Rezension Rezension (4/5*) zu Violet: Roman von Tracy Chevalier.

sursulapitschi

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18. September 2019
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Buchinformationen und Rezensionen zu Violet: Roman von Tracy Chevalier
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Öffnet Augen

Nach dem letzten Buch von Tracy Chevalier habe ich mir einen Goldpepping in den Garten gepflanzt. Jetzt möchte ich sticken lernen. Die Autorin ist vielseitig und kann Begeisterung für Themen wecken, auf die man nie gekommen wäre.
Mit diesem Buch zeigt sie, dass wir in Sachen Emanzipation doch schon dazugelernt haben.

1932 war der letzte Krieg zwar vorbei, trotzdem hatte die Bevölkerung noch mit den Folgen zu kämpfen. Violet hat zum Beispiel ihren Verlobten verloren und ist „sitzengeblieben“, 38 Jahre alt, keinen Mann abbekommen und muss in der Zeitung lesen, wie man über den Frauenüberhang witzelt.
Irgendwann hält sie es nicht mehr aus daheim mit ihrer Mutter, der man nichts rechtmachen kann, und zieht nach Winchester, besorgt sich einen Job, ein Zimmer und tritt der Stickgruppe bei, die die kunstvollen Sitzkissen für die Kathedrale gestaltet.

Eigentlich geht es um nicht viel. Eine Frau möchte ein selbstbestimmtes Leben, was nicht verboten ist, aber überall misstrauisch beobachtet wird. Die Vermieterin kontrolliert Telefonate, Besuch und den Kohlenkonsum, alleine essen gehen ist ein Spießrutenlauf, abends ausgehen höchst anrüchig und Bruder und Mutter erwarten ganz selbstverständlich, dass Violet immer zur Verfügung steht, hat sie doch keine eigene Familie zu versorgen. Nur beim Sticken kann Violet abschalten, eine kontemplative Tätigkeit, die ihr Freude bereitet, gesellschaftlich anerkannt ist und bei der Schönes entsteht.

Nichts davon ist neu, es ist auch keine große Geschichte, die einen in Atem hält, allerdings habe ich dieses Thema noch nie so komprimiert vor Augen geführt bekommen. Violets Leben ist trist und leidvoll, auch wenn sie nichts Offensichtliches zu erleiden hat. Es geht um gesellschaftliche Normen, bei denen alleinstehende Frauen nicht vorgesehen sind, Engstirnigkeit, ein Frauenbild, das Frauen irgendwo zwischen Kindern und Haustieren ansiedelt. Das ist tragisch und schockierend, wenn auch kein Pageturner. Im Mittelteil zieht es sich ein klein wenig.

Ein bisschen aufgelockert wird das Geschehen durch eine sehr zaghafte Liebelei, bei der man Interessantes über Glocken und den Beruf eines Glöckners lernt.
Dieses Buch ist beeindruckend, fesselnd und lenkt dem Blick auf ein Thema, was öfter am Rande wahrgenommen, aber selten direkt beleuchtet wird. Es öffnet Augen.