Rezension Rezension (4/5*) zu Unerhörte Stimmen: Roman von Elif Shafak.

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Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ein Blick in eine Welt zwischen Tradition und Moderne

Dieses Buch ist ein äußerst interessanter und auch erschreckender Blick in ein Land, welches einerseits versucht Nähe zu Europa aufzubauen, andererseits aber auch sehr weit davon entfernt ist. Dieser Roman ist ein absolut mutiger Blick einer Autorin/einer Frau auf ihre Heimat, auf den Staat Türkei. Ich kann nur sagen ich habe Achtung vor dieser Frau, denn dieses Buch wird den mächtigen reaktionären Kreisen in ihrer Heimat nicht gefallen und dieser Autorin weitere Feinde bescheren. Leider! Und den Lesern dieses Buches wird ein gewisser geschichtlicher Abriss geboten, ein Blick in die Politik der Türkei, ein Blick in die abgeschiedenen Gebiete Ostanatoliens und ebenso ein Blick in das Leben einer Familie der bildungsfernen und abergläubischen und ebenso streng gläubigen Schicht. Hier entsteht vor meinen etwas ungläubigen Augen eine Welt, die wirkt, als käme sie aus einer weit entfernten Zeit oder Gegend, dabei spielt dieser Teil des Buches zumeist in der 50ern und Anfang der 60er Jahre. Dann wandert die Protagonistin nach Istanbul, auf der Suche nach einem offeneren Leben und gelangt einerseits in eine etwas modernere Welt, andererseits gibt es aber auch hier reaktionäre Kreise. Es wird in diesem Buch auch über eine bunte Welt berichtet, eine bunte Welt, die ich so nicht erwartet hätte, eine bunte Welt, die von ihrer Umgebung aber nicht gesehen/gehört wird, eine bunte Welt, die zu den "Unerhörten Stimmen" wird, erschreckenderweise in einer stark moralisierenden Welt sogar im Tod verbannt wird. Traurig! Wenn man bedenkt, dass in unserem Leben Achtung vor unseren Mitmenschen im Vordergrund stehen sollte und dies auch Gesellschaften ausmacht, zeigt dieser interessante Blick auf die "Unerhörten Stimmen" auch, wie krank manches Denken in Bezug auf Unbekanntem/buntem Leben ist.

Interessant finde ich auch den Aufbau des Buches. Die Hauptprotagonistin Leila wird ermordet, im ersten Teil des Buches werden nach dem Herztod des Opfers, die 10 Minuten und 38 Sekunden beschrieben, die das Hirn eines Herztoten noch aktiv sein kann. Die Ermordete Leila wirft in dieser Zeit einen Blick auf ihr Leben und ihre Lieben. Und dieser Blick zeigt auch den Menschen in seiner ganzen Pracht und auch in seiner Düsternis.

Und ebenso erwähnen muss ich noch diese wunderschöne Sprache. Elif Shafak kann definitiv wunderbar und spannend schreiben und auch hier kann ich sagen, "Unerhörte Stimmen" war das erste Buch von dieser Autorin für mich, wird aber nicht das letzte gewesen sein.

Ein kleines Manko in meinen Augen ist folgender Punkt, ich mag normalerweise in der Zeit und der Handlung hin- und herspringende Geschichten, denke aber, dass bei diesem Roman eine chronologische Erzählweise dem Buch/der Handlung mehr geholfen hätte, das Buch noch besser gemacht hätte.

 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Für.mich wird es das dritte Buch der Autorin sein. Es steht bereit und alles was du über den Spagat zwischen Tradition und Moderne schreibst, gilt auch für "Ehre" und "Der Geruch des Paradieses". Eine wirklich lesenswerte Autorin!