2. Leseabschnitt: Kapitel 2 (S. 38 bis S. 69)

MRO1975

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11. August 2018
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In diesem Abschnitt wird uns das Konzept des Reversalismus näher gebracht. Die Vertreter des Reversalismus werden Rückdreher genannt. Sie wollen den Geldkreislauf zurückdrehen. D.h. wer eine Leistung beziehen will, muss dafür nicht zahlen, sondern Geld abnehmen. Damit niemand Geld hortet, soll es strafbar sein, eine bestimmte Menge Geld zu besitzen. Wer viel einkauft und daher viel Geld bekommt, muss das Geld also wieder los werden. Dies ist nur möglich, wenn man selbst eine Leistung anbietet (also in der Regel arbeiten geht), um dem Bezieher der Leistung (Arbeitgeber) das Geld aufzudrücken.

Die Idee ist so absurd, dass ich darüber erst einmal schlafen musste. Das kann nie funktionieren. Hier reglementieren also nicht mehr Angebot und Nachfrage den Markt. Es gibt nur die Strafdrohung, dass man Geld nicht horten darf, die den Kreislauf in Gang hält. Wen das nicht juckt, gehts super. Ab in den Supermarkt: Kauf einen neuen Fernseher und ein Auto und verstecke das Geld unterm Bett. Kein Wunder, dass die Rückdreher die Wahl gewonnen haben.

Das Konzept ist abwegig - ich denke, dass McEwan es erfunden hat, oder hat das wirklich mal jemand als Theorie erfunden? Es eignet sich auch gut, um als Pate für den Brexit zu stehen. Natürlich ist es überspitzt, aber die Überlegung in einer globalisierten, digitalisierten Welt sein eigenes Süppchen auf einer kleinen Insel im Atlantik zu kochen, ist ja auch „rückwärtsgewandt“ = Rückdreher = reverse.
 

Querleserin

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Mir ging es ähnlich wie @MRO1975, das Ganze ist so absurd, dass es als Satire auf den Brexit gemeint ist. So habe ich es verstanden, denn letztlich dreht GB mit dem Austritt das Rad der Geschichte zurück, isoliert sich, wünscht sich "alte" Größe zurück. Ist der Roman eine Parabel auf den Brexit? Reversalismus = Brexit? Die Kakerlaken haben derweil faktisch das Ruder übernommen, vorgeblich zum Wohl des Volkes. Muss mir nochmal in Ruhe den Abschnitt ansehen...
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Die Idee ist so absurd, dass ich darüber erst einmal schlafen musste. Das kann nie funktionieren.
Da bin ich ganz deiner Meinung! So ein System funktioniert nie. Man könnte das Geld einfach verbrennen. Der Staatsapparat müsste also jeden Haushalt kontrollieren, die Ausgaben und die Einnahmen.... wie soll das gehen und wer soll das bezahlen (respektive das Geld dafür erhalten:confused:)?

Ich denke auch, dass McEwan den Brexit für total irrsinnig hält. Er nennt ja das "Referendum" von 2015, in dem sich die Alten und die armen Arbeiter verbündet haben.

Hier ist es der Geldfluss, der an allem schuld ist, im realen Leben ist die EU. Der Außenhandel wird das Problem sein, das GBP verfallen. Doch Sams ist in seiner Allmachtsphantasie schwer zu bremsen. Seine Gedankengänge finde ich dabei höchst amüsant. Der Ton gefällt mir mittlerweile (Wer mein Leseverhalten kennt, weiß das einzuschätzen. McEwan macht seinen Job gut ;))
Auch die kleinen Randbemerkungen bezüglich seiner Herkunft - herrlich!

[zitat]Er war ihr Anführer. Er hatte die Macht... Kaum zu glauben. Herrlich[/zitat]
Da sieht man doch die Allianz der blonden dominanten Männer im englischsprachigen Ausland:confused:!
 

Querleserin

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McEwan ist nicht der Erste, der Kakerlaken Macht verleiht. Sie gelten als besonders resistent und invasiv, da sie in "Massen" auftreten.
[zitat] Im Film Joes Apartment – Das große Krabbeln stehen im Mittelpunkt der Handlung „sprechende Kakerlaken“. In dem Film Men in Black ist der Gegner der Protagonisten eine außerirdische Schabe. In der Folge Sandkastenliebe der Fernsehserie Der letzte Zeuge werden Kakerlakenrennen thematisiert. Im Buch La Cucaracha oder die Stunde der Kakerlaken von Daniel E. Weiss[8] spielt eine Kolonie von hochintelligenten Kakerlaken die Menschen gegeneinander aus./zitat] Quelle: Wikipedia[/zitat]
 

Literaturhexle

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Ist der Roman eine Parabel auf den Brexit? Reversalismus = Brexit?
Davon bin ich überzeugt und lese es genau so. Durch diesen Bezug habe ich meinen Spaß daran, sonst wäre mir das Ganze zu skurril.
Der Roman wird auch als "Roman des Brexit" rezipiert. Allerdings mit durchaus gemischtem Echo. Mancher meint, McEwan hätte sich zu wenig Zeit dafür genommen, die letzte Veröffentlichung liegt nur 6 Monate zurück.
Umso erstaunlicher, wie er das hinbekommen hat: da muss Frust und Erschütterung die Triebfeder gewesen seino_O
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Ja, @Literaturhexle, in diesem LA wird es ganz deutlich: Reversalismus als Umdrehen alles bisher Gedachten steht hier als Symbol für den Brexit. Eine widersinnige Idee, wenn man sie auch nur ansatzweise versucht zu Ende zu denken, soll durchgeboxt werden ohne Wenn und Aber.
Oder habt Ihr das Gefühl, dass das eine irgendwie realistische Idee ist.
Arbeitslosigkeit (verklausuliert als 25 Pfund Besitz an Barmitteln aus dem Kauf von Dingen, auch Lebensmitteln) muss zum Verbrechen erklärt werden, sonst kann es nicht klappen, denn wer würde schon arbeiten, wenn er dafür auch noch bezahlen muss. Ganz zu schweigen von der Idee des Reversalismus in einem Land. Kommen Waren aus dem Ausland noch ins Land, wenn für diese Lieferung Geld gezahlt werden muss? Wohl kaum! Aber egal. Dogmatisch wird die Idee angegangen und soll durchgeboxt werden.
Die Parallelen zum Geschehen in Großbritannien sind vielfältig - mir manchmal sogar etwas zu dick aufgetragen und platt, muss ich sagen.
Ein gar zu durchsichtiger Schlüsselroman, alle vorkommenden Figuren können direkt und 1 zu 1 in die Realität übertragen werden.
Mir geht hier auch etwas die Geschichte der verwandelten Kakerlake verloren. Ist das nun Jim Sams, der Premier, oder ein aus einem Insekt neu geborener Premier. Er scheint eher so weiter zu machen wie bisher, die Folgen der Veränderung sind nicht mehr bzw. nur sehr schwer sichtbar.
 

Querleserin

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Das ist eine gute Frage. Warum genau braucht es die Kakerlaken? Es geht eigentlich weiter wie bisher.
Gute Frage! Mir geht es ähnlich wie @Anjuta, das Ganze ist mir zu offensichtlich, ich muss Reversalismus mit Brexit gleichsetzen und das wars? Das ist in der Tat

Vielleicht sogar etwas zu dick aufgetragen. ;)

Nichtsdestotrotz werden die Folgen des „ Brexits“ aufgezeigt, was geschieht, wenn GB sich isoliert etc.
Mir fehlt im 2. Leseabschnitt der Bezug zur Kakerlake, lediglich auf die Pheromone wird mehrfach angespielt und einmal auch auf einen Plan(?):
[zitat]Ihn erregte der Gedanke an sein verborgenes, stummes Publikum, das hinter der Täfelung kauerte. Sicher versammelte es sich jetzt schon im Dunkeln. Wie stolz die Familie auf ihn sein würde.[/zitat]
Das klingt so, als habe er einen Auftrag, den er anschließend in seiner Rede vor dem Parlament auch ausführt.
 

Literaturhexle

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erregte der Gedanke an sein verborgenes, stummes Publikum, das hinter der Täfelung kauerte. Sicher versammelte es sich jetzt schon im Dunkeln. Wie stolz die Familie auf ihn sein würde.
Die Stelle habe ich mir auch dick angestrichen und bin zum selben Schluss gekommen wie du.
In Großbritannien hat sich allerdings die Familie des Premiers schon von ihm distanziert... Da wird es nix mit Beifall :D
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Ehrlich gesagt, habe ich wohl zu wenig Ahnung von englischer Politik. Aber ok, die Parallelen sind sichtbar, und dass ein Staat allein den Reservalismus nicht leben kann, ebenfalls. Wobei ich auch daran zweifle, dass es im großen (globalen) Handel funktionieren würde.
Die Idee erinnert mich übrigens an das Spiel "Mad", in dem es auch Ziel war, alles auszugeben (mehr weiß ich allerdings nicht mehr).
Interessant finde ich, dass gerade (wie es ja beim Brexit auch war) die Alten und Armen waren, die sich vom Brexit Besserung versprochen haben. Ebenfalls einleuchtend ist das Argument, die Alten schwelgten in Erinnerungen. Früher war alles besser ... wie oft hört man das nicht auch bei uns?
Und ehrlich: Dass viele die Idee, Steuern vom Staat zu bekommen (ich stelle mir gerade vor, wie ich eine Steuererklärung mache, um das Geld dem Staat zurückzugeben) - und je ärmer ich bin, desto mehr - oder für ihren Konsum noch belohnt zu werden (indem sie neben dem Krempel noch Kohle kassieren) toll fänden, das kann ich mir vorstellen. So dumm sind die Menschen. Dass man dann arbeiten muss, um's wieder loszuwerden, überhören dann die meisten. Jedenfalls boomt dann die Abfallwirtschaft.

Was die Kakerlaken angeht, kann ich mir höchstens vorstellen, dass sie als Symbol gewählt wurden, weil sie a) Schädlinge sind und b) sich bei den Menschen nicht allzu großer Beliebtheit erfreuen. Allerdings muss man jetzt im zweiten Teil wirklich sagen, dass da Menschen handeln, von Ungeziefer weit und breit keine Spur.
 

wal.li

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1. Mai 2014
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Zu Beginn dieses Abschnitts wurden die Begriffe erklärt. Das vereinfacht das Verständnis doch sehr.
McEwan macht das sehr geschickt, er bringt Zitate und man beginnt, sich zu fragen, ob wirklich jemand auf so eine Idee gekommen sein könnte. Wenn man allerdings googelt, kommen nur Hinweise auf das Buch. die englischsprachige Aussage wird auf ziemlich eindeutig als Brexit Satire bezeichnet.
Auch ohne dies genau zu wissen, erkennt man einige Parallelen.
Dass alle Politiker bis auf einen "ausgetauscht" sind, erkläre ich mir so, dass die Kakerlaken in der Natur eine homogene Masse bilden und als Kollektiv viel mehr durchsetzen können als allein. Und ein Einzelner, der nicht ins System passt, wird hoffentlich nur seinen Job wechseln müssen. Allerdings kenne ich mich mit der Lebensform der Kakerlaken nicht so aus.
Dieser vermeintliche Wille des Volkes, der unbedingt umgesetzt werden muss. Was dabei rauskommt, lässt mich doch die Sache mit den Volksentscheiden sehr in Frage stellen. Anscheinend ist das Volk manchmal doch sehr doof. (Das beschränkt sich nicht auf das Britische)
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Dieser vermeintliche Wille des Volkes, der unbedingt umgesetzt werden muss. Was dabei rauskommt, lässt mich doch die Sache mit den Volksentscheiden sehr in Frage stellen. Anscheinend ist das Volk manchmal doch sehr doof. (Das beschränkt sich nicht auf das Britische)

Fies, fies ... aber dem ist nichts hinzuzufügen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Was dabei rauskommt, lässt mich doch die Sache mit den Volksentscheiden sehr in Frage stellen. Anscheinend ist das Volk manchmal doch sehr doof. (Das beschränkt sich nicht auf das Britische)
Ich bin mir absolut nicht sicher, ob ein derartiger Volksentscheid bei uns anders ausgehen würde. Komplizierte Zusammenhänge kann/will die Masse gar nicht erfassen. Dadurch fällt sie auf Populisten rein, die vermeintlich einfache Antworten geben. Und bei geringer Wahlbeteiligung sind schnell 50% erreicht.
Insofern stehe ich dem Volksentscheid per se kritisch gegenüber.
 

Querleserin

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Ich bin mir absolut nicht sicher, ob ein derartiger Volksentscheid bei uns anders ausgehen würde. Komplizierte Zusammenhänge kann/will die Masse gar nicht erfassen. Dadurch fällt sie auf Populisten rein, die vermeintlich einfache Antworten geben. Und bei geringer Wahlbeteiligung sind schnell 50% erreicht.
Insofern stehe ich dem Volksentscheid per se kritisch gegenüber.
Dem ist nichts hinzuzufügen. Vor allem, wenn man bedenkt, wer dann zum Entscheid geht...ob das immer die Meinung der Masse ist. Natürlich müsste sich jeder verpflichtet fühlen, aber die Realität sieht oft anders aus.
 

ElisabethBulitta

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Wobei man sagen muss, dass die Zahl an Wählern damals beim Brexit-Entscheid recht hoch war, höher jedenfalls als bei üblichen Wahlen. Aber ich glaube auch (und in GB war es damals auch so), dass ein Großteil gar nicht weiß, worüber letztendlich abgestimmt wird und welche Konsequenzen es hat. Und eben: Der Mensch ist so gestickt, dass er liest und glaubt, was er will.
 

claudi-1963

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29. November 2015
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Die erste paar Seiten bin ich nicht ganz eingestiegen in allem was er damit wollte. Aber irgendwie hat man wirklich wie im Moment in der Realität, das die Briten in der Welt ihr eigenes Süppchen kochen. Das mit dem Reversalismus will mir noch nicht so ganz einleuchten woher da das ganze Geld kommen soll? Den klar sollen die Kunden ja jetzt Geld bekommen statt herzugeben. Auch die vielen Stellen die er da mit Krankenschwestern, Ärzten und Polizisten besetzen muss ist sicher klasse. Jedoch wie gesagt so ganz versteh ich das Umkehrprinzip noch nicht.

Allerdings in diesem steifen englischen Kabinett einen singenden Premier mir vorzustellen, der "Walking Back to Happiness" singt fand ich köstlich. Ich musste das Lied erst mal googeln damit ich wusste was das für eines ist und musste dann laut lachen. Den die Vorstellung so einen singenden Johnsen vor mir zu sehen, der jetzt ja gerade dran ist fand ich zu köstlich.

Allerdings habe ich das Gefühl, das ihm der Außenminister nicht ganz positiv gesinnt ist. Dir Eskalation mit den Frnazosen das könnte noch eine Herausforderung werden.
Ob die Briten es wirklich schaffen werden diesen alleinigen Vormarsch des Reversalismus ist fraglich, ich denke wir werden es hoffentlich im Buch sehen. :)

Auf alle Fälle hat es viele Parallelen zum Brexit, das spürt man, McEwan nimmt hier wirkliche eine satirische Position ein zu den Zuständen die in seinem Land herrschen. ;)

Aber ich muss sagen, wer das Buch liest, der sollte schon etwas Ahnung von Politik haben, um da durchzusteigen was MCEwan da sagen möchte.
 
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claudi-1963

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Die Idee ist so absurd, dass ich darüber erst einmal schlafen musste. Das kann nie funktionieren. Hier reglementieren also nicht mehr Angebot und Nachfrage den Markt. Es gibt nur die Strafdrohung, dass man Geld nicht horten darf, die den Kreislauf in Gang hält. Wen das nicht juckt, gehts super. Ab in den Supermarkt: Kauf einen neuen Fernseher und ein Auto und verstecke das Geld unterm Bett. Kein Wunder, dass die Rückdreher die Wahl gewonnen haben.

Das Konzept ist abwegig - ich denke, dass McEwan es erfunden hat, oder hat das wirklich mal jemand als Theorie erfunden?

Nein ich denke die Idee wurde sicher noch nicht erfunden, sie entstammt garantiert aus den Federn des Autors. Diese Idee ist ja fast noch abwägiger wie der frühere Tauschhandel. Anderseits die vielen Einstellungen von Polizei, Ärzten, Krankenschwestern und Müllmännern, wäre sicher nicht schlecht. Mir scheint das es da auch in England Missstände gibt in den Bereichen und nicht nur bei uns.