Rezension Rezension (4/5*) zu Der Platz im Leben: Roman von Anna Quindlen.

KrimiElse

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26. Januar 2019
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5.110
49
buchmafia.blogspot.com
Scharfsichtige und warmherzige Unterhaltung

Der Roman „Ein Platz im Leben“ der Amerikanerin Anne Quindlen ist ein Plädoyer dafür, sich aufzuraffen und sich immer wieder neu zu erfinden, es ist ein Familienroman, ein virtuoser Gesellschaftsroman mit scharfem Blick auf eine zerbröselnde liberale Gemeinschaft und eine gelungene Hommage an die Stadt New York, das alles auf sprachlich hohem Niveau und sehr gut übersetzt von Tanja Handels.

Von Anfang an nimmt das Buch den Leser gefangen, auch wenn nicht allzu viel passiert und sich vieles in einer Sackgasse der Stadt New York innerhalb einer ziemlich abgeschotteten Gemeinschaft abspielt. Aber genau darin liegt wohl der große Reiz der Geschichte, die von Nora Nolan und ihrem Ehemann Charlie erzählt, von ihren Nachbarn und Bekannten, die alle mehr oder weniger glücklich im Wohlstand in New Yorks Upper East Side in stilvollen Stadthäusern leben. Nora Nolan glaubt glücklich zu sein mit ihrer Ehe, mit den fast erwachsenen Zwillingen und ihrem Job im Museum of Jewelry. Alles scheint perfekt, angefangen von ihren Kindern, die an hervorragenden Colleges untergebracht sind bis hin zu ihrem Traumhaus, das herrschaftlich-stilvolles Ambiente für Nachbarschaftsfeste bietet. Alle halten sich für unglaublich liberal, zahlen sie doch ihren südamerikanischen Hausangestellten einen extra Weihnachtsbonus und behandeln den puertoricanischen Handwerker der Straße, Ricky, scheinbar wie einen Gleichgestellten. Doch die Gemeinschaft, in der sie sich mit ihrer Familie bewegt, bröckelt, so wie ihre Ehe und so wie auch der altherrschaftliche Stadtteil, und ein überraschend brutales Ereignis in der Nachbarschaft spaltet die Bewohner in Lager. Nora muss erkennen, dass die Krise des liberalen Amerika auch ihre ruhige Sackgasse erreicht hat, dass eben nicht überall gleiches Recht für alle gilt sondern große gesellschaftliche Abschottung zwischen Reich und Arm herrscht, die sie mitgetragen hat. Nora, in mittleren Jahren, sucht ihren Platz neu, und das nicht nur innerhalb der Nachbarschaft, sondern auch für ihr Eheleben und für ihren Job.

Feinsinnig, mitfühlend, sprachlich virtuos und voller kluger Wärme nimmt die preisgekrönte Autorin den Leser mit, läßt an Noras Träumen und Wünschen teilhaben und erzeugt durch viele kleine Episoden Spannung beim Lesen. Man liebt die Protagonistin, die sich voller Mut aufrafft und den Gegebenheiten ins Auge sieht, einen völlig neuen Weg geht und das letzten Endes leichten Herzens und mit der nötigen Weisheit.
Die Entwicklung der zusammengewürfelten Gemeinschaft wird sehr genau ausgeleuchtet, Scheinheiligkeiten haben keinen Platz mehr, und ohne viel Pathos mit scharfem Fokus verfolgt der Leser den Zusammenbruch dort, wo es eigentlich auch vor dem Schlüsselereignis kein Füreinander gab.
Sprachlich großartig geschrieben ist das Buch für mich höchst unterhaltsam, hellsichtig und mit einem äußerst glaubwürdigen Ende verhaltener Hoffnung. Was will man mehr?