Rezension Rezension (3/5*) zu Willkommen in Lake Success: Roman von Gary Shteyngart.

ulrikerabe

Bekanntes Mitglied
14. August 2017
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Wien
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Wenn ein Egotourist auf Reisen geht:::

Sommer 2016, Donald Trump befindet sich im Wahhlkmapf. Barry Cohen, Investmentbanker, Ehemann, Vater, verlässt nach einem Streit seine Familie. Mit einem Greyhound Bus macht er sich auf eine Reise quer durch die USA, um zu seiner Jugendliebe Layla zu gelangen.
Es ist ein sehr schräger Road Trip, auf den Barry sich einlässt. Nach und nach erfahren wir Barrys Geschichte, von veruntreuten Millionen, seinem autistischen Sohn Shiva, seinem Faible für teure Uhren. Barry, der eigentlich aus einfachen Verhältnissen stammt, lebt schon so lange in der Welt der Reichen und Schönen, dass er sich mit absoluter Naivität und Gleichgültigkeit gegenüber dem „wirklichen Leben“ auf die Welt der Straße einlässt. Wie aus Teflon gleitet er von einer Situation zur nächsten, verhandelt mit Straßendealern, schläft mit einer jungen attraktiven Frau und erwartet, dass Layla ihn mit offenen Armen empfängt.
Seema, Barrys verlassen Ehefrau, stürzt sich in eine Affäre mit dem Nachbarn. Die Betreuung für das autistische Kind sieht die Anwältin wie einen Prozess, alles organisiert und unter ihrer Kontrolle.
Mir erschienen sämtliche Figuren in diesem Roman als unerträglich hohl und oberflächlich. Ihre Borniertheit und Fadesse überträgt sich auf das geschriebene.
Doch dann kam Layla! Endlich eine Person, die ich annähernd authentisch undlebensnah finden konnte. Vielleicht weil sie auf "der richtigen Seite" steht, politisch, intellektuell. Sie fasst Barry in einem Satz zusammen: "Du läufst durch die Welt und machst Sachen und weißt nicht mal, warum du sie machst....Das Verhalten deines Geschlechts, wie es im Buche steht." Zumindest in diesem Buche!
Gary Shteyngart hat ein Händchen für skurrile Situationen, karikiert die Wall Street Emporkömmlinge, macht auch nicht Halt vor der eigenen Literatenzunft, spiegelt die USA kurz vor Trump.
Ist es Zufall dass sich Autor und Protagonist phonetisch gleichen? Zumindest haben beide ihren Faible für ausgefallen Chromomert gemeinsam. Was will uns nun Gary über Barry sagen?
Nun, Seema sagt über Barry „…sie möge nicht was Barry sei. Nicht wer, sodern was.“
Doch wer oder was ist Barry? Ein von Herkunft und Schicksal geprägter Charakter, mit autistischen Zügen, wie es gegen Ende des Buchs plötzlich anklingt. Der als Kind keine Freunde hatte und sich diese mit „Freundschaftssätzen“ ködern wollte. Der sich lieber mit Dingen als mit Menschen beschäftigt. Oder doch nur ein selbstverliebter Narzisst, ein Egotourist, dem nichts anhaftet, der sich rauskaufen kann aus allen Schwierigkeiten. Grary Shteyngart hat zum Schluss des Buches Mitleid mit diesem unerträglichen Menschen. Ich leider nicht.


 
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