4. Leseabschnitt: "Die Ohrringe"-"Die Kugel"-"Totòs Messer (S. 95 bis Ende)

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich glaube nicht das er uns hier nur das Bild von Gut und Böse darstellen wollte, dazu gab es mir zu wenig gutes in diesem Buch. Ich dagegen denke eher das es ihm um die Sündhaftigkeit der Menschen ging.
Da stimme ich dir zu, @claudi-1963 !
Das Gute waren zunächst die Kinder und das Pferd. Alle wurden mehr oder weniger missbraucht. Auch Toto mag ein Held sein, aber kein durchweg guter, wie wir alle festgestellt haben. Schließlich bestiehlt er andere arme Menschen.
Auch die Mutter von Celeste ist keine Heilige, auch wenn sie sich zur Madonna während ihrer "Geschäfte" hinwendet (was an sich auch ziemlich unglaubwürdig ist). Ihre Tochter bei Wind und Wetter auszusperren ist grenzwertig, zumal sie Dinge mitbekommt, die Kinder noch nicht mitbekommen müssen...
Die schönen Formulierungen und Metaphern, von denen @Renie schwärmt, habe ich auch gelesen und als sehr gekonnt empfunden. Sie trösten mich aber nicht über die Schwächen des kleinen Romans hinweg.
 
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Renie

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19. Mai 2014
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Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Ich glaube nicht das er uns hier nur das Bild von Gut und Böse darstellen wollte, dazu gab es mir zu wenig gutes in diesem Buch. Ich dagegen denke eher das es ihm um die Sündhaftigkeit der Menschen ging. Wenn man mal die Leute in Borgo Vecchio betrachtet, gibt es eigentlich kaum jemanden der ohne Sünde ist. Ob es Diebstahl, Prostitution, Ehebruch, Lüge, Mord, Ausschweifung wie den Alkohol, Neid, Verrat, alles ist in diesem Buch enthalten. Auch heute sehen wir diese Dinge vermehrt in der Bevölkerung, vielleicht will er uns das gerade zeigen? Das unter dem Deckmantel der Religiosität der in Italien herrscht, aber auch anderswo, trotzdem all die Sünden begangen werden.
Da wäre mir ehrlich gesagt das Gut und böse zu simpel für diese Geschichte, den sonst hätte er nicht mit diesen vielen Sünden auffahren müssen.
In gewisser Weise gebe ich dir Recht. Das Böse überwiegt eindeutig in diesem Buch. Ich habe allerdings bei dem Guten an die kleinen Dinge gedacht: der Stolz der beiden Jungen bei der Prozession mit dem Pferd, ihre Freundschaft, Mimmo und Nana, die Liebe Carmelas zu ihrer Tochter, Carmela, die die Schuld für den Tod von ? auf sich nimmt, um ihrer Tochter einen Neuanfang zu ermöglichen. Diese Dinge gehen zwar bei der Übermacht des Bösen unter, sind aber dennoch präsent und vermitteln einen kleinen Funken Hoffnung in einer unbarmherzigen Umgebung.
 

claudi-1963

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29. November 2015
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In gewisser Weise gebe ich dir Recht. Das Böse überwiegt eindeutig in diesem Buch. Ich habe allerdings bei dem Guten an die kleinen Dinge gedacht: der Stolz der beiden Jungen bei der Prozession mit dem Pferd, ihre Freundschaft, Mimmo und Nana, die Liebe Carmelas zu ihrer Tochter, Carmela, die die Schuld für den Tod von ? auf sich nimmt, um ihrer Tochter einen Neuanfang zu ermöglichen. Diese Dinge gehen zwar bei der Übermacht des Bösen unter, sind aber dennoch präsent und vermitteln einen kleinen Funken Hoffnung in einer unbarmherzigen Umgebung.

Ja mag sein, aber ich sehe das nicht unbedingt als Thema Gut gegen Böse an. Wie gesagt ich denke viel mehr das der Autor uns den Abfall und die Sündhaftigkeit der Menschen ans Herz legen möchte. Den diese vielen Sünden der Einzelnen sind ja hier mehr als offensichtlich.
 
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ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Auch die Mutter von Celeste ist keine Heilige, auch wenn sie sich zur Madonna während ihrer "Geschäfte" hinwendet (was an sich auch ziemlich unglaubwürdig ist).

So unrealistisch finde ich es nicht. Wenn man jetzt die religiöse Seite betrachtet: Es war z.B. bei der italienischen Mafia durchaus üblich, dass man in den Beichtstuhl ging, um seine Sünden zu beichten, und anschließend den Priester zur Sicherheit umbrachte, damit er nichts verraten konnte (habe ich irgendwann mal gehört). Im Allgemeinen sehe ich da auch Parallelen zu einem Adolf Hitler, der Vegetarier war und Schnittblumen verabscheute, auf der anderen Seite aber keine Hemmungen hatte, massig Andersdenkende oder "unwertes Leben" in den Tod zu schicken - und das auf grausamste Weise. Für Ähnliches gibt es zahlreiche Beispiele. Wobei auf S. 96 auch steht, dass Carmela "einsatzbereit in Gebetshaltung dakniete, um gleich zur Sache zu kommen." Da ist die Frage, was von Religiosität übrig ist.
Alles in allem bleibe ich allerdings bei dem Glauben, dass es hier um naiven Glauben geht. Das entnehme ich auch dem Umstand, dass die Hochzeit am Heiligenfest stattfinden soll. Natürlich schadet es nicht zu beten und sich den Heiligen zuzuwenden. Aber es ist naiv zu glauben, dass dann alles hier und jetzt gut wird. (Das erinnert mich ein wenig an eine Kollegin, die, als meine Eltern krank waren, gesagt hat: "Wenn du betest, werden sie wieder gesund." Da blieb mir auch die Spucke weg.)
Allerdings denke ich nicht, dass Glauben/Religion oder auch der Kampf zwischen Gut und Böse (denn zu dem kommt es eigentlich nicht wirklich) der Sinn dieses Buches sind, sondern eher eine (zugegebenermaßen überzeichnete und verklausulierte) Darstellung der Welt, so wie sie ist. Und dass eben unsere Möglichkeiten, sie zu einem Besseren zu führen, begrenzt sind - wenngleich nicht unmöglich, wie die "Flucht" von Mimmo und Celeste impliziert, die dann doch einen Hoffnungsschimmer darstellt.


Auch vor Gesellschaftskritik schreckt Calaciura nicht zurück. Die Marktszene fand ich z.B. vielsagend, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich sie nicht vielleicht zu "platt" verstehe. Sie implliziert m.E. Kritik am Konsum (an einigen Stellen habe ich mich an Menschen erinnert gefühlt, die ihr Geld für Sinnloses ausgeben und sich dann wundern, warum sie sich nichts zu essen leisten können, oder, das kenne ich auch aus meinem Umfeld, Geld, dass sie verdienen, gleich wieder verbraten müssen). Die "Gymnastikschuhe mit [...] Lämpchen" könnten wieder einen Hinweis auf die Zeit geben, da es diese Art Schuhe ja noch nicht allzu lange gibt (glaube ich zumindest). Die Turnschuhe wurden einst verkauft und dann vom ehemaligen Verkäufer wieder gekauft. Das ewig Gleiche. Auch eine m.M. n. wichtige Aussage des Buches.

Ein weiterer Aspekt auch der Gesellschaftskritik: Als Cristofaro nicht mehr geschlagen wird, kommen die Menschen abends wieder auf die Straße. Vorher haben sie sein Weinen durch den Fernseher zu übertönen versucht. Kennen wir das nicht alle auch von uns? Augen zu, dann gibt es das nicht? Ich kann mich da jedenfalls nicht ausschließen - obgleich in weniger brutalen Bereichen.

Totò versucht, sein Leben (und auch das von Carmela und Celeste) zu änderen. Aber auch dieses geschieht eher auf unangebrachte Art und Weise). Die Schuhe werden gestohlen, der Schmuck ebenfalls - für ihn bestimmt ein guter Weg, objektiv betrachtet aber absolut unangebracht.

104/105: Hier ist vom gestohlenen Schmuck die Rede. Und dass diejenigen, die den Schmuck den Reichen stehlen, auch nicht "besser als die" ist. Wenn man sich die Menschheitsgeschichte anschaut, gibt es für ähnliches Verhalten zahlreiche Beispiele, die bekanntesten sind wohl die Französische und die Russische Revolution. Beide sind erst einmal in einen Blutrausch ausgeartet. Womit ich gerade Erstere nicht an sich kritisieren will, aber an Schillers "Da werden Weiber zu Hyänen" ist schon was dran.

Die Kugel, die Totò verfolgt. An sich wirklich unrealistisch, aber damit schließt sich der Kreis. Er stirbt dort, wo auch sein Vater zu Tode kam, konnte also seinem Schicksal (Erbsünde?) nicht entgehen. Allerdings ist trotz allem meine Frage, ob und wo er etwas hätte ändern können. Aber eben auch hier wieder das Motiv, dass das Schicksal nur begrenzt beeinflussbar ist und man diesem nur begrenzt entgehen kann. Wobei ich, und das betone ich immer wieder, nicht glaube, dass man per se machtlos ist, aber man muss eben Grenzen akzeptieren.

Die Szene mit Naná - sehr brutal, aber auch hier ein Körnchen Wahrheit. Die Methoden, zu denen der Mensch greift, um seinen Willen/seine Wünsche zu erfüllen, sind oft unglaublich. Wichtig finde ich hier den Satz "Sie spürten die Niedertracht [...] und waren zu allen Schandtaten bereit." (143). Auch hier in aller Fantastik wieder eine realistische Einschätzung.

Das Pferd, das zu Mimmo spricht. Auch wieder auf den ersten Blick an der Realität vorbei. Darüber muss ich auch noch nachdenken, aber auf den ersten Blick erscheint es mir als "intuitives Wissen" von Mimmo. Wir wissen, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, unser Inneres versucht es uns auch zu sagen, aber wie sehen es erst, wenn es gänzlich offenbar wir. Aber wie geschrieben: Keine Ahnung, ob ich damit richtig liege.
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Der Judas - auch wieder ein Motiv, das sich durch die Menschheitsgeschichte zieht. Wieder einmal auf meine "platte Art und Weise" ausgedrückt: Es ist unglaublich wohin Neid und "der schöde Mammon" den Menschen führen kann. Wobei ich selbst insofern mit den biblischen Symbolen ein Problem habe, als dass sie halt sehr schwer zu deuten sind. Einmal meine oben genannte platte Art, aber im frühen Christentum wurde Judas eben auch als der gedeutet wurde, der einfach nötig war, um das Heilsgeschehen in Gang zu bringen: Letztendlich war er nötig, um den Kreuzestod zu bringen und somit die Erlösung. Eine ähnliche Funktion hat der Verräter auch in diesem Text: Erst durch sein Eingreifen kommt es dazu, dass Mimmo und Celeste sich befreien, ausziehen. Wie wäre die Geschichte weitergegangen, wenn Totò nicht verraten und getötet worden wäre? Wir wissen es nicht.

Über den "Verkauf" von Celeste muss ich ebenfalls noch nachdenken. Auch hier im Prinzip wieder eine brutal und vielleicht übertrieben dargestellte Ungeheuerlichkeit, die aber ebenfalls einen wahren Kern beinhaltet: Man denke nur an Kindersoldaten, Zwangsprostitution oder auch den Umstand, wie viele heute nicht ihre Kinder als "Statussymbol" sehen. ...
 

claudi-1963

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29. November 2015
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So unrealistisch finde ich es nicht. Wenn man jetzt die religiöse Seite betrachtet: Es war z.B. bei der italienischen Mafia durchaus üblich, dass man in den Beichtstuhl ging, um seine Sünden zu beichten, und anschließend den Priester zur Sicherheit umbrachte, damit er nichts verraten konnte (habe ich irgendwann mal gehört). Im Allgemeinen sehe ich da auch Parallelen zu einem Adolf Hitler, der Vegetarier war und Schnittblumen verabscheute, auf der anderen Seite aber keine Hemmungen hatte, massig Andersdenkende oder "unwertes Leben" in den Tod zu schicken - und das auf grausamste Weise. Für Ähnliches gibt es zahlreiche Beispiele. Wobei auf S. 96 auch steht, dass Carmela "einsatzbereit in Gebetshaltung dakniete, um gleich zur Sache zu kommen." Da ist die Frage, was von Religiosität übrig ist.
Alles in allem bleibe ich allerdings bei dem Glauben, dass es hier um naiven Glauben geht. Das entnehme ich auch dem Umstand, dass die Hochzeit am Heiligenfest stattfinden soll. Natürlich schadet es nicht zu beten und sich den Heiligen zuzuwenden. Aber es ist naiv zu glauben, dass dann alles hier und jetzt gut wird. (Das erinnert mich ein wenig an eine Kollegin, die, als meine Eltern krank waren, gesagt hat: "Wenn du betest, werden sie wieder gesund." Da blieb mir auch die Spucke weg.)
Allerdings denke ich nicht, dass Glauben/Religion oder auch der Kampf zwischen Gut und Böse (denn zu dem kommt es eigentlich nicht wirklich) der Sinn dieses Buches sind, sondern eher eine (zugegebenermaßen überzeichnete und verklausulierte) Darstellung der Welt, so wie sie ist. Und dass eben unsere Möglichkeiten, sie zu einem Besseren zu führen, begrenzt sind - wenngleich nicht unmöglich, wie die "Flucht" von Mimmo und Celeste impliziert, die dann doch einen Hoffnungsschimmer darstellt.


Auch vor Gesellschaftskritik schreckt Calaciura nicht zurück. Die Marktszene fand ich z.B. vielsagend, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich sie nicht vielleicht zu "platt" verstehe. Sie implliziert m.E. Kritik am Konsum (an einigen Stellen habe ich mich an Menschen erinnert gefühlt, die ihr Geld für Sinnloses ausgeben und sich dann wundern, warum sie sich nichts zu essen leisten können, oder, das kenne ich auch aus meinem Umfeld, Geld, dass sie verdienen, gleich wieder verbraten müssen). Die "Gymnastikschuhe mit [...] Lämpchen" könnten wieder einen Hinweis auf die Zeit geben, da es diese Art Schuhe ja noch nicht allzu lange gibt (glaube ich zumindest). Die Turnschuhe wurden einst verkauft und dann vom ehemaligen Verkäufer wieder gekauft. Das ewig Gleiche. Auch eine m.M. n. wichtige Aussage des Buches.

Ein weiterer Aspekt auch der Gesellschaftskritik: Als Cristofaro nicht mehr geschlagen wird, kommen die Menschen abends wieder auf die Straße. Vorher haben sie sein Weinen durch den Fernseher zu übertönen versucht. Kennen wir das nicht alle auch von uns? Augen zu, dann gibt es das nicht? Ich kann mich da jedenfalls nicht ausschließen - obgleich in weniger brutalen Bereichen.

Totò versucht, sein Leben (und auch das von Carmela und Celeste) zu änderen. Aber auch dieses geschieht eher auf unangebrachte Art und Weise). Die Schuhe werden gestohlen, der Schmuck ebenfalls - für ihn bestimmt ein guter Weg, objektiv betrachtet aber absolut unangebracht.

104/105: Hier ist vom gestohlenen Schmuck die Rede. Und dass diejenigen, die den Schmuck den Reichen stehlen, auch nicht "besser als die" ist. Wenn man sich die Menschheitsgeschichte anschaut, gibt es für ähnliches Verhalten zahlreiche Beispiele, die bekanntesten sind wohl die Französische und die Russische Revolution. Beide sind erst einmal in einen Blutrausch ausgeartet. Womit ich gerade Erstere nicht an sich kritisieren will, aber an Schillers "Da werden Weiber zu Hyänen" ist schon was dran.

Die Kugel, die Totò verfolgt. An sich wirklich unrealistisch, aber damit schließt sich der Kreis. Er stirbt dort, wo auch sein Vater zu Tode kam, konnte also seinem Schicksal (Erbsünde?) nicht entgehen. Allerdings ist trotz allem meine Frage, ob und wo er etwas hätte ändern können. Aber eben auch hier wieder das Motiv, dass das Schicksal nur begrenzt beeinflussbar ist und man diesem nur begrenzt entgehen kann. Wobei ich, und das betone ich immer wieder, nicht glaube, dass man per se machtlos ist, aber man muss eben Grenzen akzeptieren.

Die Szene mit Naná - sehr brutal, aber auch hier ein Körnchen Wahrheit. Die Methoden, zu denen der Mensch greift, um seinen Willen/seine Wünsche zu erfüllen, sind oft unglaublich. Wichtig finde ich hier den Satz "Sie spürten die Niedertracht [...] und waren zu allen Schandtaten bereit." (143). Auch hier in aller Fantastik wieder eine realistische Einschätzung.

Das Pferd, das zu Mimmo spricht. Auch wieder auf den ersten Blick an der Realität vorbei. Darüber muss ich auch noch nachdenken, aber auf den ersten Blick erscheint es mir als "intuitives Wissen" von Mimmo. Wir wissen, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, unser Inneres versucht es uns auch zu sagen, aber wie sehen es erst, wenn es gänzlich offenbar wir. Aber wie geschrieben: Keine Ahnung, ob ich damit richtig liege.

Wow was du hier alles aus diesem kurzen Buch herausziehst und hineininterpretierst, ich glaube das hatte nicht mal der Autor beabsichtigt. Also ich kann da leider keine Paralellen zu Adolf Hitler sehen, das wäre mir jetzt echt zu hoch. Aber vielleicht muss man dazu ein anderes Literaturverständnis haben, so wie du um dieses Buch zu verstehen.
Ich denke schon das man Erbsünde sehr wohl verändern kann, man muss sie nur erst erkennen. Bei Toto hatte ich das Gefühl das er sie gar nicht erkennen wollte, vielleicht konnte er es auch nicht, den dieses Dorf erschien mir ja recht arm zu sein. Aber andere haben ja auch ihren Unterhalt mit einer richtigen Arbeit verrichtet.

An Cristofaro sehen wir das dieses Phänomen ja auch heute noch vertreten ist, diese Augen zu und nicht sehen wollen. Von daher denke ich das dieses Buch sicher auch für uns heute sehr viel sagen möchte.
Auch die Sündhaftigkeit wie stehlen, Ehebruch, Alkoholismus ist ja vermehrt im heute angekommen.
 
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claudi-1963

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29. November 2015
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Der Judas - auch wieder ein Motiv, das sich durch die Menschheitsgeschichte zieht. Wieder einmal auf meine "platte Art und Weise" ausgedrückt: Es ist unglaublich wohin Neid und "der schöde Mammon" den Menschen führen kann. Wobei ich selbst insofern mit den biblischen Symbolen ein Problem habe, als dass sie halt sehr schwer zu deuten sind. Einmal meine oben genannte platte Art, aber im frühen Christentum wurde Judas eben auch als der gedeutet wurde, der einfach nötig war, um das Heilsgeschehen in Gang zu bringen: Letztendlich war er nötig, um den Kreuzestod zu bringen und somit die Erlösung. Eine ähnliche Funktion hat der Verräter auch in diesem Text: Erst durch sein Eingreifen kommt es dazu, dass Mimmo und Celeste sich befreien, ausziehen. Wie wäre die Geschichte weitergegangen, wenn Totò nicht verraten und getötet worden wäre? Wir wissen es nicht.

Über den "Verkauf" von Celeste muss ich ebenfalls noch nachdenken. Auch hier im Prinzip wieder eine brutal und vielleicht übertrieben dargestellte Ungeheuerlichkeit, die aber ebenfalls einen wahren Kern beinhaltet: Man denke nur an Kindersoldaten, Zwangsprostitution oder auch den Umstand, wie viele heute nicht ihre Kinder als "Statussymbol" sehen. ...

Ich vermute mal das Mimmo womöglich ebenfalls zum Dieb geworden wäre wie Toto, da es ja sein großes Vorbild war. Oder er wäre zum Betrüger hinter der Fleichtheke geworden.
Und aus Celeste wäre die nächste Generation Prostituierte geworden.

Da kommt bei mir wieder das hoch was eine Psychologin mal gesagt hat. Nämlich "Kinder sind der Spiegel ihrer Eltern", das was sie ihnen vorleben übernehmen sie häufig.
 

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
So unrealistisch finde ich es nicht. Wenn man jetzt die religiöse Seite betrachtet: Es war z.B. bei der italienischen Mafia durchaus üblich, dass man in den Beichtstuhl ging, um seine Sünden zu beichten, und anschließend den Priester zur Sicherheit umbrachte, damit er nichts verraten konnte (habe ich irgendwann mal gehört). Im Allgemeinen sehe ich da auch Parallelen zu einem Adolf Hitler, der Vegetarier war und Schnittblumen verabscheute, auf der anderen Seite aber keine Hemmungen hatte, massig Andersdenkende oder "unwertes Leben" in den Tod zu schicken - und das auf grausamste Weise. Für Ähnliches gibt es zahlreiche Beispiele. Wobei auf S. 96 auch steht, dass Carmela "einsatzbereit in Gebetshaltung dakniete, um gleich zur Sache zu kommen." Da ist die Frage, was von Religiosität übrig ist.
Alles in allem bleibe ich allerdings bei dem Glauben, dass es hier um naiven Glauben geht. Das entnehme ich auch dem Umstand, dass die Hochzeit am Heiligenfest stattfinden soll. Natürlich schadet es nicht zu beten und sich den Heiligen zuzuwenden. Aber es ist naiv zu glauben, dass dann alles hier und jetzt gut wird. (Das erinnert mich ein wenig an eine Kollegin, die, als meine Eltern krank waren, gesagt hat: "Wenn du betest, werden sie wieder gesund." Da blieb mir auch die Spucke weg.)
Allerdings denke ich nicht, dass Glauben/Religion oder auch der Kampf zwischen Gut und Böse (denn zu dem kommt es eigentlich nicht wirklich) der Sinn dieses Buches sind, sondern eher eine (zugegebenermaßen überzeichnete und verklausulierte) Darstellung der Welt, so wie sie ist. Und dass eben unsere Möglichkeiten, sie zu einem Besseren zu führen, begrenzt sind - wenngleich nicht unmöglich, wie die "Flucht" von Mimmo und Celeste impliziert, die dann doch einen Hoffnungsschimmer darstellt.


Auch vor Gesellschaftskritik schreckt Calaciura nicht zurück. Die Marktszene fand ich z.B. vielsagend, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich sie nicht vielleicht zu "platt" verstehe. Sie implliziert m.E. Kritik am Konsum (an einigen Stellen habe ich mich an Menschen erinnert gefühlt, die ihr Geld für Sinnloses ausgeben und sich dann wundern, warum sie sich nichts zu essen leisten können, oder, das kenne ich auch aus meinem Umfeld, Geld, dass sie verdienen, gleich wieder verbraten müssen). Die "Gymnastikschuhe mit [...] Lämpchen" könnten wieder einen Hinweis auf die Zeit geben, da es diese Art Schuhe ja noch nicht allzu lange gibt (glaube ich zumindest). Die Turnschuhe wurden einst verkauft und dann vom ehemaligen Verkäufer wieder gekauft. Das ewig Gleiche. Auch eine m.M. n. wichtige Aussage des Buches.

Ein weiterer Aspekt auch der Gesellschaftskritik: Als Cristofaro nicht mehr geschlagen wird, kommen die Menschen abends wieder auf die Straße. Vorher haben sie sein Weinen durch den Fernseher zu übertönen versucht. Kennen wir das nicht alle auch von uns? Augen zu, dann gibt es das nicht? Ich kann mich da jedenfalls nicht ausschließen - obgleich in weniger brutalen Bereichen.

Totò versucht, sein Leben (und auch das von Carmela und Celeste) zu änderen. Aber auch dieses geschieht eher auf unangebrachte Art und Weise). Die Schuhe werden gestohlen, der Schmuck ebenfalls - für ihn bestimmt ein guter Weg, objektiv betrachtet aber absolut unangebracht.

104/105: Hier ist vom gestohlenen Schmuck die Rede. Und dass diejenigen, die den Schmuck den Reichen stehlen, auch nicht "besser als die" ist. Wenn man sich die Menschheitsgeschichte anschaut, gibt es für ähnliches Verhalten zahlreiche Beispiele, die bekanntesten sind wohl die Französische und die Russische Revolution. Beide sind erst einmal in einen Blutrausch ausgeartet. Womit ich gerade Erstere nicht an sich kritisieren will, aber an Schillers "Da werden Weiber zu Hyänen" ist schon was dran.

Die Kugel, die Totò verfolgt. An sich wirklich unrealistisch, aber damit schließt sich der Kreis. Er stirbt dort, wo auch sein Vater zu Tode kam, konnte also seinem Schicksal (Erbsünde?) nicht entgehen. Allerdings ist trotz allem meine Frage, ob und wo er etwas hätte ändern können. Aber eben auch hier wieder das Motiv, dass das Schicksal nur begrenzt beeinflussbar ist und man diesem nur begrenzt entgehen kann. Wobei ich, und das betone ich immer wieder, nicht glaube, dass man per se machtlos ist, aber man muss eben Grenzen akzeptieren.

Die Szene mit Naná - sehr brutal, aber auch hier ein Körnchen Wahrheit. Die Methoden, zu denen der Mensch greift, um seinen Willen/seine Wünsche zu erfüllen, sind oft unglaublich. Wichtig finde ich hier den Satz "Sie spürten die Niedertracht [...] und waren zu allen Schandtaten bereit." (143). Auch hier in aller Fantastik wieder eine realistische Einschätzung.

Das Pferd, das zu Mimmo spricht. Auch wieder auf den ersten Blick an der Realität vorbei. Darüber muss ich auch noch nachdenken, aber auf den ersten Blick erscheint es mir als "intuitives Wissen" von Mimmo. Wir wissen, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, unser Inneres versucht es uns auch zu sagen, aber wie sehen es erst, wenn es gänzlich offenbar wir. Aber wie geschrieben: Keine Ahnung, ob ich damit richtig liege.
Wahnsinn, was du aus diesem kurzen Roman alles herausliest. So gefällt mir das Buch gleich wieder besser. Mit dem letzten Absatz hatte ich nämlich auch so meine Probleme, so sehr mir der Schreibstil auch gefiel. Botschaften hinter einer Mauer aus Metaphern und surrealer Szenen herauszulesen, ist womöglich auch nicht so meins.
 

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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... im frühen Christentum wurde Judas eben auch als der gedeutet wurde, der einfach nötig war, um das Heilsgeschehen in Gang zu bringen: Letztendlich war er nötig, um den Kreuzestod zu bringen und somit die Erlösung. Eine ähnliche Funktion hat der Verräter auch in diesem Text: Erst durch sein Eingreifen kommt es dazu, dass Mimmo und Celeste sich befreien, ausziehen. Wie wäre die Geschichte weitergegangen, wenn Totò nicht verraten und getötet worden wäre? Wir wissen es nicht.
Dieser Gedanke gefällt mir sehr - und tröstet mich über die Melancholie und offenkundige Aussichtslosigkeit der meisten Schicksale in diesem Roman hinweg...
 

parden

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13. April 2014
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Ich habe ehrlich gesagt keinen blassen Schimmer, wie ich diesen Roman bewerten soll. Die Bilder, die der Autor hier zeichnete, waren bei aller Brutalität auch faszinierend, der Schreibstil gefiel mir sehr - aber die Erzählung selbst erschloss sich auch mir nicht wirklich. Ich bin froh, dass andere hier möglicherweise durchaus plausible Interpretationen dazu haben, doch mag ich es nicht sonderlich, wenn ich nicht selbst die Botschaft eines Romans entschlüsseln kann. Ich muss noch nachdenken, bevor ich eine Rezension dazu schreibe...
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
1.316
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Da kommt bei mir wieder das hoch was eine Psychologin mal gesagt hat. Nämlich "Kinder sind der Spiegel ihrer Eltern", das was sie ihnen vorleben übernehmen sie häufig.

Davon bin ich auch überzeugt. Wobei ich dennoch denke, dass man ab einem gewissen Alter anfangen muss, selbst Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn's schwer ist.
 
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wal.li

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1. Mai 2014
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Mir geht es so wie euch, ich weiß nicht recht, was ich von dem Buch halten soll. Es ist schlicht, bildhaft und schön geschrieben, aber der Inhalt ist einfach nicht meins. Mir kommt es fast so vor, als kämen nach den ersten Nackenschlägen immer welche nach. Auch der Schluss ist so, zwar können Mimmo und Celeste entkommen, aber um den Preis eines Totschlags. Wer will denn so ein anderes Leben anfangen?
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich finde eure Diskussion sehr interessant. Toll, wie viele Gedanken @ElisabethBulitta sich über den kleinen Roman gemacht hat, erhellend vor allem die biblischen Bezüge!
Leider hatte das Buch für mich, abgesehen von den schönen Formulierungen, wenig Reizvolles.
Deshalb halte ich mich auch zurück. Meine Rezension ist schon fertig :) und ich wende mich dann lieber wieder neuen Themen zu.
Seid aber gewiss: Ich lese eure Beiträge fleißig mit :D
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Ich habe es im vorigen Abschnitt schon geschrieben. Diese Überzeichnung, das übersteigerte Drama wirkt auf mich wie die Karikatur einer italienischen Oper. Viele tragische Tode und ein dramatischer Abgang der Überlebenden.
Das war nicht mein Buch.

Mir ging es auch so, dass es mir einfach zu viel war. Es war alles so übertrieben, dass es mir schwerfällt, den Inhalt in irgendeiner Form ernstzunehmen. Manchmal fand ich den Roman in dieser Überzeichnung sogar schon (ungewollt?) komisch.

Für mich war zu viel Symbolik in den Text gepackt, jede reale Begebenheit wurde damit aufgeladen.

Ab einem gewissen Punkt war es mir auch zu viel mit den Metaphern und Symbolen. In alles wird ein göttlicher Wunsch oder religiöser Bezug hineingedeutet. Das ging mir einfach zu weit.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses Buch gelesen hätte, wenn ich vorher gewusst hätte, um welches Thema es hier geht. Insofern gibt die Buchbeschreibung nur einen geringen Teil dessen wieder, was diesen Roman ausmacht.

Volle Zustimmung. Ich hatte auch etwas anderes erwartet. Wobei ich es nicht grundsätzlich schlecht finde, überrascht zu werden. Aber so rückblickend hätte ich wohl nicht dazu gegriffen.
 

milkysilvermoon

Bekanntes Mitglied
13. Oktober 2017
1.803
5.061
49
Ich muss sagen, dass mir der letzte Abschnitt schon fast am besten gefallen hat, weil endlich einiges passiert. Ich hatte das Gefühl, dass auf den ersten 90 Seiten hauptsächlich die Personen, ihre Verbindungen und die Ausgangssituation dargestellt werden. Nun aber hat die Geschichte etwas Fahrt aufgenommen und endet auch kurz danach schon wieder.

Ich kann leider auch nichts dazu beitragen, was genau uns der Autor damit sagen wollte. Eine gewisse Gesellschaftskritik lese ich auch daraus. Allerdings ist vieles so stark überzeichnet, dass ich nicht denke, dass es solch ein Dorf (oder ein ähnliches) tatsächlich irgendwo gibt oder gegeben hat. Für mich ist der Roman einfach übers Ziel hinausgeschossen.

Richtig überrascht hat mich der Schluss übrigens nicht. Dass es Toto an den Kragen geht und dass Cristofaro von seinem Vater erschlagen wird, das hatte ich schon erwartet.

Ich werde das Buch jetzt mal etwas sacken lassen, vielleicht noch ein wenig über die Hintergründe googeln (wenn sich denn etwas finden lässt) und mich dann morgen in Ruhe an die Rezension setzen.
 
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KrimiElse

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26. Januar 2019
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5.110
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buchmafia.blogspot.com
Es gibt soviel Brutalität in dem Buch! Was sollte das mit dem Pferderennen? Gibt es solche Rennen wirklich? Wie fies ist das mit der Rosette im Hintern !?
Rosette weiß ich jetzt nicht, aber das gibt es tatsächlich, nicht nur bei Pferderennen. Auch bei Hunderennen beliebt...liest man zum Beispiel bei Roald Dahl „Mein Freund Claude“ (eigentlich ein sehr amüsantes und schwarzhumoriges Buch)
 

KrimiElse

Bekanntes Mitglied
26. Januar 2019
2.861
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buchmafia.blogspot.com
Ich würde vielleicht am ehesten denken, dass es dem Autor um Erlösung ging. Erlösung, die der sterbende Christofaro gefunden hat, als er wissend um sein Schicksal dem Vater entgegentrat. Erlösung für das Pferd, das in wundersamer Art ihre letzten Gedanken an Mimmo schickt und auch Erlösung für Celeste und Mimmo die einem unbekannten Schicksal entgegen fahren.
Das könnte stimmen. Ich habe jedenfalls keine bessere Idee. Für meinen Geschmack ist das Buch viel zu symbollastig. Es passt zur Geschichte der Menschen im armen Viertel, dass sie letztlich der Brutalität nur durch Tod oder Flucht entkommen können. Ganz deutlich ist das bei den Straßenhändlern aufgeschrieben, die ihre alten früher verkauften Turnschuhe doch nur selbst wieder kaufen, aufpoliert zwar, doch zu einem geringfügig höheren Preis. Das schreibt der Autor ganz klar, dass niemand dem Elend entkommen kann.
 

KrimiElse

Bekanntes Mitglied
26. Januar 2019
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buchmafia.blogspot.com
Die Geschichte hätte so stattfinden können. Nur schmückt der Autor sie mit einer Symbolik, die sie wiederum irreal erscheinen lässt. Er versetzt uns an einen Ort, der irgendwo in Italien oder sonst auf der Welt sein könnte; der Zeitpunkt ist nicht einzuordnen und lässt nur Vermutungen zu. . Sünder treffen auf Heilige.
Gute Taten berühren, Gewalt und Brutalität stoßen ab.
Sehe ich auch so. Durch Übertreibungen verzieht man beim Lesen das Gesicht und fühlt sich ins Irreale versetzt. Dazu trägt bei mir auch ein bisschen der Sprachstil bei, der bei den Greueltaten kühl und lapidar, bei den positiven Aspekten sehr poetisch ist. Soll man als Leser dadurch extra noch darauf hingewiesen werden? Sicherlich. Aber mir war das manchmal Zuviel.
Ich werte letztlich wie du, wenn ich von der reichen religiösen Symbolik gewusst hätte, hätte ich das Buch sicher nicht gelesen, aber das liegt einfach an mir, nicht am Buch. Ich versuche auch, die für mich positiven Aspekte zu sehen, und da gab es doch einige...
 

KrimiElse

Bekanntes Mitglied
26. Januar 2019
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5.110
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buchmafia.blogspot.com
Eine ähnliche Funktion hat der Verräter auch in diesem Text: Erst durch sein Eingreifen kommt es dazu, dass Mimmo und Celeste sich befreien, ausziehen. Wie wäre die Geschichte weitergegangen, wenn Totò nicht verraten und getötet worden wäre? Wir wissen es nicht.
Danke für diese erhellende Deutung, dein Verständnis für Symbolik schärft Dir den Blick und ich profitiere...