Rezension Rezension (5/5*) zu Das Leben ist eins der Härtesten von Giulia Becker.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Buchinformationen und Rezensionen zu Das Leben ist eins der Härtesten von Giulia Becker
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Es war ein verzweifeltes Lachen, ein alternativloses, aber eben

Alles fängt an mit Malteserhündin Mandarine Schatzi, die in einer Punica-Flasche ertrinkt. Frauchen Renate ist untröstlich, lässt sich tagelang gehen und gibt dann ein kleines Vermögen beim Teleshopping aus, so dass die Postbotin mehrmals mit der Schubkarre anrücken muss. Kaufrausch zur Trauerbewältigung.

Zack, diese Ausgangssituatione knallt einem die Autorin an den Kopf wie eine Kampfansage: Na, findest du das etwa lustig!?

Während man sich noch fragt, was wohl die richtige Antwort wäre, geht es auch schon weiter mit Charakteren, die so skurril wirken, so gnadenlos übersteigert und ins Lächerliche gezogen, dass man möglicherweise kurz versucht ist, literarische Totalverweigerung zu begehen und das Buch zuzuklappen.

Jedermann und doch ganz anders.

Willy-Martin hat panische Angst vor Hunden – und aus Versehen mal einen erschossen, obwohl er eigentlich der friedfertigste Mensch ist, den man sich vorstellen kann. Jetzt hat er sich in eine Frau verliebt, die samt Hund Bounty direkt ungebeten bei ihm einzieht und anscheinend gar nicht mehr gehen will.

Silke zog vor vielen Jahren nach einem Nervenzusammenbruch im Zug die Notbremse, was sie in ihrer Ehe schon lange hätte tun sollen. Sie bezahlt immer noch die entstandenen Schulden ab, während sie Sozialstunden in der Bahnhofsmission schiebt und versucht, Geld für den krebskranken Obdachlosen Zippo aufzutreiben.

Nicht zuletzt gehört zu diesem bunten Quartett die 97-jährige Frau Goebel, die als letzten Lebenswunsch mal in die Tropen fahren will – allerdings nicht in die echten, sondern nur ins ostdeutsche Badeparadies ‚Tropical Islands‘. Und so brechen Renate, Willy-Martin, Silke und Frau Goebel auf, ihr diesen Wunsch zu erfüllen, was durchaus auch zu Spannungen in der zusammengewürfelten Truppe führt.

Ist das Literatur oder kann das weg?

Der innere Möchtegern-Bildungsbürger 2.0 tritt empört aufs Podium:

Also, das ist doch… Ist das denn überhaupt rechtens? Machen wir uns hier nicht lustig über Menschen aus sozial schwierigen Milieus? Unerhört. Und überhaupt – das ist mir zu flach, wirklich.

Und hier bricht das Podium unter ihm zusammen.

Weil es dann halt doch unterhaltsam ist, ohne flach zu sein. Sehr sogar. Und es ist deswegen so unterhaltsam weil die Charaktere wider Erwartens keine reinen Witzfiguren sind. Wenn man ihnen zuhört, sich einpendelt zwischen Mitlachen, Mitleiden und Fremdschämen, dann merkt man: das sind echte Menschen, wie sie einem schon tausendfach begegnet sind – wenn auch vielleicht nicht in solch geballter Konzentration.

Die Autorin zeichnet scheinbar mühelos das Bild eines kleinbürgerlichen Milieus, das sie bei allem Humor nicht respektlos behandelt. Meines Erachtens spielt sie mit den Vorurteilen des Lesers, führt ihm das aber deutlich genug vor Augen, dass sie die Vorurteile dadurch nicht bestätigt.

Ich bin versucht, zu sagen: das ist Kult! Aber eigentlich ist Kult inzwischen auch schon ein überreiztes Klischee, daher: das ist das Leben!

Tiefgang und Humor müssen sich nicht ausschließen.

Die vier Charaktere, die im Mittelpunkt stehen, haben alle gravierende Probleme. Ja, diese sind zum Teil selbstgemacht, wirken von außen betrachtet vielleicht sogar zum Schreien komisch, aber für die Betroffenen sind sie Tragödien. Da bleibt einem das Lachen schon mal in der Kehle stecken und man schämt sich, nur dieses Mal nicht fremd.

Irgendwann fühlt man eine echte Nähe zu diesen unwahrscheinlichen Helden, im Guten wie im Schlechten. Dann wird einem auch klar: das Problem ist nicht der Hund oder das Geld, nicht mal der Krebs oder das Alter. Das Problem ist eine tiefempfundene Einsamkeit, und da kann wohl jeder mitfühlen.

Aber zwischendurch ist es dann doch wieder zum Totlachen, denn wenn Giulia Becker eines beherrscht, dann gnadenlose Situationskomik, gerne auch selbstironisch.

Die Auflösung am Schluss war mir einerseits ein bisschen zu viel des Guten, andererseits aber auch passend – ein Paukenschlag am Ende einer tragikomischen Seifenoper.

FAZIT

Eine ungewöhnliche Reisegesellschaft, bestehend aus vier Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, fährt in die Tropen – nicht in die echten, aber wenigstens ins Badeparadies „Tropical Islands“. Im Gepäck haben sie ihre Sorgen und Probleme, aber zusammen ist man immerhin weniger allein.

Die Charaktere dieses Romans sind gerade deshalb so besonders, weil sie gleichzeitig schrullig und stinknormal sind. Weil sie sich tapfer durch die üblichen banalen Unbilden des Lebens und die aberwitzigsten Probleme kämpfen. Weil ihre Geschichten zum Schreien komisch sind und dennoch eine leise Tragik mitschwingt.

Absolute Leseempfehlung!

 
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