Vom Ende einer Geschichte

nineLE

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Da ich im E-Book lese, habe ich leider keine Seitenangaben. Zu Beginn schreiben wir am einfachsten kurz, wo wir inhaltlich sind, und dann unsere Eindrücke. Der Rest ergibt sich ;) Habe gestern schon reingelesen!

Ok, los geht´s ich versuche mich: Mann, bin ich froh, möchte ich ausrufen, denn als ich das Buch begann und bereits auf der ersten Seite das Einstiegslayout zu bemängeln hatte- das Buch beginnt mit Aufzählungen bestehend aus Spiegelstrichen- und zwei der Spiegelstriche ...ähm verwirrend waren, dachte ich, wie schade, das wird nix! Ich meine, ich lese als drittes etwas über Spermaflatschen, aha und dann im letzten Spiegelstrich der Aufzählung "längst erkaltetes Badewasser hinter einer verschlossenen Tür" (wie bitte soll man das SEHEN können, also die erkaltete Temperatur, dachte ich) und jetzt bin ich froh, dass sich mein allererster Eindruck, Gott sei dank, nicht bestätigt hat. I like it.

Zwar bin ich jetzt erst auf Seite 55, aber es liest sich nun prächtig und ich habe auch schon diverse Male gelacht.

Das Freundedreigespann der Schule, war eine eingefleischte Gemeinschaft, bestehend aus Colin, Alex und dem Ich-Erzähler Tonyd. Diese drei teilen sich nicht nur dieselbe Art von derbem Humor und die gemeinsame Marotte, die Uhr an der Innenseite des Handgelenkes zu tragen (um ihre enge Verbundenheit auch äußerlich zu demonstrieren), sondern auch gemeinsam haben, alles ins Lächerliche zu ziehen. Der Neue der Schule, Adrian, passt da mit seinem feinen subversiven Humor und dem scheinbar fundierten Intellekt nicht recht in diese Runde, oder gerade deshalb, als perfekte Ergänzung derselben?
 
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das Buch beginnt mit Aufzählungen bestehend aus Spiegelstrichen- und zwei der Spiegelstriche
Die Spiegelstriche hatten mich auch verwirrt, allerdings scheint es so zu sein, dass ein erwachsenes, älteres (?) Ich auf sein Leben zurückblick, sich erinnert und das sind die Erinnerungen, die ihm am meisten haften geblieben sind.
die Uhr an der Innenseite des Handgelenkes zu tragen
- ist die erste Erinnerung, die auch in der erzählten Geschichte auftaucht.
Die Erinnerung an die gemeinsame Freundschaft in der Schule, die du schon erwähnt hast. Auch alle weiteren Erinnerungen werden wohl im Verlauf der Geschichte auftauchen. Die dampfende Bratpfanne (bist du schon da?) und auch der stromaufwärts brausende Fluss spielen eine besondere Rolle.
Und es ist ja im Rückblick tatsächlich so, dass uns besondere Ereignisse, die unser Leben beeinflusst haben, nachhaltig im Gedächtnis bleiben - auch wenn man sich nicht mehr sicher ist, ob das alles tatsächlich so geschehen ist. Erinnerung ist subjektiv, eine Problematik, die der reflektierende Ich-Erzähler mehrfach anspricht.
"Wenn ich mir der tatsächlichen Ereignisse nicht mehr sicher sein kann, so kann ich wenigstens getreu wiedergeben, welche Eindrücke sie hinterlassen haben. Ich werde mein Bestes tun."
(bei mir Seite 10)

Er will uns - er spricht die Leser*innen mit "Du" an - eine Geschichte erzählen und wählt jene Ereignisse aus, die dazu gehören - genau wie die Schulzeit, in der alles begonnen hat.
Er wechselt zwischen dem erlebenden Ich, die Passagen stehen in der Vergangenheit, und dem erzählenden, reflektierenden Ich, das kommentiert, was damals geschehen ist und auch ab und an vorausblickt. Soweit zur Erzählstruktur, die mir außerordentlich gut gefällt, ebenso wie die Tatsache, dass uns der Erzähler vor seiner Erinnerung warnt - können wir seiner Geschichte vertrauen?
Zu den Jungen hast du ja schon einiges gesagt, eine verschworene Gemeinschaft, deren Kopf der intelligente Adrian ist, der sich fast alles erlauben darf.
Interessant finde ich auch die Betrachtung der damaligen Gesellschaft - die 50er/60er Jahre und die Erwartungen, die die Eltern an ihre Kinder haben:
"Der vornehme Sozialdarwinismus der englischen Mittelschicht wirkte immer im Verborgenen."
Der Tod eines Mitschülers beschäftigt die Jungen, vor allem die Tatsache, dass er eine Frau geschwängert hat - darum kreisen natürlicherweise viele ihrer Gedanken: Mädchen und Sex.
Allerdings haben sie idealistische Vorstellungen vom Leben, ihre größte Angst ist, dass es "im Leben anders zugehen könnte als in der Literatur."
Nebenbei erläutert der Ich-Erzähler, wovon seiner Meinung nach ein Roman handeln sollte: "Von der Entwicklung eines Charakters im Laufe der Zeit".
Verfolgen wir Tonys Entwicklung?
 

nineLE

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Die dampfende Bratpfanne
ja klar:[zitat]... und warf dann die heiße Bratpfanne in das volle Spülbecken. Beim Aufprall zischte Wasser auf... [/zitat]

Das Bild wiederholt er mehrfach. Es ist witzig, dass man sich das Geräusch selbst genau vorstellen kann, das gefällt mir sehr an dieser bildreichen Sprache.
 
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Literaturhexle

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ja klar:[zitat]... und warf dann die heiße Bratpfanne in das volle Spülbecken. Beim Aufprall zischte Wasser auf... [/zitat]

Das Bild wiederholt er mehrfach. Es ist witzig, dass man sich das Geräusch selbst genau vorstellen kann, das gefällt mir sehr an dieser bildreichen Sprache.
Ich empfand das Buch als herausragend, hatte Aber, glaube Ich, eine ganz andere Grundstimmung als du: für mich kam der Text eher schwermütig, nachdenklich daher. Ich habe sehr langsam lesen müssen...
Bei dir klingt das alles viel leichter. Spannend! Aber gefallen tut es dir ja auch:)
 
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nteressant finde ich auch die Betrachtung der damaligen Gesellschaft - die 50er/60er Jahre und die Erwartungen, die die Eltern an ihre Kinder haben:
"Der vornehme Sozialdarwinismus der englischen Mittelschicht wirkte immer im Verborgenen."
...kurz vor diesem sozusagen Fazit seiner gesellschaftspolitischen Entwicklungsbetrachtung (bei mir Seite 24) fand ich die Hinleitung zu dieser Erkenntnis so nickend beeindruckend:[zitat]Nichts konnte uns von unseren Pflichten als Mensch und Sohn ablenken, und die bestanden darin, zu lernen,Prüfungen zu bestehen...und sich dann eine Lebensweise anzueignen, die auf nicht bedrohliche Weise, erfüllter war als die unserer Eltern und deren Beifall fand; [/zitat]
 
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nineLE

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Der Tod eines Mitschülers beschäftigt die Jungen, vor allem die Tatsache, dass er eine Frau geschwängert hat - darum kreisen natürlicherweise viele ihrer Gedanken: Mädchen und Sex.
A
Ich bin jetzt am Ende von Teil eins, und habe das Gefühl dieser, damals als banal betrachtete Grund des Todes des Mitschülers wird uns noch beschäftigen, also behalten wir die Umstände mal im Hinterkopf?
 

nineLE

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Nebenbei erläutert der Ich-Erzähler, wovon seiner Meinung nach ein Roman handeln sollte: "Von der Entwicklung eines Charakters im Laufe der Zeit".
den das "du" verwendenden ICH-Erzähler finde ich eigenartig, denn damit fühle ICH mich nicht angesprochen, vielmehr kommt es mir wie eine in der Rückschau erfolgte Briefwechselatmosspähre vor? Was meinst du?
 
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Ich empfand das Buch als herausragend, hatte Aber, glaube Ich, eine ganz andere Grundstimmung als du: für mich kam der Text eher schwermütig, nachdenklich daher. Ich habe sehr langsam lesen müssen...
Bei dir klingt das alles viel leichter. Spannend! Aber gefallen tut es dir ja auch:)
Ja absolut schwermütig könnte man denken, aber dennoch sind für mich Tonys Überlegungen derart defezil, abwägend und ernsthaft aus der Erinnerung um unbedingte Genauigkeit bemüht, dass die Schwermut, wie du sagst, für mich absolut in den Hintergrund tritt:[zitat] Ich muss noch einmal betonen, dass das mein jetziges Verständnis des damaligen Geschehens ist, meine jetzige Erinnerung an mein damaliges Verständnis des damaligen Geschehens[/zitat]

Ich habe aber auch, und das nicht wenig, mehrfach schallend gelacht über diesen scharfzüngigen Sarkasmus/Humor, so z.B., als die Beziehung zu Veronica beendet war:[zitat] Am nächsten Tag brachte ich ein Milchkännchen in den Oxfam-Laden. Ich hoffte, sie werde es im Schaufenster sehen. Aber als ich nachschauen ging, da war etwas anderes ausgestellt: eine kleine colorierte Lithografie..., die ich ihr zu Weihnachten geschenkt hatte.[/zitat] Ätsch! (S. 50)

Oder die Frage was ist Geschichte: Ist sie [zitat] Die Summe der Lügen der Sieger [/zitat] oder [zitat]...ein Sandwich mit rohen Zwiebeln... Sie stößt einem immer wieder auf[/zitat]

Herrlich!

Ebenso auch die Antwort auf die Frage seiner Mutter (S. 61), ob Tony den vollkommen überraschenden Selbstmord seines Freundes Adrian mit dessen Hyperintelligenz in Zusammenhang bringt: [zitat] Ich habe die Statistiken über den Zusammenhang von Intelligenz und Selbstmord gerade nicht zur Hand[zitat]. erwiderte ich[/zitat][/zitat]

Wunderbar sind auch die aufgeschnappten und zitierten Weisheiten oder solche, die sich dafür halten, etwa (S.69):[zitat] Irgendein Engländer hat mal gesagt, die Ehe sei eine lange fade Mahlzeit, bei der der Nachtisch zuerst serviert wird. [/zitat]...:D:p:cool:
 
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den das "du" verwendenden ICH-Erzähler finde ich eigenartig, denn damit fühle ICH mich nicht angesprochen, vielmehr kommt es mir wie eine in der Rückschau erfolgte Briefwechselatmosspähre vor? Was meinst du?

Ich kenne es bereits aus anderen Romanen von Barnes, mich irritiert es immer ein wenig, weil ich mich angesprochen fühle ;)
Aber es etwas einbindendes, nach dem Motto, denk über das nach, was ich dir erzähle.
Ich bin jetzt am Ende von Teil eins, und habe das Gefühl dieser, damals als banal betrachtete Grund des Todes des Mitschülers wird uns noch beschäftigen, also behalten wir die Umstände mal im Hinterkopf?
Oh, da liest du ja schnell. Ich bin gerade an der Stelle, als Tony von Adrians Selbstmord erfährt...werde heute auch nicht viel weiter kommen.
Ich schwanke zwischen Schwermut und Leichtigkeit, auch ich habe über die gleichen Stellen lachen müssen - das Kännchen, herrlich. Aber der Grundton ist melancholisch, spätestens mit dem Selbstmord Adrians.
Das Verhalten Veronicas fand ich einerseits seltsam, andererseits passt es wahrscheinlich in die Zeit. Dass sie Tony nicht „ran“ lässt, wie herablassend sie ihn in Gegenwart ihres Vaters behandelt...aber der Ich-Erzähler warnt uns, es ist seine subjektive Erinnerung! Bin gespannt wie es weitergeht.
 

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Ich kenne es bereits aus anderen Romanen von Barnes, mich irritiert es immer ein wenig, weil ich mich angesprochen fühle ;)
Aber es etwas einbindendes, nach dem Motto, denk über das nach, was ich dir erzähle.

Oh, da liest du ja schnell. Ich bin gerade an der Stelle, als Tony von Adrians Selbstmord erfährt...werde heute auch nicht viel weiter kommen.
Ich schwanke zwischen Schwermut und Leichtigkeit, auch ich habe über die gleichen Stellen lachen müssen - das Kännchen, herrlich. Aber der Grundton ist melancholisch, spätestens mit dem Selbstmord Adrians.
Das Verhalten Veronicas fand ich einerseits seltsam, andererseits passt es wahrscheinlich in die Zeit. Dass sie Tony nicht „ran“ lässt, wie herablassend sie ihn in Gegenwart ihres Vaters behandelt...aber der Ich-Erzähler warnt uns, es ist seine subjektive Erinnerung! Bin gespannt wie es weitergeht.

OH ich bin ebenfalls sehr gespannt, wie es weitergeht, da du ja bei der Mitteilung über Adrians Freitod angekommen bist ( bei mir Seite 61) noch etwas dazu vielleicht: Es passt so absolut ins Bild welcher Art sein Abschiedsbrief war : [zitat][/zitat]Das Leben sei ein Geschenk, um das niemand gebeten habe...und wenn dieser Mensch sich entscheide, dieses Geschenk, um das niemand gebeten habe, zurückzuweisen, sei es seine moralische und menschliche Pflicht, den Konsequenzen dieser Entscheidung gemäß zu handeln. QUOD ERAT DEMONSTRANDUM. [zitat][/zitat]

Konsequent, so wie auch sein ganzes überlegtes Handeln, nie hat sich Adrian leichtferitg den Albernheiten, möchte man fast sagen, seiner drei Freunde angeschlossen, stets war sein Ton subtiler, sein Maß der Dinge überlegter (ihm fehlte jugendliche Unbeschwertheit???), so z.B. bei den Diskusionen mit den Lehrern, Gesprächen der vier über ihre Eltern...
 

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Noch eine Bemerkung dazu, dass Tony vom Tod seines Freundes verspätet erfährt. Das ist heute ja undenkbar, dass man durch die USA reist oder ein anderes beliebiges Land ohne nicht jederzeit erreichbar zu sein. Wir haben es noch erlebt ;)

Ich habe gestern Abend noch ein wenig weiter gelesen.
Der erste Teil ist am Ende lediglich die Zusammenfassung von Tonys Leben - im Schnelldurchlauf und man fragt sich tatsächlich, was soll jetzt noch kommen? Unbeantwortet ist die Frage, warum
sich Adrian das Leben genommen hat. Denn das ist die Geschichte, um die es zu gehen scheint. Dass ausgerechnet Veronicas Mutter ihm etwas vererbt ist schon erstaunlich und dann noch das Tagebuch Adrians, das Veronica jedoch nicht herausrücken will. Ich bin wirklich gespannt, wie es weitergehen wird und bin sicher, wir werden mögliche Antworten auf unsere Fragen erhalten.
 
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Das ist heute ja undenkbar, dass man durch die USA reist oder ein anderes beliebiges Land ohne nicht jederzeit erreichbar zu sein.

ja und so witzig geschrieben: [zitat] In jenen Zeiten... waren Reisende auf das rudimentäre Kommunikationssystem angewiesen, das man Postkarte nennt. ...Ich will damit nicht sagen, dass das unbedingt besser war; nur war es für mich wahrscheinlich hilfreich, dass meine Eltern nicht nur einen Knopfdruck entfernt waren und mich ihren Befürchtungen ...überschütten konnten. [/zitat]:D
 
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Noch eine Bemerkung dazu, dass Tony vom Tod seines Freundes verspätet erfährt. Das ist heute ja undenkbar, dass man durch die USA reist oder ein anderes beliebiges Land ohne nicht jederzeit erreichbar zu sein. Wir haben es noch erlebt ;)

Ich habe gestern Abend noch ein wenig weiter gelesen.
Der erste Teil ist am Ende lediglich die Zusammenfassung von Tonys Leben - im Schnelldurchlauf und man fragt sich tatsächlich, was soll jetzt noch kommen? Unbeantwortet ist die Frage, warum
sich Adrian das Leben genommen hat. Denn das ist die Geschichte, um die es zu gehen scheint. Dass ausgerechnet Veronicas Mutter ihm etwas vererbt ist schon erstaunlich und dann noch das Tagebuch Adrians, das Veronica jedoch nicht herausrücken will. Ich bin wirklich gespannt, wie es weitergehen wird und bin sicher, wir werden mögliche Antworten auf unsere Fragen erhalten.
Insgesamt aber ist der zweite Teil auch so dermaßen charmant und witzig geschrieben, dass ich mittlerweile so viel unterstrichen habe, dass das halbe Buch gelb ist ;). Die philosophischen Anmerkungen und Grübeleien zu dem Thema des Lebens: das Leben selbst, sind einfach nur großartig: [zitat] ...paradox: Die Geschichte, die sich direkt vor unser Nase vollzieht, sollte eigentlich am klarsten sein, und doch ist sie am schwierigsten zu fassen. [/zitat]
oder auch herrlich [zitat] wenn wir jung sind, kommt uns jeder über dreißig alt vor, jeder über fünfzig vergreist... Am Ende fallen wir alle in dieselbe Kategorie, die der Nichtjungen. [/zitat]
 
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