1. Leseabschnitt: vom Anfang bis S. 55

parden

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13. April 2014
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... was mir allerdings in dieser Hinsicht aufgefallen ist, ist die Sache mit der Gentrifizierung (...) Alteingesessene aus den Wohnungen vertreiben (auch wenn sie Geld dafür kriegen), einen Kriminellen unterstützen, der einen auf Geschäftsmann macht ... Das wirft kein gutes Bild auf die Juristerei. Wobei ich mir allerdings insgesamt nicht so sicher bin, ob Sander nicht eben auch die Welt so darstellt, wie sie ist - mit einem Augenzwinkern?
Es sind nun einmal Anwälte, die solche 'Jobs' erledigen - das hat für mich mit 'Klischee' auch eher wenig zu tun. Nicht jeder Anwalt übernimmt solche Aufträge, klar, aber that's life - da stimme ich unbedingt zu!
 

parden

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Ob so etwas vor ein Kammergericht gehört, kann ich natürlich nicht sagen, aber das war natürlich schon ein Ding, dass Thomas dort nur seine Zeit absitzt, bis er das Honorar abkassieren kann. (Ich bekomme ein Gefühl für die Klischees;))
Ich glaube zu denken, dass es NICHT so läuft, ist ziemlich blauäugig. Ich muss sofort an die Politiker im Europaparlament denken, die ihre Stellvertreter/Sekretäre usw. schicken, um ihre Prämien zu erhalten und oft nur die allernotwendigsten Pflichttermine selbst wahrnehmen. Ein krankes System, das aber gut subventioniert wird.
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Es sind nun einmal Anwälte, die solche 'Jobs' erledigen - das hat für mich mit 'Klischee' auch eher wenig zu tun.

Für mich hat das schon mit Klischees zu tun, denn aus dem Verhalten einzelner wird auf das der Gruppe geschlossen. So entstehen Vorurteile. Ein paar Anwälte unterstützten Mithaie, also sind alle solche "Schweine". Dass es auch Anwälte gibt, die die Gegenseite vertreten, wird übersehen oder als "natürlich tun sie es, sie kriegen ja Geld dafür" abgetan. Migranten vergewaltigen Frauen, also sind alle Migranten potenzielle Verbrecher. Von wem auch immer manche Vorurteile verbreitet werden.
 

parden

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13. April 2014
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Wenn ich die Beiträge hier so lese, finde ich es mal wieder sehr erstaunlich, was die Lektüre eines Romans so auslösen kann. Mit Anwälten habe ich so meine Erfahrung gemacht - und ja, es gibt die, die ihre Moralvorstellungen, falls diese jemals dagewesen sind, preisgünstig an den Nächstbesten verkauft oder aber an der nächsten Müllkippe abgeladen haben. Natürlich gibt es auch andere, aber da kann man nur hoffen, wirklich an so jemanden zu geraten. Ich habe auch meine Erfahrungen mit Notaren gemacht - desinteressiert bis überheblich die einen, freundlich zugewandt und korrekt die anderen, da bin ich relativ neutral. Meine Erfahrungen mit Grundschullehrern sind auch durchwachsen, aber eher positiv. Schwarze Schafe gibt es überall - so die ehemalige Religionslehrerin meines Sohnes, jedes Wochenende besoffen und Jungenhasserin. Einem Freund meines Sohnes bescheinigte sie, 'selbst zu doof für Religion' zu sein. Bei keiner Berufssparte kann man einfach sagen: die sind so oder so. Aber vielleicht neigen doch Menschen mit gewissen Wesens- und Denkarten eher dazu, bestimmte Berufe zu ergreifen, als andere... Mein Sohn studiert übrigens gerade auf Grundschullehramt... ;)
 

parden

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13. April 2014
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Aber nun doch mal zum Roman... ;) Mir geht es wie den anderen hier: es tun sich viele Fragen auf. Interessant fand ich v.a. die Einblicke in die Jugend von Thomas und Daniel - die Gegensätzlichkeit der Lebensumstände ist schon reizvoll. Es würde mich schon interessieren, wie Thomas in die Juristenschiene hereingeraten ist - sein Vater hatte ja andere Pläne mit ihm... ;) Wo sind seine Frau und seine Töchter, weshalb ist da Funkstille, wie kam es zur Trennung, weshalb verschwand Daniel damals, wieso ist er plötzlich wieder da, was wird sich in Thomas Leben dadurch verändern? Da hilft wohl nur weiterlesen...
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Sander entführt uns hier in das Rostock der Vor- und Nachwendezeit und schafft dabei eine Reminiszenz an Kempowskis Witz und Humor, mit dem jener die dunkle Zeit des Nationalsozialismus in den Bürgerhäusern Rostocks geschildert hat. Bei Sander prägt eine ähnliche Stimmung nun die DDR-Zeit im Elternhaus des Helden Thomas. Das macht Sander ganz bewusst und offen und stößt uns Leser sogar mit der Nase drauf:

"... und was da unten am alten Hafen in den heruntergekommenen Häusern passierte, das ging uns nur etwas an, wenn es bei Kempowski stand. Uns ging es nämlich noch gold."

Dieses Kempowski-hafte prägt das Elternhaus von Thomas und prägt deshalb auch den ersten Teil des Buches, in dem wir uns hier im Erzählten befinden. Die Tonlage ändert sich dann im weiteren Verlauf, wenn Thomas das Haus für sein Studium verlässt und das Weite sucht. Das ist eigentlich schade. Ich hatte mich in dieser Stimmung sehr wohl gefühlt und habe das Humorige bei der Beschreibung eines DDR-Alltags sehr genossen, denn es hebt sich sehr stark ab von der Schwere und Tristesse, die sonst sehr häufig Literatur über die DDR bestimmen. Ich schaue noch mit Interesse darauf, wie sich die Tonlage weiter entwickelt.
Mein Eindruck ähnelt dem von dir, ich mag den Humor und die Leichtigkeit, mit der Sander den DDR-Alltag schildert, so als gäbe es das sozialistische System nicht, Ignoranz in der Drogistenfamilie, kleinbürgerlich elitäres Denken das sich vom heruntergekommenen und mindestens ebenso unsozialiatischem Hafenviertel abhebt. Und in kleinen Nebensätzen wird angeprangert, wie die Stasi-Tätigkeit von den Neues-Forum-Revoluzzern Rolf und Kuddel oder die Parteinanweisung zum Verlassen der Geliebten des Chefarztes. Irgendwie ist die Stimmung damals im ehemaligen Osten so richtig gut eingefangen, sowohl die Leichtigkeit und Lebenslust als auch der unterschwellige Druck. Ich habe mich damals mit knapp 20Jahren kurz vor denn Umbruch auch in Ralf-Rolf-Kuddel-Kreisen bewegt, unsere Kneipe hieß Jazzkeller und war illegal, in zwei Kellern eines Stadthauses. Natürlich wusste die Stasi von jedem Wort, das dort geredet wurde, unter den Konspirativen waren viele IM‘s, wie sich später herausstellte.
Und: das schönste an den alten Dachgeschoss-Wohnungen meiner damaligen Freunde war tatsächlich das Leben über den Köpfen der anderen.

Ich finde, dass die Leichtigkeit auch in die Jetztzeit des Romans hinüberschwappt. Thomas ist privat gebeutelt, ist sich zwar Rechtsanwalt aber ich habe das Gefühl, dass er sich selbst ein bisschen zumindest treu geblieben ist. Sorglos gibt er Daniel Unterschlupf in „Iwans“ Wohnung. Und den Umgang mit jugendlichen Straftätern traue ich auch nicht jedem zu, der Jura studiert hat, auch wenn seine Kanzleipartnerin da das bessere Händchen zu haben scheint.
Situationen, in denen man als 50jähriger durchaus genervt sein könnte (ungewolltere Saunabesuch mit Iwan oder das plötzliche Auftauchen Bonn Daniel in seinem Auto) geht er durchaus gelassen und mit Humor an.

Mir gefällt das Buch bisher ausgezeichnet, stilistisch und auch die Geschichte, der Bezug auf Kempowski (den ich bisher nur von seinem berühmten Echolot-Projekt kenne) hat mich neugierig auf diesen und seine Romane gemacht.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Denn wenn man z.B. die Gerichtsszene betrachtet, scheint er auch leicht konservative Züge zu haben (was ich jetzt nicht schlimm finde).
Ich weiß gar nicht, ob der von ihm gewünschte Abstand tatsächlich Konservativismus ist, oder eher Selbstschutz davor, dass er die Probleme zwar im Rahmen seines Berufes versucht zu lösen, ansonsten aber ein eigenes andere Seite leben hat und seinen „Arbeitsmantel“ zu diesem Zweck nach denn Gerichtstag gerne wieder ablegt.
 

KrimiElse

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Die Rückblende in die Schul- und Lehrzeit weckt bei mir auch viele Erinnerungen und finde, die damals herrschende Atmosphäre ist gut getroffen. An die riesigen Kohlehaufen auf dem Schulhof kann ich mich noch gut erinnern und auch an die Pausen und die wilden Diskotheken und das Anstehen davor und die Raucherei....:cool:
Oh ja, die allgegenwärtigen Kohlehaufen...anstehen war damals so normal, heute ist das (dort wo ich hingehe zumindest) nicht mehr üblich, und ich hatte das fast vergessen. Rauchen - ja, auch das gehörte fast zum guten Ton damals...
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Die beiden Freunde hatten sich 10 Jahre nicht gesehen. Haben sie sich nur aus den Augen verloren aufgrund der räumlichen Distanz oder gab es einen triftigen Grund dafür? Für Letzteres könnte die Tatsache sprechen, dass Thomas den Freund nicht mit nach Hause nehmen will. Außerdem erzählt er nichts über die Trennung von seiner Frau, die allerdings auch noch sehr frisch ist.
Daniel macht für mich den Eindruck, als würde er sich durchaus auf halbseidene Dinge einlassen, fast problemlos. Ich denke, das war auch der Grund dafür, dass er den Pass von Thomas hatte. Denn untertauchen musste er, gesucht wird er offenbar auch noch in der Bretagne (zumindest machte er sich Sorgen) ob von den Behörden oder von Gangstern - tja, beides ist möglich glaube ich.
 

KrimiElse

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Das meinte ich. Natürlich gibt es auch solche Anwälte, aber 99 Prozent machen andere Dinge und arbeiten auf anderen Gebieten. Auch Strafverteidigung ist nur ein kleiner Bereich. Nach einer Umfrage gehören Anwälte zu denjenigen Personen, denen am meisten vertraut wird. Vertrauenswürdiger sind nur Pfarrer.
OMG, echt? War das eine Umfrage bezogen auf Berufsgruppen?
 
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KrimiElse

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Das hat mich auch sehr, sehr irritiert. Das geht ja gar nicht.
ich denke, das ist dem ehemaligen Osten zu Wendezeiten geschuldet, da herrschte manchmal Wildwest und keiner interessierte sich für Regeln. Daniel taucht wieder auf und Thomas findet sich in der Vergangenheit versetzt wieder. Man sollte das vielleicht mit einem Augenzwinkern lesen.
 
G

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Dieses Buch von Gregor Sander gefällt mir sehr. Ich habe angefangen zu lesen und flugs geht die Zeit vorbei und der Ton des Geschriebenen hallt nach, weckt Erinnerungen, lässt etwas Vergangenes wieder auferstehen. Ich glaube diese Leserunde wird interessant werden. Eure bisher gelesenen Beiträge klingen höchst interessant und das Buch/die Handlung besticht definitiv.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

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Thomas und Daniel freunden sich in ihrer Jugend an, leben in Rostock in der DDR. Die Familie Piepenburg haben eine Drogerie in der DDR, der Familie geht es gut, wohnen in einer Stadtvilla, sie haben Westverwandte. "Uns ging es nämlich noch Gold." S.25 Die Familie Rehmer hat es da nicht so gut, sie kamen ursprünglich aus Plau am See, die Mutter, Christine, eine Krankenschwester, hatte wohl private Probleme/eine Liaison mit dem Chefarzt, dieses Problem wurde dann auch mit der Hilfe der Partei gelöst, mit einem Umzug nach Rostock für die Rehmers. Beide ziehen in das Nachtjackenviertel von Rostock, ein recht marodes Viertel. Obwohl die Familien sehr unterschiedlich sind, die Piepenburgs recht konservativ, die Rehmers recht offen, freunden sich Thomas und Daniel an. Über diese Freundschaft wird in Rückblenden erzählt.

Im jetzt ist Thomas ein Anwalt, arbeitet in einer Kanzlei mit mehreren Kollegen, unter anderen eine Agneszka Lewocianka, eine höchst interessant gezeichnete Person, hat eine Frau, Stephanie und zwei Töchter, Nina und Miriam. Allerdings hatten Stephanie und er einen Streit und Stephanie ist ausgezogen. Thomas hat nicht die Drogerie der Familie übernommen, sondern ist als Anwalt in Berlin tätig. Sein Freund Daniel taucht nach 10 Jahren ohne Kontakt wieder auf, braucht Hilfe, eine Wohnung. Er erwähnt, dass er in Frankreich war, in der Bretagne, in Saint Malo und eine Frau, Catherine. Es wird ebenso über einen Pass gesprochen, den Thomas Daniel damals gegeben hat zum Abhauen. Aber nicht weshalb.

Also schwebt hier viel Ungesagtes im Raum. Gleichzeitig macht dieses viele Ungesagte mich nur noch Neugieriger. :)
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

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Das sieht alles schon recht hemdsärmelig aus und scheinen Indizien zu sein, dass es der Kanzlei nicht wirklich gut geht, wie weiter oben schon gesagt wurde.
Obwohl ich in der Zeichnung der Person der Agneszka Lemocianka (ich liebe den Sprachklang dieses Namens :)), in ihrer Herkunft und ihren Kontakten einen gewissen Kontrast zur Verteidigung eines Miethaies sehe. Da spricht ebenso ein gewisser Humor von Sander.
 
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