Rezension Rezension (5/5*) zu Die Nickel Boys von Colson Whitehead.

KrimiElse

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26. Januar 2019
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5.110
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buchmafia.blogspot.com
Verstörend und empörend

Eine wahre Geschichte um junge Schwarze, die zu Zeiten der Rassentrennung zu Tode gefolgert oder einfach erschossen wurden ist die Basis des neuen Romans von Colson Whitehead „Die Nickel Boys“. Eindringlich, mit wuchtigen Sätzen schildert der Autor darin die Geschichte des jungen Elwood, der in den 1960er Jahren nach einer Polizeikontrolle in das Nickel, eine in Florida gelegene Besserungsanstalt gesteckt wird und an der Brutalität der dortigen Umstände scheitert.

1962 zu Weihnachten bekam Elwood das einzige Album von Martin Luther King „At Zion Hill“ geschenkt, und es drehte sich immer und immer wieder auf dem Plattenteller. In diesen Jahren zeigte Kings Aufruf zum gewaltlosen Widerstand erste Erfolge, 1964 wurde im Civil Rights Act die Rassentrennung als Unrecht erklärt, aber für Elwood waren Kings Ideen am Ende sein Verderben, wie es am Anfang des Romans steht. Er ist ein aufgeweckter, intelligenter Junge, doch seine Haut ist schwarz, und das verändert für ihn alles, als er auf dem Weg in College nach einem hervorragenden Highschool-Abschluss in eine Polizeikontrolle gerät. Er wird ins „Nickel“ verfrachtet, eine „Besserungsanstalt“ für Jungen, wo junge Schwarze aufs Grausamste misshandelt, gefoltert oder einfach nur erschossen werden. Ihm wird klar gemacht, dass er auch durch vorbildliches Verhalten allein durch seine Hautfarbe und seine Herkunft keine Chance hat, Schwarze werden hier brutaler und vor allem willkürlicher bestraft als Weiße. Elwood scheitert täglich an seinem Sinn für Gerechtigkeit, bedingt durch die Ideen von Martin Luther King.

Auf gerade mal 200 Seiten schafft es Colson Whitehead, das Grauen der Anstalt aufzurollen, der menschenverachtende Umgang mit den schwarzen Jungen durch das korrupte und brutale Personal, der Rassismus, der jede noch so kleine Ritze des täglichen Lebens durchsickert und die Wertlosigkeit eines schwarzen Lebens zu zeigen. Und er wälzt sich und den Leser nicht im Grauen, sondern schafft es, die Brutalität in kleine Nebenbei-Bemerkungen zu packen, ohne Pathos und Anklage, einfach durch alltägliches Unglück der Jungen in ihren Gedanken, die oft in wuchtige Sätze verpackt sind, die beim Lesen fast erschlagen mit ihrer Kraft.
Auch wenn manchmal fast reportagenhaft soziale Missstände aufgezeigt werden, so ist das Buch ein Roman, das immer wieder zurückholt. Und auch wenn es beim Lesen schwer fällt, das persönlich Erlebte Elwoods als spannenden Roman und des tatsächlich stattgefundenen Skandal der Rassentrennung als Sozialreport zu vereinen und dabei nicht den Überblick zu verlieren schafft es Whitehead doch immer wieder, zurückzuholen zur Dramatik der Geschichte.
Sein Stil ist geprägt von leichtem Sarkasmus, verlangt nie das Aufbäumen gegen das Geschehen sondern erzeugt ganz unwillkürlich Widerwillen und Empörung beim Lesen. Colson Whithead hat es in diesem Buch geschafft, das äußerst komplexe Thema sehr anschaulich und mit großer Wirkung darzulegen, und auch wenn viele der Personen nicht dreidimensional gemacht werden (was auf diesen wenigen Seiten wohl auch nicht möglich ist), entfaltet das Buch eine Wucht und einen Sog mit seiner Dramatik, dem man sich einfach nicht entziehen kann.