Rezension Rezension (5/5*) zu Vom Miteinander: Erzählungen von Victoria Hohmann.

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Feuerwerk der Sprachkunst

Ich weiß nicht, ob für die Literatur das Gleiche gilt wie für die Musik: dort wird meist gesagt, dass 3. Album wäre das sogenannte „Make or Break“-Werk. Sprich: entweder man hat sich bis dahin eine solide Fanbase aufgebaut, die die Band ohne Wenn und Aber unterstützt oder man verschwindet wieder in der Bedeutungslosigkeit der (überfrachteten) Musiklandschaft.

Nun, Gesetz dem Fall, das 3. Buch entscheidet über den „Verbleib“ eines Autors respektive einer Autorin in der Literaturszene, dann hat es Victoria Hohmann mit ihrem 3. eigenen Erzählband „Vom Miteinander“ (erschienen im September im VHV-Verlag) definitiv geschafft, sich in der Garde der herausragenden und sich um den Erhalt der Kunst der Worte kümmernden Schrifsteller*innen zu etablieren.

Ja, ich weiß: das klingt nach „übertriebener Blick durch die rosarote Fanbrille“. Aber auch wenn ich die Brille für einen Moment absetze, sehe ich trotzdem noch in „Vom Miteinander“ ein Feuerwerk der Sprachkunst, dass nur wenige Autor*innen überhaupt entzünden können.

In 13 Texten unterschiedlicher Länge werden verschiedene „Spielarten“ des Miteinanders beschrieben. Die Leserschaft trifft alte Bekannte (Hater III), die eine nach „Hater I“ und „Hater II“ in den Vorgängerbänden nie (an)gedachte Entwicklung durchmachen, die ihnen aber gut zu Gesicht stehen und denen man von Herzen alles Gute wünscht :). Dann trifft man Anni, die sich aus dem digitalen Wahnsinn zurückzieht, „lauscht“ den Gedanken dreier Freunde wie unter Kopfhörern und wird Zeuge, wie schwer es jemandem fällt, sich nach einem Aufenthalt in der Wüste wieder in einer Großstadt zurechtzufinden.

„Die Wüste hat Zeit nicht nötig. Sie ist, das reicht ihr. Sie muss nicht zupacken, um zu berühren. Tut gern, als habe sie nichts zu bieten und. Nistet sich ein, mit sprödem Lächeln, Herz versengt. […] Die Frau möchte. Zurück ins Konstrukt, an Kultur glauben, Sitten, Gebräuche, an Zivilisation und Zivilgesellschaft. Auch an sich darin, daran erst recht. Aber da ist nur noch diese Tapete.“ (aus: Zum Jahreswechsel, S. 14/ 15)

Schon in diesem Zitat wird deutlich, mit welcher Sprachgewandtheit Victoria Hohmann unterwegs ist. In jeder Erzählung finden sich sprachliche Finessen, Feinheiten, werden Sätze zerhackt,

in Zeilenumbrüche gepackt,

nur um anschließend wieder zu einem homogenen Ganzen ineinanderzufließen. Während Kinder mit Bällen spielen, spielt Victoria Hohmann mit Sprache. So wird augenzwinkernd aus dem Archivar in „Neumann“ die „Inkarnation einer Aktentasche“ (als hauptberuflicher Archivar musste ich hier herzhaft und laut lachen), wird aus einer „Beregnungsgemeinschaft“ eine (einfache) „Begegnungsgemeinschaft“ (in der Geschichte, die mit knapp 50 Seiten die längste in diesem Band ist, wird der Sprachgebrauch des Beamten aufs herrlichste persifliert, der Leserschaft bleibt aber auch ob der Entwicklung in dieser Geschichte das Lachen im Halse stecken).

Es gibt also viel zu entdecken bei Victoria Hohmann. Zusammen mit Jonas Philipp Dallmann´s Erzählband „Die milchfarbene Haut der Türen“ (ebenfalls 2019 im VHV-Verlag erschienen) steht „Vom Miteinander“ unangefochten auf Platz 1 meiner „Best of…2019-Treppe“ und ich spreche eine uneingeschränkte Leseempfehlung an alle aus, die anspruchsvolle Texte mit Witz und Geist zu schätzen und zu würdigen wissen! 5* deluxe!

©kingofmusic


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Eine wunderbare, funkensprühende Rezension, lieber König!
Nichtsdestotrotz bleibe ich vorerst bei meiner Ansicht, dass Kurzgeschichten nicht mein Genre sind.
Ich werde mir den Band aber mal auf meiner Wuli notieren. Damit ich ihn erkenne, wenn er mir irgendwo begegnet ;)