7.Leseabschnitt: Pikosekunden bis Brücke (Kapitel 67 - 75)

sursulapitschi

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Na gut, das Ende ist ein Abschied in jeder Hinsicht, ergreifend, aber richtig gepackt hat es mich nicht. Ich hatte mit etwas Raffinierterem gerechnet, als dass wir jetzt noch schnell die Wissenslücken stopfen.

Stephens Flugzeugentführung ist natürlich tragisch und skandalös, war mir aber zu lang und ausführlich und inzwischen auch nicht mehr relevant.

Die Krankheit der Mutter, Erinnerungsstücke, das schließt ab, aber das fand ich alles nicht besonders spannend.

Auch die ausführlichen Bildbetrachtungen sind ganz sicher tiefsinnig, haben mich aber nicht sehr interessiert.

Und dann wird die Vernissage ein Erfolg, aber Elaine (und ich) warten nur auf Cordelia, die wahrscheinlich doch gestorben ist. Schade. Irgendwie mochten wir sie doch, eine tragische Figur.

Ich kann gar nicht genau sagen, was mir fehlt. Vielleicht irgendeine Erkenntnis, die die ältere Elaine aus der Beschäftigung mit ihrer Vergangenheit gewinnt. Eigentlich hat sie die schlimme Zeit hinter sich, hat Erfolg, einen neuen Mann, steht mitten im Leben, ist aber zutiefst unsicher und unglücklich und bleibt alt und verbittert zurück.
 

Literaturhexle

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Na gut, das Ende ist ein Abschied in jeder Hinsicht, ergreifend, aber richtig gepackt hat es mich nicht. Ich hatte mit etwas Raffinierterem gerechnet,
Absolut. Ich habe mich gestern Abend in drei Stunden (!!!) Durch die letzten 70 Seiten gelesen. Es war so lang, so zäh, so viele Nebensächlichkeiten. Andererseits wollte ich auch nichts Wichtiges überlesen und habe immer wieder neu angesetzt.

Ja, etwas Raffinierteres. Eine Aussprache. Eine Auflösung. All das Fehlanzeige. Das Buch ist so rasant gestartet, als es um die Mädchenfreundschaft ging und hat sich aus meiner Sicht dann verloren in der Detailbetrachtung der erwachsenen Elaine.

Die Krankheit der Mutter, Erinnerungsstücke, das schließt ab, aber das fand ich alles nicht besonders spannend.
Da fand ich noch wichtig, dass aus der Sicht der Mutter nicht Cordelia die Schuldige war, sondern Grace! Das hätte ich gerne in einem Austausch verifiziert gesehen. Wenn Cordelia wirklich ebenso schwach und gedemütigt wie die Freundin war, könnte das sogar sein....
Auch die ausführlichen Bildbetrachtungen sind ganz sicher tiefsinnig, haben mich aber nicht sehr interessiert.
Das ging mir an vielen Stellen zu weit! Man muss die Bilder ja nicht nur interpretieren, sondern sich das Geschriebene erst einmal visualisieren. Das mag für den einen eine Herausforderung sein - für mich war es eher eine Plage.

Ich war richtiggehend enttäuscht beim Zuklappen des Buches. Ich melde mich später noch einmal, muss jetzt los;)
 

sursulapitschi

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Da fand ich noch wichtig, dass aus der Sicht der Mutter nicht Cordelia die Schuldige war, sondern Grace! Das hätte ich gerne in einem Austausch verifiziert gesehen. Wenn Cordelia wirklich ebenso schwach und gedemütigt wie die Freundin war, könnte das sogar sein....
Das stimmt, und das hätte ich sehr viel lieber vertieft, als mir die Bilder einer Ausstellung anzutun. Das wäre doch ein toller Dreh am Ende gewesen: Sie triff Grace nochmal...
 

Literaturhexle

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Eine Sache noch: Elaine macht in Toronto ja eine richtige Abschiedsrunde durch die Stätten ihrer Kindheit. Dann auf dem Weg zur Brücke wird ihr klar, dass sie gar keine Jungfrau im schwarzen Mantel gesehen hat. Stattdessen erscheint ihr im Jetzt Cordelia.
Meine Interpretation: es war damals Cordelia, die zurückkam und ihr den Weg nach Hause gezeigt hat! Das würde dann passen: Grace als die Böse hat das Trio zum Weglaufen überredet. Cordelia aber ist zurück gekommen...
Was.meint ihr?
 

sursulapitschi

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Eine Sache noch: Elaine macht in Toronto ja eine richtige Abschiedsrunde durch die Stätten ihrer Kindheit. Dann auf dem Weg zur Brücke wird ihr klar, dass sie gar keine Jungfrau im schwarzen Mantel gesehen hat. Stattdessen erscheint ihr im Jetzt Cordelia.
Meine Interpretation: es war damals Cordelia, die zurückkam und ihr den Weg nach Hause gezeigt hat! Das würde dann passen: Grace als die Böse hat das Trio zum Weglaufen überredet. Cordelia aber ist zurück gekommen...
Was.meint ihr?
Puh, ich weiß nicht, man kann es so verstehen, aber sie sagt es nicht ausdrücklich. Und Cordelia von jeder Schuld damals freisprechen würde ich jetzt auch nicht. Zumindest die Begräbnisgeschichte geht ja wohl komplett auf ihr Konto.
 

Literaturhexle

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Puh, ich weiß nicht, man kann es so verstehen, aber sie sagt es nicht ausdrücklich. Und Cordelia von jeder Schuld damals freisprechen würde ich jetzt auch nicht. Zumindest die Begräbnisgeschichte geht ja wohl komplett auf ihr Konto.
Ich bin da auch nicht sicher. Cordelia erzählte ja später, dass sie das Loch nur haben wollte, um mal alleine und ungestört zu sein. Vielleicht war ihr die Tragweite gar nicht klar?
Aber das ist alles sehr vage und resultiert nur daraus, dass ich ein überraschendes Ende haben wollte :)
 

sursulapitschi

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Ich bin da auch nicht sicher. Cordelia erzählte ja später, dass sie das Loch nur haben wollte, um mal alleine und ungestört zu sein. Vielleicht war ihr die Tragweite gar nicht klar?
Aber das ist alles sehr vage und resultiert nur daraus, dass ich ein überraschendes Ende haben wollte :)
Ha, ha, ha, ha, ja, sie wollte das Loch für sich persönlich haben, aber sie hatte keinen Grund, Elaine da einzusperren, das wird schon pure Bosheit gewesen sein. Und Frau Atwood würde Cordelia ganz sicher nicht von jeder Schuld freisprechen wollen, selbst wenn sie nicht die Hauptmobberin war. Ich glaube Frau Atwood wollte, dass wir mit wildesten Spekulationen zurückbleiben. :D
 

Querleserin

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Ich liefere noch ein paar Sätze, die für Verwirrung sorgen. Warum erinnert sich Elaine gar nicht an diesen Tag, an dem sie erfroren ist, als sie mit ihrer Mutter spricht. Hat sie da noch alles verdrängt? Ich finde verwirrend, dass sie jeweils die Perspektive einnimmt, die sie zu dem Zeitpunkt, an dem die Geschichte gerade spielt, hat. Da erinnert sie sich noch nicht zurück, das kommt erst ganz zum Schluss, wenn sie wieder auf der Brücke steht.
Nein, korrigiere mich: Das Katzenauge löst ihre Erinnerung wieder aus:
„Ich blicke in sie hinein, und sehe mein Leben, ganz.“ (Ende, 69)
So erhält der Titel eine weitere Bedeutung. Die Murmel, die ihr Kraft gegeben hat, bringt die verlorenen Zeit zurück.

Im Folgekapitel besucht sie ihre alte Schule, die jedoch erneuert wurde. Sie bittet Cordelia, ihr zu helfen.
„Hol mich hier raus,Cordelia. Ich bin gefangen. Ich will nicht immer und ewig neun Jahre alt sein.“ (Ende, 70)
Will sie die Erinnerung an diese Zeit hinter sich lassen. Eine Erklärung von Cordelia? Will sie, dass Cordelia ihr vergibt, weil sie ihr in der Klinik nicht geholfen hat? Will sie eine Aussöhnung? Weil sie erkannt hat, dass Grace hinter allem steckt?
Dafür spricht, dass sie sie auf der Ausstellung erwartet, sie ist es, weswegen sie der Ausstellung zugestimmt hat, vor ihr breitet sie ihr Leben aus.
„Es gibt Dinge, die ich sie fragen muss. Nicht was damals passiertest in der Zeit, die ich verloren hatte (Verdrängung), denn das weiß ich jetzt. Ich muss sie fragen, warum.“ Geht es wirklich nur darum? Ist das alles, frage ich mich. Eure Kritik kann ich nachvollziehen, ich hatte irgendwie noch mit einem Paukenschlag gerechnet. Cordelia oder Grace tauchen auf, zum Beispiel.
Wie versteht ihr dieses Selbstgespräch am Ende von Kapitel 73, wieder diese Stimme der Neunjährigen (?). Warum antwortet Elaine auf die Aussage, du bist tot, Cordelia, mit: „Nein, bin ich nicht.“ Bedeutet das, dass Cordelia immer noch Einfluss auf ihr Leben hat, sie nicht abschließen kann, aber die innere Stimme sagt, sie soll endlich loslassen?
Am Ende erkennt sie, dass sie beide von den gleichen Gefühlen beherrscht waren, dem Wunsch geliebt und akzeptiert zu werden. Und es bleibt das Bedauern, keine Freundinnen geworden zu sein.
In der letzten Szene vergibt sie Cordelia und sich selbst (?).
„Es ist alles gut, sage ich zu ihr. Du kannst jetzt heimgehen.“
Das Licht, das am Ende erwähnt wird, könnte für ihren Erkenntnisprozess stehen. Sie hat ihre Erinnerungen wieder gefunden, sich und Cordelia vergeben, sie ist erlöst. So, genug interpretiert - bei mir hat jetzt auch die Erkenntnis beim Schreiben eingesetzt, dass Atwood diesen psychologischen Prozess schildern will. Bin gespannt auf die Expertinnenmeinung ;)
 
G

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Nun gut, auch ich bin etwas unzufrieden, zu viel ist hier in meinen Augen sehr vage belassen.

Aber gut, hier mein Versuch der Deutung. Elaine hat sich als Kind, als sie eine Freundin brauchte und unbedingt eine wollte, sehr an Cordelia gebunden. Die Taten der Cordelia und ihrer Gang haben Elaine dagegen schwer verletzt und tief traumatisiert. Sie hat dieses Geschehen nie verarbeiten können und dieses Trauma blieb ihr erhalten. Sie hat versucht Cordelia ebenso zu verletzen und für das damalige Geschehen zu bestrafen, aber auch dieses Verhalten bringt keine Veränderung. Das Trauma bleibt natürlich bestehen.

Man sieht in der Entwicklung der Elaine deutlich die Folgen dieses Erlebten. Elaine ist in meinen Augen bindungsgestört, hat Probleme Menschen an sich heran zu lassen, Vertrauen aufzubauen und hat deutliche depressive, paranoid verfärbte Tendenzen, die bis zu einem Suizidversuch führen. Trotzdem versucht Elaine sich ein Leben aufzubauen und ist in meinen Augen auch recht erfolgreich dabei. Natürlich gibt es Probleme im Beziehungsleben, aber ich finde sie meistert das ganz gut, besonders wenn man bedenkt, was sie erlebt hat. Und ebenso wenn man bedenkt, dass sie ja, bis auf dieses eine kleine eher unbedeutende Intermezzo in Vancouver, keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen hat. Man kann nur hoffen, dass dieser Besuch von Elaine in Toronto zu einem Abschluss bei dieser negativen Bindung zu Cordelia geführt hat. Es klang ja so.

Auch wenn mich dieses vage gestört hat. Aber ein Zusammentreffen von Cordelia und Elaine, was hätte das gebracht, außer eventuell ein erneutes Drama oder ein nichtssagendes Zusammentreffen oder ein rosarotes Ende a la Hollywood. Alles Passagen die noch weniger gefallen. So wie dieses Ende verläuft, ist es am authentischsten. Gut das Elaine die Malerei hat, über diese gelingt ihr eine gute Verarbeitung des Geschehens!

Das Alter der Autorin ermöglicht dieses wunderbar gezeichnete Bild einer vergangenen Zeit und einer damit verbundenen Gesellschaftskritik. Gleichzeitig sind in dieser Kritik auch viele vergleichende Bilder ins Jetzt enthalten, bringen den Leser zum Sinnieren. Die Sprache ist wie immer kunstvoll und wunderbar und das Lesen ein Genuss!
 

Literaturhexle

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Aber ein Zusammentreffen von Cordelia und Elaine, was hätte das gebracht, außer eventuell ein erneutes Drama, oder ein nichtssagendes Zusammentreffen oder ein rosarotes Ende a la Hollywood. Alles Passagen die noch weniger gefallen.
Vermutlich hast du Recht damit. Ich hätte mir aber ein bisschen mehr Aufklärung in Bezug auf das Warum erhofft. Dass Cordelia vom Vater drangsaliert wurde, das kam doch auch nur am Rande vor?
Man wird im Regen stehen gelassen. Sollte man sich jetzt alles aus den Kunstwerken herausinterpretieren? Zugegebenermaßen nehmen diese ja viel Raum ein im letzten Viertel.
Die Sprache ist wie immer kunstvoll und wunderbar und das Lesen ein Genuss!
Da bin ich bei dir! Ein Flop war es keinesfalls, wenn ich mir auch mehr Klarheit am Ende gewünscht hätte.

Herzlichen Dank für deine ausführlichen Statements! Es ist bei solchen Büchern wunderbar, Menschen in der Lesegruppe zu haben, die Fachkenntnisse im Zwischenmenschlichen und Psychologischen haben. da wird manches klarer ;)
 

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Nun gut, auch ich bin etwas unzufrieden, zu viel ist hier in meinen Augen sehr vage belassen.

Aber gut, hier mein Versuch der Deutung. Elaine hat sich als Kind, als sie eine Freundin brauchte und unbedingt eine wollte, sehr an Cordelia gebunden. Die Taten der Cordelia und ihrer Gang haben Elaine dagegen schwer verletzt und tief traumatisiert. Sie hat dieses Geschehen nie verarbeiten können und dieses Trauma blieb ihr erhalten. Sie hat versucht Cordelia ebenso zu verletzen und für das damalige Geschehen zu bestrafen, aber auch dieses Verhalten bringt keine Veränderung. Das Trauma bleibt natürlich bestehen.

Man sieht in der Entwicklung der Elaine deutlich die Folgen dieses Erlebten. Elaine ist in meinen Augen bindungsgestört, hat Probleme Menschen an sich heran zu lassen, Vertrauen aufzubauen und hat deutliche depressive, paranoid verfärbte Tendenzen, die bis zu einem Suizidversuch führen. Trotzdem versucht Elaine sich ein Leben aufzubauen und ist in meinen Augen auch recht erfolgreich dabei. Natürlich gibt es Probleme im Beziehungsleben, aber ich finde sie meistert das ganz gut, besonders wenn man bedenkt, was sie erlebt hat. Und ebenso wenn man bedenkt, dass sie ja, bis auf dieses eine kleine eher unbedeutende Intermezzo in Vancouver, keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen hat. Man kann nur hoffen, dass dieser Besuch von Elaine in Toronto zu einem Abschluss bei dieser negativen Bindung zu Cordelia geführt hat. Es klang ja so.

Auch wenn mich dieses vage gestört hat. Aber ein Zusammentreffen von Cordelia und Elaine, was hätte das gebracht, außer eventuell ein erneutes Drama oder ein nichtssagendes Zusammentreffen oder ein rosarotes Ende a la Hollywood. Alles Passagen die noch weniger gefallen. So wie dieses Ende verläuft, ist es am authentischsten. Gut das Elaine die Malerei hat, über diese gelingt ihr eine gute Verarbeitung des Geschehens!

Das Alter der Autorin ermöglicht dieses wunderbar gezeichnete Bild einer vergangenen Zeit und einer damit verbundenen Gesellschaftskritik. Gleichzeitig sind in dieser Kritik auch viele vergleichende Bilder ins Jetzt enthalten, bringen den Leser zum Sinnieren. Die Sprache ist wie immer kunstvoll und wunderbar und das Lesen ein Genuss!
Danke für deine fachliche Analyse, sie belegt letztlich das, was der Roman uns vage vorgibt, auch wenn wir uns alle etwas mehr Licht am Ende erhofft hätten. Aber du hast Recht, auch in der Realität findet ein solch klärendes Gespräch eher selten statt. Insofern ist der Schluss konsequent.
 

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Ich habe - wie ihr auch wahrscheinlich - ein anderes Ende erhofft. Eine raffinierte Wendung oder einen Knall. Aber ich muss @renee Recht geben. Das Ende ist, so wie es ist, authentisch. So ist das nun mal. Wir quälen uns mit den Fragen, die unser Leben bestimmen, und bekommen meist keine Antwort oder müssen das mit uns selbst ausmachen. Daher bin ich von dem Schluss zwar nicht begeistert, kann aber damit leben.

Was ich mich allerdings gefragt habe: Wozu dient dieses lange Kapitel über die Geiselnahme und den Tod von Stephen? Das spielte doch überhaupt keine Rolle mehr und wirkte auf mich deplaziert.
 

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Was ich mich allerdings gefragt habe: Wozu dient dieses lange Kapitel über die Geiselnahme und den Tod von Stephen? Das spielte doch überhaupt keine Rolle mehr und wirkte auf mich deplaziert.
Vielleicht eine Ananlogie zu ihrer innerpsychischen Gefangenschaft? Um die Aussichtslosigkeit der Situation widerzuspiegeln?
 

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Meine Interpretation: es war damals Cordelia, die zurückkam und ihr den Weg nach Hause gezeigt hat! Das würde dann passen: Grace als die Böse hat das Trio zum Weglaufen überredet. Cordelia aber ist zurück gekommen...
Was.meint ihr?
...das ist eine interessante Idee, aber ich kann nicht so recht dran glauben. Diese Version, die ihre Mutter auf dem „Sterbebett“ ins Spiel gebracht hat, wurde ja in keinerlei Hinsicht begründet. Es war einfach ein Brocken, den sie Elaine und uns hinwarf. Eig. glaub‘ ich nicht daran.

Andererseits hatte Elaine auf ihrer Ausstellung am Ende bei der Betrachtung ihrer Gemälde interessante Gedanken zu Mrs Smeath. Versöhnliche Gedanken. In die Richtung, dass diese fast Angst vor Elaines (und deren Familie) Heidentum, Andersartigkeit und pot. schlechten Einfluss haben musste, aber so freundlich und offen war, Elaine unter ihre Fittiche zu nehmen. Bei dieser Mission hat sie ihre Tochter instrumentalisiert. Vielleicht sogar so sehr, dass daraus Mobbing wurde. Jetzt, wo ich das schreibe, glaube ich das sogar. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass Grace allein die treibende Kraft war. Meine Meinung dazu ist: von Cornelia ging alles aus. Grace hat dann noch ihren Teil dazu beigetragen.
Was meint ihr dazu? Scheint euch das plausibel?
 

Literaturhexle

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... nein, für mich nicht. Ich bin voll überrascht über Eure totale Enttäuschung.
Die Enttäuschung hat sich durch unsere Diskussion hier auch etwas relativiert. Alleine hätte ich manches einfach nicht gesehen. Das frustriert.
Aber ich glaube trotzdem nicht, dass Grace allein die treibende Kraft war. Meine Meinung dazu ist: von Cornelia ging alles aus
Ja, das denke ich eigentlich auch. Wenn man die einzelnen "Mobbings" Revue passieren lässt, war Cordelia schon eine treibende Kraft. Grace hat sich gerne angeschlossen, zumal ihr Tun von zu Hause aus auch abgesegnet wurde.
Was meint ihr dazu? Scheint euch das plausibel?
Ja. Dennoch hätte Frau Atwood ein bisschen klarer sein könneno_O
Gut, dass ich euch hatte!
 

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... nein, für mich nicht. Ich bin voll überrascht über Eure totale Enttäuschung.
Vielleicht liegt es auch daran, dass beim blinden Mörder, den viele von uns gemeinsam gelesen haben, am Ende alle Fragen beantwortet wurden. Mir ist auch beim Schreiben über die letzten Abschnitte und aufgrund eurer Anmerkungen vieles klarer geworden. Aber das macht letztlich auch die Qualität aus, dass man selbst aktiv darüber nachdenken muss und sich nicht alles in Wohlgefallen auflöst.
 

SuPro

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28. Oktober 2019
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Vor diesem letzten Abschnitt habe ich meinem Mann erzählt, dass M. Atwood eine begnadete Autorin ist.
Dass sie wunderbar seziert und beschreibt.
Dass sie Atmosphäre schafft und vermittelt.
Dass das Buch und seine Einblicke in die Nachkriegszeit, in den kanadischen Alltag und das Frauenbild dieser Streit und in die Künstlerszene interessant sind.
Dass sie diese Mobbinggeschichte und ihre Folgen hervorragend herausgearbeitet hat.
Aber ich habe ihm auch erzählt, dass der Roman mich emotional nicht fesselt, dass es irgendwie nicht mein Thema ist, dass etwas fehlt...

Und dann kam der letzte Abschnitt und es ging mir anders als zuvor.
Da war ich beim Umblättern viel enthusiastischer.
Ich meinte, die große Bedeutung von Rückkehr und Ausstellung, sowie die „Aussage“ hinter dem Roman zu verstehen.
Das Gelesene bekam somit einen Sinn für mich, es wurde rund.
Am Ende schloss ich das Buch dann doch ziemlich befriedigt.
Darum war ich jetzt gerade völlig überrascht über Literaturhexles und Sursulapitschis Eindrücke, die aber völlig nachvollziehbar und erfrischend klar sind.

Es ist, als hätte Elaine das Konkrete, also die Rückkehr nach Toronto und die Ausstellung gebraucht, um klar zu sehen, um Frieden zu schließen mit ihrer Vergangenheit und damit ihre Wunden endlich heilen und sie auch eigene vergangene Motive erkennt und um Schmerz in Wehmut zu verwandeln.

Durch dieses Konkrete kam die innere Bearbeitung und schließlich Verarbeitung in Gang.

Der letzte intime Kontakt mit Jon, um mit ihm abzuschließen.

Die Beziehung mit Cordelia wird ihr klarer: „Wieso habe ich vierzig Jahre gebraucht, um das herauszufinden?“ Diese Bemerkung bezieht sich zwar konkret auf das Loch in der Eierschale, kann, finde ich, aber auch in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. (S. 469)

Sie geht die Wege und besucht die Orte ihrer Kindheit und Jugend und sie taucht in Erinnerungen ein und setzt sich auseinander - eine Voraussetzung für Be- und Verarbeitung.

Elaine durchlebt rückblickend so Manches.„... Ich bin gefangen. Ich möchte nicht immer und ewig neun Jahre alt sein.“ (S. 488) Dieses erneute Durchleben ist eine Chance, es verarbeiten und abhaken zu können.

Dass ihre alte und kranke Mutter sie auf die damalige schwere Zeit mit Cordelia und Co anspricht, treibt dieses Durcharbeiten des Schmerzlichen voran. Ihre Mutter bittet sie damit indirekt um Absolution, denn sie hatte damals alles bemerkt, aber nicht reagiert, weil sie nicht wusste, wie. Schwache Ausrede.

Elaines Gedanke „Ich bin mir bewusst, dass zwischen uns eine Schranke ist. Die ist seit langem da. Etwas, was ich ihr übel genommen habe...“ (S.485) ist sehr bedeutsam und vllt auch ein oder gar DER Grund für die distanzierte Beziehung von Eltern und Tochter, als sie nicht mehr zusammenleben. Hat Elaine ihr übel genommen, dass sie sie nicht beschützt hat?

Die Überlegung der Mutter, dass Grace und nicht Cordelia die Schlüsselfigur war, scheint jetzt, so viele Jahre später, zwar interessant, aber gar nicht mehr von so großer Bedeutung für Elaine zu sein.

Mutter und Tochter misten aus. Erinnerungen an früher tauchen zwangsläufig auf und machen es, genauso wie der Besuch in Toronto und die Ausstellung, möglich, durch innere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit abzuschließen.

Elaine findet ihr Katzenauge wieder. „Ich blicke in sie hinein, und ich sehe mein Leben, ganz.“ (S. 485)... vielleicht war das das Quäntchen, das den Abschluss, das Abhaken, die Befreiung möglich machte?
„Ganz“ im Sinne von VOLLSTÄNDIG oder im Sinne von HEIL?
Vielleicht in beiderlei Hinsicht. Weil sie es jetzt vollständig vor sich sieht und nicht mehr bruchstückhaft (Parallele: jedes einzelne Gemälde für sich war nur ein Bruchstück, die gesamte Ausstellung das Ganze), kann sie begreifen, verarbeiten und und können Wunden heilen.

In der Ausstellung kommen ihr plötzlich neue, bisher ungedachte Gedanken. Versöhnliche Gedanken. Sie erkennt ihr Rachebedürfnis, das sie Jahr um Jahr angetrieben hat und aus dem heraus zumindest die Bilder von Mrs. Smeath entstanden sind. „Ich wollte nur Rache. Auge um Auge führt nur zu noch mehr Blindheit.“ (S. 492)

Sie kann ihre Bilder nun aus einer gewissen Distanz betrachten, was ihr die Möglichkeit einer endgültigen Verarbeitung bietet. Als sie sie malte, war die noch mittendrin, mit dem Malen der Bilder fertigte sie Erinnerungsfetzen, Bruchstücke, Fragmente ihres Lebens. Das waren erste Schritte zur BEarbeitung.
Die Ausstellung schließlich kommt mir vor wie das fertige Bild aus vielen einzelnen Puzzleteilen. Aus eben diesen Bruchstücken und Fragmenten.
Ihr Leben breitet sich vor ihr aus, als sie die Ausstellung betrachtet.
Keine Fragmente mehr, sondern ihr GANZES Leben. Dadurch, dass sie es als Ganzes und aus der Distanz wahrnimmt, kann sie sich erinnern, klarer sehen und das Vergangene überwinden und abhaken.

Oder etwa nicht? Ist alles anders als ich vermute? Kommt der große Show down? Atwood baut ein Spannungsmoment ein:
Elaine überlegt, alles in Brand zu stecken „weil ich die Kontrolle verloren habe über diese Bilder...“(S. 498)
„Ich hätte nicht hierherkommen sollen, in diese Stadt, die mich verfolgt.“(S. 499)
Aber nein, es war ein kurzes Zögern auf dem Weg „zum Ziel“

Elaine und wir warteten gespannt darauf, ob Cordelia zur Ausstellung kommen und ihr beantworten wird, warum sie damals so grausam war.

Nein, Cordelia kam nicht konkret, aber in Elaines Phantasie.
Und das war m. E. ein Kunstgriff der Autorin.
Mit einem konkreten Besuch Cordelias hätte wahrscheinlich alles nicht so gut enden können. Denn durch den Gefühle und körperliche Reaktionen auslösenden phantasierten Besuch hat Cordelia eine Erkenntnis: „da ist dieselbe Scham, die Übelkeit in meinem Körper, das selbe Wissen um meine Fehler, meine Ungeschicklichkeit, Schwäche; ...“ (S. 507)
Sie erkennt, dass all ihre Gefühle damals ursprünglich Cordelias Gefühle waren, die sie hatte, weil diese in einer ähnlichen Macht-Ohnmacht-Konstellation steckte, wie Elaine selbst.

Jetzt hat Elaine ihren Frieden. Sie hat es überwunden.
Die Vergangenheit ist vorbei. Die Wunden sind verheilt.

Im Flugzeug, das sie nach Hause bringt, wird durch die Beobachtung der beiden alten Freundinnen klar:
Da ist kein Schmerz mehr, nur noch ein bisschen Wehmut darüber, dass sie beide, also Cordelia und Elaine niemals so zusammensitzen würden. (S. 509).

Stephens Ermordung im Flugzeug durch die Terroristen war für mich wie ein Showeffekt, der mich „beleben“, da erschüttern, konnte.
Vielleicht soll der Tod ihrer Familie zugespitzt darauf hinweisen: das Alte und Vergangene ist vorbei. Etwas Neues kann beginnen.

(Wobei ja weniger das konkrete Äußere, als das Innere eine Rolle spielt, wenn es um‘s Verarbeiten und Überwinden geht. Aber wer weiß, vllt. hat es diese Bedeutung?)
Ich würde mich sooo gern mit Margaret Atwood über ihren Roman austauschen
;-) )