Rezension Rezension (5/5*) zu Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte vom Franz Biberkopf (Fischer Klassik) vo.

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Buchinformationen und Rezensionen zu Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin
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Sensationelles Gesamtkunstwerk

„Der Krieg hört nicht uff, solange man lebt, die Hauptsache ist, dass man uff die Beene steht.“ (S. 451)

Klas-si-ker, der – laut Duden etwas, das „zeitlos“ ist. Nun, regelmäßige Leser*innen meiner Rezensionen wissen ob meiner Affinität zu eben solch (literarischem) Stoff.

In einer bemerkenswerten Leserunde haben wir „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin gelesen bzw. gehört, seziert, wieder zusammengesetzt und für „klassikerwürdig“ befunden. Der Großteil der Mitleserinnen und –leser war bzw. ist sich auch einig, dass man die Aussage Döblins, dass Buch zweimal oder dreimal zu lesen, durchaus ernst nehmen sollte – zu vielschichtig ist dieses Werk, um alle Einzelheiten der (Kern-)Geschichte oder der enthaltenen Versatzstücke (Döblin selbst nennt es „Montagestil“), bereits beim „Erstkontakt“ zu erfassen und sie in Zusammenhang mit dem unabwendbaren „Tod“ und der „Auferstehung“ von Franz Biberkopf zu bringen.

Franz Biberkopf ist ein Loser – er steht auf der „falschen“ Seite der Gesellschaft in einer Zeit, die im Umbruch begriffen ist und einige Jahre später völlig darniederliegen wird; er fällt hin, steht wieder auf, lässt sich aber immer wieder auf Leute ein, die ihm nicht guttun und es muss (natürlich) erst zum Äußersten kommen, bevor es nach einem grandios in Szene gesetzten Zwiegespräch zwischen seinem Innersten und dem Tod zu einer Auferstehung seines „geläuterten“ Selbst kommt. Wir haben es hier also nicht nur mit einem Opfer, sondern auch mit einem Täter zu tun – alleine das macht einen Teil der Sympathie für die Figur des Franz Biberkopf aus.

Alfred Döblin fordert seine Leserschaft hinaus. Nicht nur mit der allgegenwärtigen „Berliner Schnauze“ (okay, einen Großstadtroman, der in Berlin spielt mit Plattdeutsch auszustatten, würde auch etwas komisch anmuten *g*), sondern auch mit der bereits genannten Melange aus Zeitungsartikeln, Liedern, Werbeprospekten usw. – ein buntes Kaleidoskop, dass brillant das Berliner Leben Ende der 1920er Jahre vor das geistige Auge des „Betrachters“ wirft. Man hat wirklich das Gefühl, Berliner Luft zu „atmen“ und die Straßenarbeiter auf dem Alexanderplatz, die Zeitungs- und Obstverkäufer, die Schurken und die Damen der Straße bei ihrer jeweiligen Arbeit oder Tätigkeit live zu begleiten. Selten habe ich etwas Authentischeres gelesen.

Die Kombination aus der fiktiven Figur Franz Biberkopf und dem echten Leben in Berlin funktioniert also auch heute (90 Jahre nach der Erstveröffentlichung) immer noch erstaunlich gut und dürfte es auch noch im nächsten Jahrzehnt, Jahrhundert…tun.

Mehr muss und will ich gar nicht zu diesem Gesamtkunstwerk sagen.


von: Wolfgang Herrndorf
von: John Irving
von: Richard Thaler
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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49
Man hat wirklich das Gefühl, Berliner Luft zu „atmen“ und die Straßenarbeiter auf dem Alexanderplatz, die Zeitungs- und Obstverkäufer, die Schurken und die Damen der Straße bei ihrer jeweiligen Arbeit oder Tätigkeit live zu begleiten. Selten habe ich etwas Authentischeres gelesen.
Oh, mein lieber King, zu eben jener erwähnten Lesegruppe gehörend möchte ich dir auf das Herzlichste beipflichten!
Es ist in der Tat ein ganz, ganz besonderes Buch, das sich zu hörèn und zu lesen lohnt.
Deine Rezension ist wirklich extrem gut gelungen (Wie macht er das bloß:confused:?).
Chapeau!
 
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kingofmusic

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Oh, mein lieber King, zu eben jener erwähnten Lesegruppe gehörend möchte ich dir auf das Herzlichste beipflichten!
Es ist in der Tat ein ganz, ganz besonderes Buch, das sich zu hörèn und zu lesen lohnt.
Deine Rezension ist wirklich extrem gut gelungen (Wie macht er das bloß:confused:?).
Chapeau!
Herzlichen Dank für die lieben Worte, liebe Literaturhexle :). Keine Ahnung, wie er das immer macht. Bei nächster Gelegenheit Frage ich ihn mal :D.
Spaß beiseite: ich habe wirklich hin und her überlegt, ob ich wirklich eine Rezension schreibe, weil mir bewusst war, dass es schwierig sein würde, diesem Kunstwerk an Roman mit einer amateurhaften Rezension gerecht zu werden. Schlussendlich konnte sich der King aber durchsetzen :D. Und da ich von Arbeit her kaum bis gar nicht in die Veröffentlichung von Texten, Aufsätzen etc. eingebunden bin, muss ich mich halt über die Rezensionen kreativ ausleben ha ha ha. :D
 
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MRO1975

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11. August 2018
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Sensationelles Gesamtkunstwerk


„Der Krieg hört nicht uff, solange man lebt, die Hauptsache ist, dass man uff die Beene steht.“ (S. 451)

Klas-si-ker, der – laut Duden etwas, das „zeitlos“ ist. Nun, regelmäßige Leser*innen meiner Rezensionen wissen ob meiner Affinität zu eben solch (literarischem) Stoff.

In einer bemerkenswerten Leserunde haben wir „Berlin Alexanderplatz“ von Alfred Döblin gelesen bzw. gehört, seziert, wieder zusammengesetzt und für „klassikerwürdig“ befunden. Der Großteil der Mitleserinnen und –leser war bzw. ist sich auch einig, dass man die Aussage Döblins, dass Buch zweimal oder dreimal zu lesen, durchaus ernst nehmen sollte – zu vielschichtig ist dieses Werk, um alle Einzelheiten der (Kern-)Geschichte oder der enthaltenen Versatzstücke (Döblin selbst nennt es „Montagestil“), bereits beim „Erstkontakt“ zu erfassen und sie in Zusammenhang mit dem unabwendbaren „Tod“ und der „Auferstehung“ von Franz Biberkopf zu bringen.

Franz Biberkopf ist ein Loser – er steht auf der „falschen“ Seite der Gesellschaft in einer Zeit, die im Umbruch begriffen ist und einige Jahre später völlig darniederliegen wird; er fällt hin, steht wieder auf, lässt sich aber immer wieder auf Leute ein, die ihm nicht guttun und es muss (natürlich) erst zum Äußersten kommen, bevor es nach einem grandios in Szene gesetzten Zwiegespräch zwischen seinem Innersten und dem Tod zu einer Auferstehung seines „geläuterten“ Selbst kommt. Wir haben es hier also nicht nur mit einem Opfer, sondern auch mit einem Täter zu tun – alleine das macht einen Teil der Sympathie für die Figur des Franz Biberkopf aus.

Alfred Döblin fordert seine Leserschaft hinaus. Nicht nur mit der allgegenwärtigen „Berliner Schnauze“ (okay, einen Großstadtroman, der in Berlin spielt mit Plattdeutsch auszustatten, würde auch etwas komisch anmuten *g*), sondern auch mit der bereits genannten Melange aus Zeitungsartikeln, Liedern, Werbeprospekten usw. – ein buntes Kaleidoskop, dass brillant das Berliner Leben Ende der 1920er Jahre vor das geistige Auge des „Betrachters“ wirft. Man hat wirklich das Gefühl, Berliner Luft zu „atmen“ und die Straßenarbeiter auf dem Alexanderplatz, die Zeitungs- und Obstverkäufer, die Schurken und die Damen der Straße bei ihrer jeweiligen Arbeit oder Tätigkeit live zu begleiten. Selten habe ich etwas Authentischeres gelesen.

Die Kombination aus der fiktiven Figur Franz Biberkopf und dem echten Leben in Berlin funktioniert also auch heute (90 Jahre nach der Erstveröffentlichung) immer noch erstaunlich gut und dürfte es auch noch im nächsten Jahrzehnt, Jahrhundert…tun.

Mehr muss und will ich gar nicht zu diesem Gesamtkunstwerk sagen.



von: Wolfgang Herrndorf
von: John Irving
von: Richard Thaler
Sehr schön, wie du das in Worte gefasst hast!
 
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