Rezension Rezension (4/5*) zu Der Revolver von Fuminori Nakamura.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Buchinformationen und Rezensionen zu Der Revolver von Fuminori Nakamura
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Es kommt der Tag, da muss die Säge sägen

Die „Säge“ ist hier zwar ein Revolver, aber getreu dem von mir vorangestellten Motto, ist dem Leser dieses kleinen Romans von Fuminori Nakamura sehr schnell klar, dass der Fund eines Revolvers nicht ohne Folgen bleiben wird für ihren Finder Nishikawa. Diese Gewissheit zieht sich beim Leser durch den gesamten Roman und ist für die Erzeugung von Spannung und Leseeifer Quelle und Ursprung.
Aber nun von vorn:
Auf einem nächtlichen Spaziergang findet der Student Nishikawa auf einer Böschung nicht nur eine Leiche, sondern auch den Revolver, mit dem das Opfer sich vermutlich selbst getötet hat. Einem inneren Drang gehorchend steckt Nishikawa die Waffe ein. Er vernichtet damit wichtige Spuren zur Aufklärung des Rätsels um den Tod der gefundenen Leiche. Und nimmt einen Gegenstand in sein Leben auf, der ihn alles andere als unberührt lässt. In der Folge entwickelt er eine regelrechte Obsession für den Revolver, hegt und pflegt ihn und lässt ihn vor allem immer mehr seine Gedanken bestimmen. Sein Interesse an den Mitmenschen und seinem studentischen Leben nimmt rapide ab und er fokussiert sich immer mehr auf sein Leben mit der Waffe. Wie von selbst gerät er in einen Strudel des Handels, an dessen Ende wohl nur noch eins stehen kann: der Gebrauch des Revolvers für seine originäre Bestimmung: zu töten. Die Frage ist eigentlich nur noch: wer wird das Opfer?
„Den Revolver jederzeit benutzen zu können führte wie von selbst dazu, dass die Wahrscheinlichkeit mit jedem Tag wuchs“
Dabei ist Nishikawa ganz bestimmt nicht der Typ Waffennarr oder gar gewalttätiger Verbrecher. Und so ist es eher ein Trotzdem, Denn ein Deshalb. Selbst ein introvertierter, eher langweiliger Typ, als der uns Nishikawa insgesamt präsentiert wird, wird von der Ausstrahlung der Waffe in seinen Händen bzw. in seinem Besitz ungemein stark ergriffen und verändert. Er selbst erkennt die Veränderung durchaus, sieht in ihr aber nicht etwa etwas Negativen und Gefährliches, sondern spürt eine ganz neue Lebendigkeit und Freude in sich aufkeimen:
„Denn das Wichtigste war, dass durch den Revolver meine Lebensgeister wiedererwacht waren. Seit ich ihn besaß, wurden Glück und Erfüllung immer mehr zu etwas Selbstverständlichem, und ich beobachtete diese Verwandlung mit einem Gefühl von Dankbarkeit, das mich in meinem innersten Wesen erschütterte… Ich wollte alles auskosten, was mit dem Revolver zu tun hatte, und ihn nicht abzufeuern, obwohl ich die unmittelbare Möglichkeit hatte, hieße, kurz vor dem Ziel zu kapitulieren. Das aber war schlicht keine Option.“
Von dieser Obsession ergriffen, verläuft sein Leben weiterhin in normalen, unaufgeregten Bahnen: Studium, unbedeutende sexuelle Erlebnisse, lose Freundschaften, ein Besuch beim todkranken leiblichen Vater. Wirkliche Spannung kommt bei ihm und auch beim Leser nur auf, wenn es um den Revolver geht: wenn er einen möglichen Einsatz und ein mögliches Opfer identifiziert oder wenn er einen Kommissar der Polizei trifft, der merkwürdigerweise tatsächlich eine Verbindung zwischen Nishikawa und der verschwundenen Waffe erkannt haben will. Dieser Kommissar hat hellseherische Kräfte oder ist einfach nur mit ungemein gutem psychologischen Gespür ausgestattet, denn er erkennt sehr genau, dass 1. Nishikawa den Revolver besitzt, und dass 2. er ihn auch einsetzen wird. Sein Versuch, ein zukünftiges Verbrechen abzuwenden, schlägt aber fehl und der Roman endet, wie er enden muss:
Es kommt der Tag, da muss der Revolver schießen!
Mein Fazit:
Der Roman (oder der Form nach eher die Novelle) zieht den Leser hinein in einen Sog des Unausweichlichen. Der Revolver wird zwar nicht vermenschlicht, erscheint aber als ein Gegenstand mit eigenem Willen und Drang.
„Nicht ICH benutze den Revolver, dachte ich, der Revolver benutzt MICH.“
Und so ist der Text für mich ein großer Warnruf gegen jeglichen leichtfertigen Umgang mit Waffen und ihren Verwendungsmöglichkeiten. Waffengesetze müssen rigide ausgestaltet werden, um deren Faszination nicht wirksam werden zu lassen. Nakamura gestaltet diesen Warnruf mit einer eher konventionellen Handlung und mit größtenteils sprachlich sehr guten Ausdrucksmitteln. Er hat mich damit genau angesprochen und ich vergebe für diesen Roman gern 4 Sterne.


 
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