2. Leseabschnitt: Anfang (S. 53 bis S. 130)

Querleserin

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30. Dezember 2015
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"Anfang" beschreibt Meyrinks Reise nach Berlin zum Auswärtigen Amt, um Hahn zu treffen und Näheres über den Roman in Erfahrung zu bringen, den er schreiben soll.
Sehr interessant fand ich, dass es das Kapitel "Hahn" zweimal gibt. Geht der Autor in seiner Recherche zunächst davon aus, dass es sich bei Hahn um Dr.Kurt Hahn handelt (vgl. 58), revidiert er diese Meinung, nachdem er im Bundesarchiv weiter recherchiert hat- hinter Hahn verbirgt sich der Karrierediplomat Bernhard von Hahn.
Wie im vorherigen Abschnitt bereits beschrieben, lässt uns der Autor am Schaffensprozess teilhaben, indem er das Kapitel mit den "neuen" Informationen noch einmal schreibt. Und das zweite ist extrem ironisch und witzig:
"Illuminaten? Kennt doch kein Mensch. Ein Buch über eine Verschwörung von Illuminaten kann ich mir im Leben nicht vorstellen. Wer will das lesen?" (75)
Wenn das Dan Brown liest...
Die ganze Idee erscheint als Witz, zurecht reflektiert Meyrink darüber, wie verzweifelt das Auswärtige Amt sein muss, dass sie "Vertrauen in die Kraft der schönen Literatur" (78) hegen. Doch die Marschroute ist eindeutig, die Freimaurer sollen den 1.Weltkrieg ausgelöst haben.
In der weiteren Recherchenotiz nimmt der Autor vorweg (genau genommen ist es eine vom Autor erdachte Autorenfigur, oder ist der Verfasser dieser Notizen in dem Fall tatsächlich mit dem Autor gleichzusetzen, das sprengt gerade meine Literaturwissenschaftswissen ;) - zumindest sind die Notizen bewusst platziert :D), dass Meyrink nie eine Zeile dieses Romans geschrieben hat.
Statt dessen widmet er sich seinem eigenen Leben, wie in der Recherchenotiz (17) bereits angekündigt...
Er erzählt von seiner Herkunft, seinen Experimenten mit der Alchemie (kann man das ernst nehmen??) und von seinen jämmerlichen Versuchen als Bankier Geld zu machen.
Da die Erzählperspektive wechselt, könnte man diese Kapitel "Ich,..." als Buch im Buch ansehen - verzwickter Aufbau dieser Roman ;)
Und eine weitere Recherchenotizen überzeugt uns davon, dass tatsächlich die Inhaftierung aufgrund der "krummen" Bankgeschäfte, den Künstler in Meyrink weckt und er sich neu erfunden hat (vgl. 111)

Inzwischen schreibt er trotz Eintreffen des Vorschusses nichts, auch auf die Aufforderung Hahns beginnt er nicht zu arbeiten, unternimmt statt dessen Ausflüge. Nachdem sein Automobil den Geist aufgegeben hat und er es per Kutsche zurück nach Starnberg bringen lassen muss, entschließt er sich, nun doch mit dem Roman zu beginnen. Wer´s glaubt ;)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Sehr schöne Zusammenfassung, liebe Querleserin! Bei diesem Buch habe ich sie bitter nötig. Ich fühle mich unliebsam an den Stotterer von Charles Lewinsky erinnert: auch ein Hochstapler, der sich selbst erfindet und von einem Abenteuer ins nächste gleitet, wovon er dem Leser mit großer Fabulierfreude berichtet....
Schelmenroman lässt grüßen.

Wer mein Leseverhalten kennt, vermutet richtig, dass der unsichtbare Roman mich bis jetzt noch nicht vom Hocker reißt. Ähnlich wie beim Stotterer komme ich nicht umhin, den Autor für seine Sprachakrobatik, seinen Wortwitz, seine Ironie zu loben. Die Geschichte selbst entbehrt mir aber der Ernsthaftigkeit: dieses alchimistische Goldsuchen, die dubiosen Bankgeschäfte, aus denen Meyer halbwegs straffrei hervorgegangen ist, der Auftrag selbst....:confused:... Alles seltsam, allein der Glaube will mir fehlen.

Daran ändern auch grundsätzlich die Recherchenotizen nichts. Diese Schelmerei lässt mich kalt. Ständig muss ich Passagen wiederholt lesen.

Als Message würde auch ich im Moment die Bedeutung von Fakenews sehen. Der Roman soll bewusst breit platziert werden, um den erwünschten Nachweis für die Kriegsschuld der Freimaurer zu erbringen. Auch zwischendurch gibt es häufig Meldungen, die nicht der Wahrheit entsprechen und dennoch deutliche Wirkung zeigen.

Ich bin gespannt, ob mich der Roman in seiner zweiten Hälfte noch einfängt.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Sehr schöne Zusammenfassung, liebe Querleserin! Bei diesem Buch habe ich sie bitter nötig. Ich fühle mich unliebsam an den Stotterer von Charles Lewinsky erinnert: auch ein Hochstapler, der sich selbst erfindet und von einem Abenteuer ins nächste gleitet, wovon er dem Leser mit großer Fabulierfreude berichtet....
Schelmenroman lässt grüßen.

Wer mein Leseverhalten kennt, vermutet richtig, dass der unsichtbare Roman mich bis jetzt noch nicht vom Hocker reißt. Ähnlich wie beim Stotterer komme ich nicht umhin, den Autor für seine Sprachakrobatik, seinen Wortwitz, seine Ironie zu loben. Die Geschichte selbst entbehrt mir aber der Ernsthaftigkeit: dieses alchimistische Goldsuchen, die dubiosen Bankgeschäfte, aus denen Meyer halbwegs straffrei hervorgegangen ist, der Auftrag selbst....:confused:... Alles seltsam, allein der Glaube will mir fehlen.

Daran ändern auch grundsätzlich die Recherchenotizen nichts. Diese Schelmerei lässt mich kalt. Ständig muss ich Passagen wiederholt lesen.

Als Message würde auch ich im Moment die Bedeutung von Fakenews sehen. Der Roman soll bewusst breit platziert werden, um den erwünschten Nachweis für die Kriegsschuld der Freimaurer zu erbringen. Auch zwischendurch gibt es häufig Meldungen, die nicht der Wahrheit entsprechen und dennoch deutliche Wirkung zeigen.

Ich bin gespannt, ob mich der Roman in seiner zweiten Hälfte noch einfängt.
@Literaturhexle, als ob du meine Gedanken kennen würdest!

Es gibt Stellen, Sätze in dem Buch die ich mag, ja, amüsant finde, aber im Gesamten finde ich das Buch nicht ansprechend. Auch ich muss Passagen wiederholt lesen, das Kapitel mit der Alchemie habe ich mehr als quergelesen. Mich erreicht das alles irgendwie nicht.
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Abschnitt lesen musste ... aber abschließend denke ich, dass es kein Buch ist, das man so nebenbei bzw. unkonzentriert lesen kann. Und als ich dann heute mal an einem Stück mehrere Seiten lesen konnte, hat es mir gefallen.

In der weiteren Recherchenotiz nimmt der Autor vorweg (genau genommen ist es eine vom Autor erdachte Autorenfigur, oder ist der Verfasser dieser Notizen in dem Fall tatsächlich mit dem Autor gleichzusetzen, das sprengt gerade meine Literaturwissenschaftswissen ;) - zumindest sind die Notizen bewusst platziert :D),

Ich habe es so verstanden, dass die Recherchenotizen echt sind. Und ich finde es eigentlich schön zu lesen, was Poschenrieder so aus seinem Recherchematerial gemacht hat.

Er erzählt von seiner Herkunft, seinen Experimenten mit der Alchemie (kann man das ernst nehmen??) und von seinen jämmerlichen Versuchen als Bankier Geld zu machen.

Ich muss gestehen, dass ich Meyrink nur dem Namen her kannte, wobei ich "Der Golem" auch mal lesen möchte. Und Meyrink hat sich mit Okkultismus und natürlich auch Alchemie beschäftigt. Ich selber halte ja auch beides für ziemlichen Humbug, aber: Jedem das Seine. Jedenfalls hängen Freimaureridee, Alchemie und Bankgeschäfte immerhin zusammen: Hier wird aus Dreck Geld gemacht. Der gute Meyrink scheint mir ein echter Luftikus zu sein. Auch der Titel "Des deutschen Spießers Wunderhorn" erinnert ja zum einen an Arnim und Brentano, zum anderen sagt der Titel schon viel aus: Mir persönlich sind Leute ja suspekt, die andere als Spießer bezeichnen, aber gerne von deren Spießertum (also in diesem Falle Geld) profitieren. Und Meyrink selbst bestätigt dieses Bild.

Ich bin mir auch noch nicht so ganz darüber im Klaren, ob Meyrink den Roman nicht schreibt, weil er den Freimaurern nichts anhängen will, oder weil er einfach unter Aufschieberitis "leidet" und das Leben lieber genießen will. An einigen Stellen wird er ja als "kritisch" bezeichnet (z.B. S. 86f. [Recherchenotizen]), aber andere Stellen sagen mir eher etwas anderes.

Nun ja. Jedenfalls ist der Roman doch anders, als gedacht. Auch mir erscheinen die Ich-Kapitel wie ein Buch im Buch und der Roman somit insgesamt eher als ein biographischer Roman.

Den Humor und die Sprache finde ich nach wie vor grandios.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Mich erinnert der Aufbau dieses Romans stark an "Der blinde Mörder" von Margaret Atwood, in dem wir ja auch mehrere Geschichten in einer präsentiert bekommen :cool:.
Mir gefällt er ausgesprochen gut - sowohl was den stellenweise hervorglitzernden Humor, aber auch die vermittelten (geschichtlichen) und die Person Gustav Meyrinks betreffenden Daten und Fakten anbelangt. Und natürlich die Recherchenotizen von Poschenrieder - hier merkt man wieder, wie wichtig Archive sind :D.
Sicher ist nicht alles Gold was glänzt, aber wie war das: Gold wird aus Dreck gemacht :D:D:D:D.
 

parden

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13. April 2014
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Ui, ich schließe mich @Literaturhexle und @ulrikerabe an: dieser mittlere Teil ist enorm anstrengend zu lesen, wirkt teilweise zusammenhanglos durch die zwischengeschobenen Passagen. Eine Art Biografie? Das hatte ich nicht ganz so erwartet. Der Schreibstil selbst gefällt mir, die Erzählung selbst derzeit eher weniger.

Aber da die bisherigen Rezensionen sehr gute Bewertungen signalisieren, hoffe ich mal, dass meine Begeisterung im Verlauf auch wieder steigen wird...
 

ElisabethBulitta

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Das Ende reißt einiges aus meiner Sicht wieder raus. Aber im Mittelteil brauchst du noch etwas Durchhaltevermögen ;)

Wobei die vermeintlichen Längen absolut einen Sinn ergeben. Ich habe zwischendurch auch gedacht: "Hä? Was soll denn das? Was hat das mit dem Thema zu tun?" Aber am Ende ist es einfach nur stimmig.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Mir gefällt sehr, was ich lese, sowohl sprachlich als auch inhaltlich.
Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich zwar von Meyrink nichts oder fast nichts weiß, durchaus aber von Okkultismus und Alchemisten in der zweiten Hälfte des 19.Jh. Ich halte das auch für Blödsinn, ebenso wie die große Weltverschwörung der Freimaurer, Illuminaten, Rosenkreuzer...aber ich habe einiges darüber gelesen, und in den Salons war dies damals durchaus wichtig, ein bisschen anrüchig und so unbürgerlich und wurde ernst genommen (besonders auch mit der richtigen Menge Absinth und besonders in Prag, dort war eine der Hochburgen in Europa).
Was ich äußerst interessant finde ist der Umgang mit Bankgeschäften. Damals konnte man noch ungestrafter in die eigene Tasche wirtschaften als heute :D

Die Recherchenotizen, die teils eine Neuschreibung der Kapitel bewirken, sind sehr spannend.

und habt ihr euch mal Fotos vom Opel Torpedo online angesehen? Das Automobil machte seinem Namen alle Ehre...