7. Leseabschnitt: Sechstes Buch - Die Witwe und die Ehefrau (S. 707 - 843)

G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Meine unterschwellige Sympathie für Fred wird im Verlauf deutlicher. Ein zunächst selbstbezogener, unbedachter, eigensinniger und verwöhnter Hitzkopf, der aufrichtig geliebt hat und liebt und nun aufgrund von Erfahrungen auf den rechten Weg gelangt. Eine Entwicklung die man nicht selten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen feststellen.

Dass Fred diesen Weg geht (nicht Priester sein, sondern Angestellter von Mr Garth, sich für Mary entscheiden) obwohl ihm die Missbilligung seines Vaters und der gesellschaftliche Abstieg bereits im Voraus bewusst waren, finde ich mutig und bewundernswert.

Ich bin echt gespannt, wie es mit ihm weitergeht. Und auf alles andere bin ich auch gespannt.
Hier bin ich ganz bei dir, man sieht dass er gewillt ist Änderungen in Angriff zu nehmen und das finde ich gut. Dadurch dass er eben anders erzogen worden ist und auch ein gewisser Druck besteht, fällt ihm das natürlich nicht leicht. Deshalb braucht es auch bis zur Entscheidungsfindung. Aber er geht seinen Weg, der ihm nicht leicht fallen wird. Aber er macht es. Diesen Schritt zu gehen, fällt Leuten heute schwer, wie schwer mag es ihm gefallen sein? Ein Schritt der gewürdigt gehört.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ein wenig tut mir Farebrother leid. Er ist allen zugewandt, hilft wo er kann, ist verständnisvoll, aber er scheint immer den Kürzeren zu ziehen. Es würde mich wirklich freuen, wenn er auch noch einmal, abgesehen davon, dass er jetzt immerhin Geld verdient, etwas Glück finden würde.
Leid tut mir Farebrother nicht. Aber ich wünsche ihm definitiv auch ein persönliches Glück, denn mit seiner ganzen Art hat er sich das mehr als verdient.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Mit der Ehefrau ist Rosamond gemeint, deren teurer Lebensstil gemeinsam mit den Ausgaben für Haus und Möbel Lydgate in finanzielle Probleme stürzt. Es wird deutlich, dass sie sich nicht mehr leisten können, so weiterzumachen wie bisher.
In den folgenden Kapiteln bzw. in den Auseinandersetzungen zwischen Rosamond und Tertius wird deutlich, dass er ihr zwar unmissverständlich deutlich macht, dass es so nicht weitergehen kann, dies aber an ihr abzuprallen scheint. Ihre Gleichgültigkeit, ihre Passivität gepaart mit ihren Tränen führen dazu, dass Lydgate "keine Macht" (775) über sie hat. Die Ehe kühlt sich zunehmend ab, er zeigt zwar Zärtlichkeiten, ist aber wütend auf sie, während sie sich untadelig verhält, aber nicht bereit ist, ihren Lebensstil aufzugeben.
"Doch Lydgate konnte nicht verhindern, dass er mit Grauen auf die unvermeidlichen künftigen Diskussionen über Ausgaben und die Notwendigkeit eines vollständigen Wandels in ihrem Lebensstil blickte." (792)
Die Witwe und die Ehefrau lautet die Überschrift diesen Buches/dieses Leseabschnittes. Beide sind auch die Personen, die hier am meisten beschäftigen, teilweise sogar etwas polarisieren. Wobei der Titel meiner Meinung auch die Liebenden und die Eheleute hätte lauten können, dann hätten wir die vier mich hier am meisten treffenden Charaktere zusammen gehabt.
Denn genau hier bin ich jetzt, bei mich treffenden Charakteren, ein interessanter Werdegang in mir, wie ich finde.
Rosamond und Lydgate:
Lydgate wird sich seiner Lage oder der Lage der Eheleute Lydgate immer deutlicher bewusst und versucht zu intervenieren und seine Ehefrau mit ins Boot zu holen. Also erfährt die Person Lydgate eine Veränderung und ist sich dieser auch bewusst und hofft auf Hilfe seiner Ehefrau. Eine vergebliche Hoffnung wie ich finde!
Rosamond zeigt hier indessen wirklich die Vorzüge ihrer Erziehung und ihre Bereitschaft zur Veränderung. In meinen Augen hat diese Person so überhaupt keine Vorzüge, außer vielleicht ihr Aussehen, eine Blenderin sozusagen und eine Bereitschaft zur Veränderung kann ich hier überhaupt nicht erkennen. Dagegen zeigt sie durchaus Bereitschaft zur Manipulation und ist nur auf ihre Geltung und Stellung in der Gesellschaft bedacht. Dazu zeigt sie auch eine gewisse Aktivität, zum Beispiel bei der Information ihres Vaters, welch einfacher Gang, der aber scheitert. Hut ab vor dem Vater! Im eigenen Haus zu bleiben und bei der Auflistung der Wertgegenständen zugegen sein, ist aber nicht so erwünschenswert von dieser Prinzessin.
Aber am meisten geärgert habe ich mich über ihre Empfindungsarmut Lydgate gegenüber und ihren Gedanken zur Negierung ihrer Heirat. :mad:Erst macht sie ihm die Gefühlsbraut und schmachtet ihn an und dann kommen die Probleme, vor denen sie gewarnt wurde wohlgemerkt, und sie möchte gehen und sieht auch gar nicht ihr Dazutun zu dieser Situation. So eine egoistische Göre! Furchtbar!
Der Einzige der sich hier ärgern sollte ist Lydgate, aber er scheint sie doch zu lieben. Ich hatte dies ja anfangs anders gesehen. In diesem Abschnitt tat mir Lydgate wirklich leid. Ich bin neugierig wie es weiter geht und ahne schreckliches!
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Das trifft für durchgängig rechtschaffene Menschen sicherlich zu. Bulstrode ist aber ambivalent. Er gängelt andere unter dem Vorwand des Glaubens, er ist ziemlich radikal unterwegs, was ihm mancher ja auch vorhält.
Vor Jahren ist er der Versuchung erlegen, unrechtmäßig zu Geld zu kommen. Das scheint er aufrichtig zu bereuen - ändern kann er es nicht mehr. Im Gegenteil: Am langen Ende ist eine weitere, ungleich schwerere Sünde fällig.... Und tatsächlich: Er hat Angst, seinem Schöpfer einst entgegenzutreten. Insofern ist Religiosität vorhanden, auch wenn er sie nicht geschafft hat, durchgehend und mit Nächstenliebe erfüllt zu leben. Für mich glaubwürdig.
Den zahlreichen katholischen Priester, die sich nachweislich an Kindern vergangen haben, kann man doch auch ihren Glauben nicht absprechen, zumindest sicher nicht allen. Sie können Arschlöcher (Entschuldigung) und gleichzeitig gläubige Christen sein. Schön ist das nicht, letztlich scheitern sie ja. Aber es gibt es.
Raffles tritt weiter auf und nach und nach erfahren wir die damalige Geschichte. Bulstrode möchte sich freikaufen. Nicht umsonst geschieht das auch in seinem gesetzten Alter, schließlich hat er Angst vor dem was danach (nach seinem Ableben) kommen sollte. Will bleibt aber standhaft und lehnt ab, dies passt nicht zu seinen Ansichten von seiner weißen Weste, ist er doch schon über das Kodizill Casaubons geschockt und er ist ja auch das Kind seiner Mutter und auch diese ist ja vor etwas weggelaufen, hat also ihre Ansichten, die sie sicher an ihren Sohn weitergegeben hat. Bin gespannt was weiter mit Bulstrode passiert. Hier zeigt Elliot auch zwei Seiten bei religiösen Menschen, einmal Farebrother und dann Bulstrode. Also kann man ja auch nicht sagen dass sie gegen die Religion eingestellt wäre. Sie zeigt nur menschliches Verhalten und das recht gut.
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Eine schöne Metapher, die Caleb Garth verwendet: „Das Vieh mag eine schwere Last tragen, aber es hilft ihm nichts, sie in den Straßengraben zu werfen, wenn ein Teil dieser Last das eigene Futter ist.“ (Seite 743)... solche setze muss ich immer mehrfach lesen. Sie sind einfach wahr, einprägsam und schön.
Und dieses Buch ist voll von solchen Sätzen. Interessant gemacht dieses Buch! Und dazu noch die wirklich beispielhaft gestrickten Charaktere. Vieles von dem was hier genannt/geschrieben wird, ist in andere Zeiten übertragbar, ob dies nun politisches Geschehen ist oder die Gestaltung der Charaktere ist. Nun kommen ganz andere Aussagen von mir. Aber ich bin auch wieder offener. Gut so!
 

Literaturhexle

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Aber am meisten geärgert habe ich mich über ihre Empfindungsarmut Lydgate gegenüber und ihren Gedanken zur Negierung ihrer Heirat. :mad:Erst macht sie ihm die Gefühlsbraut und schmachtet ihn an und dann kommen die Probleme, vor denen sie gewarnt wurde wohlgemerkt, und sie möchte gehen und sieht auch gar nicht ihr Dazutun zu dieser Situation.
Das hast du sehr schön ausgearbeitet, ganz meine Meinung. Die Erziehung Rosamonds hat Früchte getragen, die Saat ist aufgegangen. Probleme, noch dazu so etwas profanes wie zu wenig Geld, sind nicht definiert in dieser Prinzessinnen-Welt.
Hier zeigt Elliot auch zwei Seiten bei religiösen Menschen, einmal Farebrother und dann Bulstrode.
Richtig. Das wundert einen aber auch nicht: es scheint, dass viele zweite Söhne (bei Jane Austen ebenso) Geistlicher wer den mussten. Es ist aber eigentlich ein Beruf, der aus der Berufung kommen MUSS, wenn man ihn gut machen will...
Bulstrode ist das Beispiel des Scheinheiligen. Allerdings sind ihm seine Sünden zumindest bewusst.
 

nineLE

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Hier stimme ich dir voll zu! Gerade wenn Literatur, Musik, Theater, Filme diese extremen Emotionen auslösen, sind es in meinen Augen Öffner für die eigene Seele, machen etwas mit mir und gerade diese tiefe Emotionen auslösenden künstlerischen Zeugnisse sind mir die liebsten. Und gerade solche Figuren die solche Emotionen auslösen, sind doch die intensivsten, oder? Ich liebe so etwas, auch wenn es in beide Richtungen gehen kann und muss.
Ganz ganz genau das meine ich! :heart
 

milkysilvermoon

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Ich habe diesen Abschnitt als deutlich emotionaler als die bisherigen Teile empfunden. Ich fand ihn auch wieder kurzweiliger. Wirklich unglaublich, was alles in dieser facettenreichen Geschichte steckt.

Auch sehr spannend zu lesen, wie sehr die Meinungen zu den einzelnen Personen hier auseinandergehen. Das bestätigt mir, dass es der Autorin sehr wohl gelungen ist, gleichwohl interessante und realistische Figuren zu schaffen. Ich muss zugeben, dass ich bei einigen von ihnen auch noch nicht weiß, was ich von ihnen halten soll.

Das wollen wir doch in diesem neuen Jahr noch ändern, liebe Elisabeth! Vielleicht sollten wir den Faust doch in die Weltliteraturrunde aufnehmen, sonst wird es nie etwas:confused:.

Ich muss gestehen, dass Faust II auch schon seit dem Abitur ungelesen in meinem Regel Staub ansetzt. :oops: Vielleicht wäre solch eine Leserunde tatsächlich mal eine Idee...

Das sehe ich völlig anders. Die Figuren sind sehr authentisch, gerade weil sie sich teils so schwer charakterlich einordnen lassen. Fast alle habe gute und schlechte Seiten in unterschiedlicher Gewichtung - wie im wahren Leben.

Ich finde die Personen auch sehr lebensnah - zumindest in psychologischer Hinsicht. Die Umstände und Verhaltensrichtlinien waren damals natürlich andere...

Und dieses Buch ist voll von solchen Sätzen. Interessant gemacht dieses Buch! Und dazu noch die wirklich beispielhaft gestrickten Charaktere. Vieles von dem was hier genannt/geschrieben wird, ist in andere Zeiten übertragbar, ob dies nun politisches Geschehen ist oder die Gestaltung der Charaktere ist.

Schön formuliert. Ich teile diese Beobachtung.
 
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