Rezension Rezension (5/5*) zu Alles richtig gemacht: Roman von Gregor Sander.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Authentische Alltags-Wendewelt

Gregor Sander lässt in seinem Roman „Alles richtig gemacht“ die Leichtigkeit der Nachwendezeit wiederauferstehen und entführt uns in eine Welt, in der das Wendegeschehen noch nicht von Tragik, Enttäuschung und Frust gezeichnet war, sondern sich für die Menschen gerade neue Wege und Möglichkeiten eröffnet hatten, die jeder auf sehr unterschiedliche Arten genutzt hat. Sander zeigt uns diese Zeit anhand von zwei sehr unterschiedlichen Freunden, die seit Kindertagen befreundet sind und in Rostock ihre Kindheit verlebten. Und das zwar in derselben Stadt, aber in sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Sphären, die es in der „klassenlosen“ Gesellschaft der DDR dann wohl doch gab:
• Thomas Eltern haben sich auch in der DDR-Zeit eine bürgerliche Selbständigkeitsexistenz mit einer eigenen Drogerie erhalten, leben in eher großbürgerlichem Ambiente und setzen das Rostocker Bürgertum der Tadellösers fort, wie Kempowski sie in die Literaturwelt eingeführt hat. Sander benutzt bei der Gestaltung von Thomas Kindheitswelt Sprache, Humor und Duktus von Kempowski und schafft eine deutliche Reminiszenz an den großen Rostocker Autoren.
• Thomas‘ Freund Daniel dagegen wächst in einer engen Dachwohnung im Arbeiterviertel, im dunklen Teil Rostocks auf.
So verschieden sie auch sind, ihre Freundschaft ist dennoch sehr eng und hält über viele Jahre. Sie erleben gemeinsam die Zeit des Mauerbaus und viele zeitgeschichliche Ereignisse des wiedervereinigten Deutschlands. So bekommt Daniel auf die Nase am Rande der Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, ein Ereignis, das wohl zu seinem Umzug nach Berlin führt. Dort leben beide in den 90er Jahren in einer WG zusammen, reisen gemeinsam durch die nun für sie offene EU und verlieren sich dann für einige Jahre aus den Augen. All diese Ereignisse erfährt der Leser in der Rückschau, die aus Thomas‘ Sicht angestellt wird, als Daniel ganz plötzlich nach Jahren wieder auftaucht. Dabei bleibt Thomas und dem Leser vollkommen unklar, warum Daniel gerade dann und gerade dort wieder in Thomas‘ Leben eintritt. Thomas ist inzwischen Anwalt in einer Kanzlei für Strafrechtsfälle, lebt in einer „hippen“ Wohnung im gentrifizierten Osten und wurde gerade von seiner Frau und seinen Kindern verlassen. Besteht hier ein Zusammenhang? Diese Frage stellt sich dem Leser immer wieder.
Fazit:
Die Handlung des Romans ist eine recht lose Geschichte, von der auch nicht alle losen Enden aufgelöst werden. Aber das ist auch nicht das Wichtige in dem Buch. Es geht vielmehr darum, deutschen Alltag wiederauferstehen zu lassen, der heute weitgehend verschüttet erscheint. Der Zeitgeist begleitet in dem Roman die handelnden Personen permanent und sehr konkret. Anhand kleiner, oft unscheinbarer Details schafft es Sander, Erinnerungen an diese Zeit beim Leser aufleben zu lassen und ihn eintauchen zu lassen in diese Periode des Suchens:

"Die zweite Platte von Portishead war nicht so gut wie die erste, ohne dass ich genau sagen konnte, warum. Sie hatte eigentlich alles, was die erste hatte. Ich kaufte die CD und fuhr damit zu Mannes Atelier. Der Sommer lag strahlend, heiß und tagtäglich übe Berlin, als gebe es hier gar keine andere Jahreszeit. Trotzdem stieg der Pegel der Oder unaufhaltsam, weil es in Tschechien nicht aufhören wollte zu regnen, und man befürchtete, dass die Deiche brechen und vielleicht sogar Berlin überschwemmt werden würde. Alle starrten wie gebannt Richtung Osten. es gab kaum andere Nachrichten, außer vielleicht, dass ein pausbäckiger Rostocker bei der Tour de France allen davonfuhr."

So finden Tagesnachrichten zum Oderhochwasser und zu Jan Ullrich durch Thomas‘ individuellen Blick und seine Vermittlung Eingang in den Roman und schaffen für den Leser eine authentische und ihn/sie betreffende Atmosphäre. Ich als Leserin fand mich/meine Lebenswirklichkeit in dem Roman einfach irgendwie wieder, auch wenn ich nicht aus Ostdeutschland stamme und einen deutlich anderen Lebensweg gegangen bin als die Protagonisten. Es ist halt unsere deutsche Alltags-Geschichte, die hier im Vordergrund steht und wichtiger ist als stringente oder spannungsgeladene Handlungsstränge. Tonalität und Stimmung des Buches – beschwingt und humorig - habe ich so als sehr besonders empfunden und genossen, dass über den deutschen wiedervereinigten Osten nicht wieder einmal aus einer zerknirschten und weinerlich enttäuschten Haltung heraus erzählt wird. Der Titel „Alles richtig gemacht“ ich dabei so dick aufgetragen und so offensichtlich vollgestopft mit Ironie (gerade angesichts der beiden Lebensläufe von Thomas und Daniel, in denen wirklich nicht alles rund gelaufen ist), dass bei aller Leichtigkeit im Ton auch die ironische Distanz schon auf dem Wunderkerzen-leuchtenden Cover deutlich wird. So wird Sanders Roman zu einem interessanten und wichtigen zeitgeschichtlichen deutschen Roman, dem ich viele Leser wünsche und 5 Sterne gebe.


 

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