der Besuch Dorotheas bei Rosamond bringt dann eine letzte Verwicklung der Handlung, denn sie trifft dort unvermutet auf Will, der Rosamond, die weint, tröstet. Sie deutet die Situation so, wie es eine liebende Frau deuten würde und glaubt, die beiden verbinde mehr als Freundschaft. Während sie sich zuhause ihrem Kummer hingibt, ist Will völlig außer sich vor Zorn, da er weiß, dass Doro ihren Glauben an ihn verloren hat. "Sie wird in mir die fleischgewordene Beleidigung ihrer Person sehen, vom ersten Augenblick an, an dem wir..." (1031). Er verletzt Rosamond, die sich ebenfalls ihrem Kummer hingibt und dann von Lydgate, der immer noch Zärtlichkeit für seine Frau empfindet, getröstet wird. Sie erkennt, dass er ihr zugetan ist und nähert sich ihm wieder an - trotz allem gibt es für beide kein "Happy End", selbst wenn Lydgate in London ein erfolgreicher Arzt wird. Das wäre auch unrealistisch, passenderweise heiratet sie wieder und kann das Leben führen, das sie sich für sich selbst vorgestellt hat, während Lydgate mit 50 Jahren stirbt, ohne seine ehrgeizigen wissenschaftlichen Ziele erfüllt zu haben. Letztlich scheitert er, während sie für Doro alles zum Guten wendet.
-Trotz ihres Kummers hat sie die Größe und Güte Rosamond ein zweites Mal aufzusuchen, um mit ihr über Lydgate zu sprechen.
Dieses Gespräch ist außergewöhnlich, da beide ihre Gefühle offenbaren und auch Rosamond in einem Anflug von Größe Doro davon überzeugt, dass Will niemals ihr zugetan war und dass er nur Dorothea liebt. Sie gesteht dies aber auch, weil sie sich von Wills Vorwurf reinwaschen will, damit "er [...] keinen Vorwurf mehr machen kann." (1058) Darüberhinaus schreibt Rosamond Will, was sie getan hat, damit er "frei" ist.
Ein realistisches Szenario? Oder der Wunsch, dass zumindest Doro ihr Glück findet?
- Will sucht Doro nach Rosamonds Brief auf und als Leserin habe ich gedacht, endlich ;) ist es soweit. Und es kommt, wie es kommen muss. Dorothea widersetzt sich dem letzten Wunsch ihres verstorbenen Gatten, verzichtet auf sein Vermögen und heiratet Will gegen alle Widerstände. Mr. Brooke hält trotz allem zu ihr, während Sir James erst auf Celias Drängen, nachdem Doro ihren ersten Sohn in London gebärt, seinen Widerstand aufgibt. Auch Celia setzt die Waffen der Frau, ihre Tränen ein.
- Auch für Fred und Mary finden ihr Glück, da Fred letztlich doch Stone Court als "Pächter" übernehmen kann - ein Wunsch Mrs. Bulstrode etwas für ihre Familie zu tun. Er wird zwar kein erfolgreicher Landwirt, aber zumindest ein glücklicher ;)
- Das Ende widmet die Autorin all jenen Menschen wie Dorothea, die aufgrund ihres hochsensiblen Wesens die Welt verbessern, "die voll gläubigen Vertrauens ein Leben im Verborgenen geführt haben und in Gräbern ruhen, die kein Mensch besucht." (1109)
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Als sie von den "schmachvollen Verdächtigungen" (1001) gegenüber Lydgate erfährt, denkt sie zunächst an ihr grausames Schicksal, sich an den falschen Mann gebunden zu haben. Eine Aussprache zwischen den beiden scheitert daran, dass keiner in der Lage ist, seine Gedanken und Gefühle auszusprechen und jeder auf den ersten Schritt des anderen wartet.

Also an dieser Stelle fand ich Rosamond wieder einmal unausstehlich. Klar, dass die Aussprache scheitert, liegt an beiden, und es fällt beiden sehr schwer, in den anderen hineinzuschauen oder wenigstens das Handeln und Denken nachzuvollziehen, aber Rosa ist für mich eine Narzisstin, wie sie im Buche steht. Ich weiß auch nicht, ob ich mich darüber freuen soll, dass sich am Ende ihre Träume doch noch verwirklichen (obwohl es für die "typische" [viktorianische] Leserin bestimmt ein Wunsch ist). Aber auch Eliot sieht sie, glaube ich, trotz allem kritisch. Sie schreibt zwar ein paar Mal "die arme Rosamond", aber es gehen eben auch sehr viele Spitzen gegen sie.

Doro hat hier m.E. sehr viel an Sympathie gewonnen, sie ist wirklich ein guter Mensch, deshalb kann ich ...

Das Ende widmet die Autorin all jenen Menschen wie Dorothea, die aufgrund ihres hochsensiblen Wesens die Welt verbessern, "die voll gläubigen Vertrauens ein Leben im Verborgenen geführt haben und in Gräbern ruhen, die kein Mensch besucht." (1109)

... absolut nachvollziehen.

Ihre Aussage, "dass Sie (Tertius) von jedem gerecht denkenden Menschn freigesprochen würden." (S. 1014) kann ich allerdings nicht unterstreichen. Rechtlich hat er sich bestimmt nichts zuschulden hat kommen lassen, ist klar, aber moralisch ... und da gibt es bei mir schon einen Unterschied zwischen rechtens und gerecht.

Wer auch viel bei mir an Sympathie gewonnen hat, ist Will. James hat durch seine negative Einstellung der Ehe seiner Schwägerin gegenüber bei mir arg an Sympathie verloren. Er ist und bleibt ein kleiner Chauvinist.

- Auch für Fred und Mary finden ihr Glück, da Fred letztlich doch Stone Court als "Pächter" übernehmen kann - ein Wunsch Mrs. Bulstrode etwas für ihre Familie zu tun. Er wird zwar kein erfolgreicher Landwirt, aber zumindest ein glücklicher

... was will man mehr? Er kann seine Familie ernähren, ich glaube, mehr möchte Mary auch nicht.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Mich wundert, dass Eliot so betont, dass Lydgate "sehr jung" gestorben sei, nämlich mit fünfzig. War das ein so früher Tod damals?
Balzac, der nur zwanzig Jahre früher geboren wurde als Eliot, hat in einem seiner Bücher (Eugenie Grandet) einen etwas über Sechzigjährigen als Greis bezeichnet.

[zitat]Aber auch Eliot sieht sie, glaube ich, trotz allem kritisch. Sie schreibt zwar ein paar Mal "die arme Rosamond", aber es gehen eben auch sehr viele Spitzen gegen sie.[/zitat]

Dieses "arme Rosamond" ist m.E. recht eindeutig verächtlich gemeint, so wie wir auch jemanden "arm" nennen, der es aus Dünkelhaftigkeit nicht über einen beschränkten Gesichtskreis hinausbringt. Rosamond ist ein direkter Gegenentwurf zu Dorothea. Letztere überlegt immer wieder, was sie für andere tun kann, versucht sich in andere hineinzudenken etc., mithin verlegt ihren Lebensmittelpunkt nach außen, während Rosamond, bildlich gesprochen, nur um ihren Handarbeitstisch herum rotiert und nie ernsthaft versucht, sich mit dem Tun und Denken anderer auseinanderzusetzen.
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Mich wundert, dass Eliot so betont, dass Lydgate "sehr jung" gestorben sei, nämlich mit fünfzig. War das ein so früher Tod damals?

Das hat mich auch ein wenig gewundert. Ich habe es früher schon mal geschrieben, die durchschnittliche Lebenserwartung lag damals zwischen 30 und 40. Allerdings ist die niedrige Zahl wohl auch auf die hohe Kindersterblichkeit zurückzuführen und den Umstand, dass viele Frauen recht jung bei Geburten und Männer eben in Kriegen starben. Ich denke mal, wenn man ein bestimmtes (kritisches) Alter überschritten hatte, auch recht alt werden konnte.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
... und die Lebenserwartung hing wohl auch sehr davon ab, in welcher sozialen Schicht man lebte bzw. arbeitete. Die richtigen Dreckarbeiten (Kohlengruben, Erdarbeiten, Bau etc.) waren hochgefährlich und ungesund, weil es noch keinen Arbeitsschutz gab. Selbst relativ harmlose Berufe wie Putzmacherin und Plätterin waren wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und -zeiten nach heutigen Maßstäben unzumutbar. Man kann das z.B. bei Emile Zola nachlesen, der sich sehr bemüht hat, das Arbeitsleben Mitte des 19. Jhdts authentisch zu beschreiben.
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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... und die Lebenserwartung hing wohl auch sehr davon ab, in welcher sozialen Schicht man lebte bzw. arbeitete. Die richtigen Dreckarbeiten (Kohlengruben, Erdarbeiten, Bau etc.) waren hochgefährlich und ungesund, weil es noch keinen Arbeitsschutz gab. Selbst relativ harmlose Berufe wie Putzmacherin und Plätterin waren wegen der schlechten Arbeitsbedingungen und -zeiten nach heutigen Maßstäben unzumutbar. Man kann das z.B. bei Emile Zola nachlesen, der sich sehr bemüht hat, das Arbeitsleben Mitte des 19. Jhdts authentisch zu beschreiben.

Das mit den Arbeitsbedingungen hatte ich vergessen zu erwähnen. Aber klar, das spielte auch eine Rolle.
 
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Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Ah, Ende. Ende gut, fast alles gut. Nun muss ich in mich gehen und über die Rezension nachdenken.

Ja, es hat mir einiges gefallen. Aber einiges auch nicht. Ganz gewiss werde ich nicht in die absoluten Lobeshymnen einfallen; wie es im Nachwort ja auch heißt, es gibt solche und solche (Leser/Eindrücke).

Middlemarch hat viele Schwächen, m.M. nach, aber auch viele Stärken. Mit den englischen Büchern dieser Zeit, tue ich mich eh ein wenig schwer, ich finde sie nicht so faszinierend wie die aus späteren Zeiten oder die aus anderen Ländern. Es ist toll, dass ich die Handlung noch nicht kannte, sonst hätte mich dieses Buch in Grund und Boden gelangweilt.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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So, dieses ist der Abschnitt der Auflösungen. Hier ist mir manche Szene mit etwas zuviel Pathos geraten: Sie stehen am Abgrund, die Gefühle der Rechtschaffenheit überwältigen sie, die Tränen fließen....
Ich mag sie nicht alle aufzählen, hier exemplarisch eine, damit ihr seht, was ich meine:
[zitat]Sie konnte nur noch zwischen den Schluchzern ihrem verlorenen Glauben nachweinen, den sie seit den Tagen in Rom gesät und aus einem sehr kleinen Samenkorn am Leben erhalten hatte - ihrer verlorenene Freude, mit der sie sich in stummer Liebe und Treue an den einen festgeklammert hatte, der, von anderen verachtet, in ihren Augen ein wertvoller Mensch war - ihrem verlorenen weiblichen Stolz, in seinen Erinnerungen eine beherrschende Stellung einzunehmen, ihrer süßen, wenn auch verschwommenen Aussicht auf Hoffnung... (S.1042)[/zitat]

Meine Güte, ist das pathetisch! Desgleichen der letzte Absatz auf S. 1053 oder der erste auf S. 1055...

Auch den Wandel Rosamonds, als "die heilige" Dorothea zu ihr kommt - nun ja. Hier wurde es mir auch ein wenig zu theatralisch. Doch irgendwie musste die Autorin zu dem von ihr favorisierten Ende kommen und da galt es, manchen Graben zu überwinden ;)

Ähnlich haben sich die Missverständnisse zwischen Will und Doro ziemlich in die Länge gezogen. Es begann mich etwas zu nerven, wie sie um sich rum scharwenzelt sind, wo doch eigentlich alles klar war. Andere Zeiten, andere Sitten vielleicht.

Sehr gut gefiel mir der Abschnitt "Finale". Dort wurden die Geschichten zu einem gebührenden, realistischen Ende geführt. Schmunzeln musste ich, dass Fred sogar noch unter die Autoren geht, die Mitbürger allerdings Mary dahinter vermuten - ist das eine kleine Parallele zur Autorin selbst? Schließlich hat auch sie sich ein männliches Pseudonym zugelegt.

Alles in allem habe ich den Roman sehr gerne gelesen und wenig Längen empfunden. Ein feiner Klassiker!
 

nineLE

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4. November 2019
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Der letzte Abschnitt hat es in sich, eine Fülle von Ereignissen, die den Lebensweg einiger Figuren entscheidend verändert.
Ich finde es irgendwie ein bisschen schade, dass der Roman stellenweise und immerhin bis Seite 970 etwas seicht daherkommt in manchen Bereichen, dass nun am Ende "alles knüppeldick" auf einmal kommt. Auch wenn natürlich immer eine gewisse Entwicklung vorangegangen sein muss, um den Fortgang der Dinge zu beschreiben, hatte ich doch etwas eher all diese nun "hoppla Ereignisse" erwartet, aber mehr dazu im Fazit.
 
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nineLE

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4. November 2019
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aber Rosa ist für mich eine Narzisstin, wie sie im Buche steht. Ich weiß auch nicht, ob ich mich darüber freuen soll, dass sich am Ende ihre Träume doch noch verwirklichen (obwohl es für die "typische" [viktorianische] Leserin bestimmt ein Wunsch ist).
Ja ganz meine Meinung, es war anstrengend für mich das immer und immer wieder zu lesen, diese Kleinmütigkeit. Daher umso erfreulicher für mich, dass ihr Luftschloss "Will" sich endlich in Luft auflöste und sie zum ersten mal im Leben bemerkte, wie klein(lich) ihre Denkwelt ist, wohltuend.
Ähnlich haben sich die Missverständnisse zwischen Will und Doro ziemlich in die Länge gezogen.
Ja sehr schade, dasse rst ab Seite 1100 plötzlich alles in Wohlgefallen aufgelöst und gut wird, wie ich schrieb, hatte ich der Rolle Dodos im Roman eine größere Seitenanzahl zugedacht...
Sehr gut gefiel mir der Abschnitt "Finale".
Ja das war wohltuend, geordnet, übersichtlich, zusammenfassend, wunderbar.
Ein feiner Klassiker!
Dem stimme ich absolut zu, ob es indes der bedeutendste englische Roman sein soll, wie Barnes es beschreibt, möchte ich letztlich doch verneinen. Ich persönlich finde, dass "Middlemarch" etwa "Stolz und Vorurteil" oder "Jane Eyre"- außer vielleicht in Umfang und Komplexität- nicht wirklich nachsteht in seiner Größe/Bedeutung...
 

nineLE

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4. November 2019
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Das ging mir genauso. Größe hat sie gegenüber Dorothea gezeigt, allerdings auch, damit Will ihr keine Vorwürfe machen kann.
Insgesamt empfinde ich das Ende als "gerecht".
Insgesamt stimme ich dir da voll und ganz zu, einzig in dem Punkt, dass Rosamond eine weitere gute Partie machte und wieder einen älteren Arzt heiratet, nun gut... Zumindest fand ich den Dämpfer gerecht, den ihre törichte Einbildung der Verliebtheit Wills in sie erfuhr und gut, dass sie ihre Meinung aufgrund des großmütigen Verhaltens Dodos revidieren und überdenken musste, das hat mich schlussendlich wirklich etwas versöhnt mit dieser Figur !:):rolleyes:
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Daher umso erfreulicher für mich, dass ihr Luftschloss "Will" sich endlich in Luft auflöste und sie zum ersten mal im Leben bemerkte, wie klein(lich) ihre Denkwelt ist, wohltuend.

Allerdings ist mehr als fraglich, wie nachhaltig das ist. Aber darüber wurde und wird hier ja schon diskutier. C'est la vie. Es gibt eben auch Menschen wie Rosa. Früher wie heute.
 

nineLE

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4. November 2019
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Allerdings ist mehr als fraglich, wie nachhaltig das ist
Ist das erheblich wie/ob es nachhaltig ist? Da wissen wir ja bei KEINEM Buch, ob etwas Geschehens auf die Protagonisten nachhaltig wirkt, sondern lesen/hören/sehen lediglich DASS etwas mit dem Gefühlslleben passiert und das ist doch das Entscheidende...
Aber darüber wurde und wird hier ja schon diskutier
;)
Es gibt eben auch Menschen wie Rosa. Früher wie heute.
Klar.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

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So, dieses ist der Abschnitt der Auflösungen. Hier ist mir manche Szene mit etwas zuviel Pathos geraten: Sie stehen am Abgrund, die Gefühle der Rechtschaffenheit überwältigen sie, die Tränen fließen....
Ich mag sie nicht alle aufzählen, hier exemplarisch eine, damit ihr seht, was ich meine:
[zitat]Sie konnte nur noch zwischen den Schluchzern ihrem verlorenen Glauben nachweinen, den sie seit den Tagen in Rom gesät und aus einem sehr kleinen Samenkorn am Leben erhalten hatte - ihrer verlorenene Freude, mit der sie sich in stummer Liebe und Treue an den einen festgeklammert hatte, der, von anderen verachtet, in ihren Augen ein wertvoller Mensch war - ihrem verlorenen weiblichen Stolz, in seinen Erinnerungen eine beherrschende Stellung einzunehmen, ihrer süßen, wenn auch verschwommenen Aussicht auf Hoffnung... (S.1042)[/zitat]

Meine Güte, ist das pathetisch! Desgleichen der letzte Absatz auf S. 1053 oder der erste auf S. 1055...

Doch irgendwie musste die Autorin zu dem von ihr favorisierten Ende kommen und da galt es, manchen Graben zu überwinden ;)
Hier kann ich dir wieder einmal zustimmen, sehr sehr viel Pathos und fast schon etwas Soap Opera. Aber gut. Die Autorin wollte auf ein bestimmtes Ende hinsteuern und einiges an Pathos braucht wahrscheinlich auch ein Buch aus dieser Zeit. Denn wir urteilen ja auch aus unserer Zeit heraus, wir müssten das Buch auch aus einem zeitgemäßen Blick versuchen zu betrachten. Dies ist sicher nicht einfach. Aber ohne etwas Pathos geht es doch in dieser Zeit auch nicht, oder? :);)
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Ja ganz meine Meinung, es war anstrengend für mich das immer und immer wieder zu lesen, diese Kleinmütigkeit. Daher umso erfreulicher für mich, dass ihr Luftschloss "Will" sich endlich in Luft auflöste und sie zum ersten mal im Leben bemerkte, wie klein(lich) ihre Denkwelt ist, wohltuend.
Obwohl mir hier diese gewisse und doch fühlbare Veränderung doch sehr gefallen hat. Ich hätte nicht erwartet, dass die Autorin bei Rosamond noch eine Veränderung zulässt. Um so erfreulicher ist dass diese Veränderung passiert. Natürlich ist diese Veränderung klein, aber in Rosamonds Augen sicher ganz groß. Hat sie doch versucht andere zu verstehen, ein richtig großer Schritt für so einen Charakter. Und ein Beweis dafür, dass die Charaktere in diesem Buch eben doch nicht so eindimensional sind, wie von anderer Stelle beanstandet wurde. Hat mir sehr gefallen, diese kleine Entwicklung Rosamonds!
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

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Mrs. Bulstrode kann dabei auf mehr Mitgefühl hoffen als Rosamond. Mrs. Sprague bringt die folgende Handlung auf den Punkt: "Die Bulstrodes werden wohl wegziehen und irgendwo im Ausland leben [...]. Das tut man ja im Allgemeinen, wenn Schimpf und Schande über eine Familie gekommen ist." (987) Bemerkenswert ist, dass Mrs. Bulstrode ihrem Mann gegenüber loyal bleibt, die Szene, wenn beide weinend zusammen sitzen, ohne die Schande auszusprechen, hat etwas Rührendes.
- Auch für Fred und Mary finden ihr Glück, da Fred letztlich doch Stone Court als "Pächter" übernehmen kann - ein Wunsch Mrs. Bulstrode etwas für ihre Familie zu tun.
Wo ich gerade bei Veränderungen bei bisher eher einseitig gezeichneten Charakteren bin, komme ich gleich zu Mr. Bulstrode. Hier werden ganz eindeutig Gefühle von ihm seine Ehefrau betreffend aufgezeigt. Jeder Mensch hat also verschiedene Seiten, erscheint er einerseits machtbesessen, egoistisch und ist sogar bereit über Leichen zu gehen um seinen Lebensstandard zu halten. Ist also ein Charakter, der bisher alles negative Züge in sich vereint. So kommen ihm im Anblick seiner Ehefrau Gewissensbisse und er sieht, was er ihr eigentlich angetan hat und sie tut ihm leid. er liebt sie. Das versöhnt mich nicht mit dem Charakter des Mr. Bulstrode, zeigt aber auch etwas positives bei ihm. Und auch dies hat mir sehr gefallen!
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Der letzte Abschnitt hat es in sich, eine Fülle von Ereignissen, die den Lebensweg einiger Figuren entscheidend verändert. In aller Kürze ;)
- Doro will sich für Lydgate einsetzen: "Die Nöte eines Mannes, der mic in meinen Nöten beraten und in meiner behandelt hat, können mir nicht gleichgültig sein." (972).
- Währenddessen verflucht er den Tag, an dem er nach Middlemarch gekommen ist, die Ereignisse haben sich wie "ein Gifthauch über seinen ehrenwerten Ehrgeiz gelegt" (976).
Er reflektiert über seine Entscheidung, das Geld angenommen zu haben und den Tod Raffles nicht hinterfragt zu haben und kommt zu dem Schluss: "Doch leider war das wissenschaftliche Gewissen in die erniedrigende Gesellschaft von Geldverpflichtungen und eigennützigen Erwägungen geraten." (979) Er empfindet Schuld, die letztlich wohl auch dazu führt, dass er Middlemarch trotz Doros Unterstützung verlassen wird.
- Bezeichnenderweise erfahren weder Mrs. Bulstrode noch Rosamond von ihren Ehemännern von den Gerüchten, sondern werden aus "Nächstenliebe" von ihren Nachbarinnen bzw. Verwandten darüber aufgeklärt. Mrs. Bulstrode kann dabei auf mehr Mitgefühl hoffen als Rosamond. Mrs. Sprague bringt die folgende Handlung auf den Punkt: "Die Bulstrodes werden wohl wegziehen und irgendwo im Ausland leben [...]. Das tut man ja im Allgemeinen, wenn Schimpf und Schande über eine Familie gekommen ist." (987) Bemerkenswert ist, dass Mrs. Bulstrode ihrem Mann gegenüber loyal bleibt, die Szene, wenn beide weinend zusammen sitzen, ohne die Schande auszusprechen, hat etwas Rührendes.
- Rosamond dagegen ergeht sich in Tagträumen über Will, indem sie sich einredet, dass er tief für sie empfindet, sie kann sich nicht vorstellen, dass er ihrem Charme nicht erliegt. Als sie von den "schmachvollen Verdächtigungen" (1001) gegenüber Lydgate erfährt, denkt sie zunächst an ihr grausames Schicksal, sich an den falschen Mann gebunden zu haben. Eine Aussprache zwischen den beiden scheitert daran, dass keiner in der Lage ist, seine Gedanken und Gefühle auszusprechen und jeder auf den ersten Schritt des anderen wartet.
"Tagaus, tagein lebten sie in getrennten Gedankenwelten" (1005)
- In einem Gespräch zwischen Dorothea, die Lydgate die Unterstützung für sein Krankenhaus zusagen will, kann dieser sich endlich alles von der Seele reden - auch seine Schuldgefühle, doch er kompromittiert Rosamond nicht, so dass Dorothea in ihrer Güte sich bereit erklärt, mit dieser zu reden. Gleichzeitig entschließt sie sich die Schulden Lydgates zu übernehmen, so dass dieser Bulstrode gegenüber nicht mehr verpflichtet ist.
Lydgate erfährt bei Dorothea, dass eine Frau auch der Freund eines Mannes sein kann und nicht nur schmückendes Beiwerk.
- Der Besuch Dorotheas bei Rosamond bringt dann eine letzte Verwicklung der Handlung, denn sie trifft dort unvermutet auf Will, der Rosamond, die weint, tröstet. Sie deutet die Situation so, wie es eine liebende Frau deuten würde und glaubt, die beiden verbinde mehr als Freundschaft. Während sie sich zuhause ihrem Kummer hingibt, ist Will völlig außer sich vor Zorn, da er weiß, dass Doro ihren Glauben an ihn verloren hat. "Sie wird in mir die fleischgewordene Beleidigung ihrer Person sehen, vom ersten Augenblick an, an dem wir..." (1031). Er verletzt Rosamond, die sich ebenfalls ihrem Kummer hingibt und dann von Lydgate, der immer noch Zärtlichkeit für seine Frau empfindet, getröstet wird. Sie erkennt, dass er ihr zugetan ist und nähert sich ihm wieder an - trotz allem gibt es für beide kein "Happy End", selbst wenn Lydgate in London ein erfolgreicher Arzt wird. Das wäre auch unrealistisch, passenderweise heiratet sie wieder und kann das Leben führen, das sie sich für sich selbst vorgestellt hat, während Lydgate mit 50 Jahren stirbt, ohne seine ehrgeizigen wissenschaftlichen Ziele erfüllt zu haben. Letztlich scheitert er, während sie für Doro alles zum Guten wendet.
-Trotz ihres Kummers hat sie die Größe und Güte Rosamond ein zweites Mal aufzusuchen, um mit ihr über Lydgate zu sprechen.
Dieses Gespräch ist außergewöhnlich, da beide ihre Gefühle offenbaren und auch Rosamond in einem Anflug von Größe Doro davon überzeugt, dass Will niemals ihr zugetan war und dass er nur Dorothea liebt. Sie gesteht dies aber auch, weil sie sich von Wills Vorwurf reinwaschen will, damit "er [...] keinen Vorwurf mehr machen kann." (1058) Darüberhinaus schreibt Rosamond Will, was sie getan hat, damit er "frei" ist.
Ein realistisches Szenario? Oder der Wunsch, dass zumindest Doro ihr Glück findet?
- Will sucht Doro nach Rosamonds Brief auf und als Leserin habe ich gedacht, endlich ;) ist es soweit. Und es kommt, wie es kommen muss. Dorothea widersetzt sich dem letzten Wunsch ihres verstorbenen Gatten, verzichtet auf sein Vermögen und heiratet Will gegen alle Widerstände. Mr. Brooke hält trotz allem zu ihr, während Sir James erst auf Celias Drängen, nachdem Doro ihren ersten Sohn in London gebärt, seinen Widerstand aufgibt. Auch Celia setzt die Waffen der Frau, ihre Tränen ein.
- Auch für Fred und Mary finden ihr Glück, da Fred letztlich doch Stone Court als "Pächter" übernehmen kann - ein Wunsch Mrs. Bulstrode etwas für ihre Familie zu tun. Er wird zwar kein erfolgreicher Landwirt, aber zumindest ein glücklicher ;)
- Das Ende widmet die Autorin all jenen Menschen wie Dorothea, die aufgrund ihres hochsensiblen Wesens die Welt verbessern, "die voll gläubigen Vertrauens ein Leben im Verborgenen geführt haben und in Gräbern ruhen, die kein Mensch besucht." (1109)
Der Sonnenuntergang und der Sonnenaufgang - ein perfekt gewählter Titel für diesen abschließenden Leseabschnitt. Führt der Sonnenuntergang ein dramatisches Geschehen auf, zeigt der Sonnenaufgang positive und optimistische Züge, in einem etwas seifenopernähnlichem Geschehen führt Elliot die Liebenden zusammen, trotz der ganzen Seifenoper haben aber die weiblichen Charaktere des Buches eine wirklich führende Rolle.

Dies ist sicher nichts alltägliches, schon gar nicht für diese Zeit. Eine Dorothea lenkt ihr Geschehen und Leben, schon in der Heirat Casaubons zeigt sie viel Willenskraft, aber in ihrem weiteren Procedere schafft es die Autorin Dorothea noch weiter aus bisherigen weiblichen Rollenbildern ausbrechen zu lassen, verzichtet schließlich auf ihr Vermögen aus der Heirat mit Casaubon und heiratet schließlich einen geliebten, aber ärmlichen Menschen. Dies ist etwas was in der damaligen Zeit absolut unüblich war und was Dorothea auch einiges Ungemach einbringt. Interessant ist der Einwurf ob die Heirat genauso negativ besetzt gewesen wäre, wenn ihr Geliebter reich gewesen wäre. …
Mary Garth möchte ihren Fred und bekommt ihn schlussendlich auch und beide werden recht gleichrangig gezeichnet und auch Marys Rolle hierbei ist recht stark. Schön fand ich den Humor, der immer wieder hier durchblitzt. Und auch Rosamond hat eine Stärke, denn sie lenkt Lydgate und auch andere, auch wenn sie fast durchgängig negativ im Buch besetzt ist. Und auch Celia lenkt ihren Mann.

Jeder weibliche Charakter lenkt anders, aber er lenkt, zwar in seinen Ausführungen der Zeit angepasst, aber es sind lenkende weibliche Rollen. Sehr interessant gemacht dieses Buch.

Und ich denke dieses Buch wird viele Diskussionen in der damaligen Zeit ausgelöst haben, birgt es ja auch eine gewisse Gesellschaftskritik. Sie nimmt zwar nicht so den großen Raum ein. Aber sie ist vorhanden.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
James hat durch seine negative Einstellung der Ehe seiner Schwägerin gegenüber bei mir arg an Sympathie verloren. Er ist und bleibt ein kleiner Chauvinist.
Hier kann ich dir nur zustimmen. James ist mir im Verlauf der Handlung immer unsympathischer geworden. Wenn man hier bedenkt, Doro hätte ihn geheiratet, dies wäre definitiv nie gut gegangen.