2. Leseabschnitt: "Die Sintflut" (S. 37 bis S. 62)

Bibliomarie

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10. September 2015
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Dann die Komik bezüglich der Waage, der Fische, Cristofaros Versteckspiels, des Bettentauschs,...
Die Poesie: der wabernde Brotgeruch, der magische, unglaubliche Ausmaße annimmt...

Wunderschöne poetische Sätze stehen neben Grausamkeit, skurrile Szenen neben philosophisch angehauchten Nebensätzen, aber dennoch wirkt es alles Ganzes für mich rund.
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Aber ich denke nicht im Sinne von Frömmigkeit, eher glauben sie an eine übergeordnete und zementierte Macht der Kirche, die ja auch immer ein Mittel der Unterdrückung war und vielleicht noch ist. Besonders die katholische Kirche stand immer auf der Seite der Machthaber und war Handlanger im ruhig stellen der Massen.

Vom Ruhigstellen jetzt mal abgesehen, macht's, finde ich, die Mischung. Natürlich muss ich als Mensch Verantwortung übernehmen - nicht nur für andere, sondern auch für mich selbst. Aber gerade Letzteres ist schwer. Wenn man sich z.B. die Psalmen, insbesondere die Klagepsalmen, anschaut, wird mit Gott hart ins Gericht gegangen. Und was machen die Menschen heute: Beschimpfen einander. Ist das besser? Irgendwie kann ein Gottesbild auch beruhigen.
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Ich glaube, wohl mehr als ein Körnchen. Wenn wir nur einige Jahrzehnte zurückgehen, war der Umgang mit Behinderten unmenschlich, sie wurden auch in "Heilanstalten" angekettet wie die Tiere. Hier spielt auch wieder die Zeitlosigkeit des Borgo Vecchio eine Rolle, hier spielt sich - von einigen Kleinigkeiten (Strom, Fernseher etc) abgesehen - das Leben seit ewigen Zeiten unverändert ab.

Das mit der Zeitlosigkeit sehe ich auch so.

Und das "Körnchen" war von mir absichtlich untertrieben. Ich z.B. hasse den Spruch "Alle Menschen sind gleich." Nein, wir sind nicht alle gleich, aber wir sind Menschen und somit wert, ensprechend mit Würde behandelt zu werden. Und davon sind wir noch weit entfernt.
Vor einigen Jahren hatte meine Schulleiterin mal Besuch von schwerst Mehrfachbehinderten. Mein Gott, gab das von einigen Eltern (wir hatten am selben Tag Elterngespräche) böse Worte. Wie wir ihren Kindern solche Anbliicke antun können. (Ich gebe zu, wir hätten auch die Kinder, die nichts unmittelbar mit dem Besuch zu tun hatten, besser vorbereiten müssen, aber, mein Gott, diese Reaktion war ja völlig daneben.) Genauso war das mit dem syrischen Mädchen, das ich letztes Jahr in der Klasse hatte: "Es ist ja kein Wunder, dass unsere Kinder kein Deutsch mehr können, wenn so viele Ausländer kommen." (Ha ha, die Kinder konnten auch vorher schon kein Deutsch.) Wir brauchen gar nicht so weit in die Vergangenheit zurückzuschauen.
 
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Sassenach123

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27. Dezember 2015
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In welcher Zeit spielt der Roman genau? Auf jeden Fall nach dem zweiten Weltkrieg, denn an ihn können die Alten sich ja noch gut erinnern, heißt es im Buch. Ging es zu der Zeit in abgelegenen Dörfern in Italien zu? Einiges lässt sich sicher damit erklären, aber nicht alles.
Einen behinderten Jungen im Stall leben zu lassen ist aus der heutigen Sicht undenkbar. Für damalige Verhältnisse sah das sicher anders aus, auch wenn dieser Gedanke erschreckend ist. Wenn man einmal daran denkt wie viele Behinderte in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus getötet wurden, einfach weil sie nicht ins System passten. Niemand hat sich die Mühe gemacht und den Mensch dahinter gesehen, schrecklich.
Wie gut, dass wir heute andere Wege kennen und andere Moralvorstellungen haben, auch wenn noch nicht alles perfekt ist, und viele immer noch befangen sind.
Im ersten Abschnitt gab es bereits Gewalt, aber hier ist sie doch sehr präsent, es wirkt so, als ob der Alltag der Kinder aus fast nichts anderem zu bestehen scheint. Die Sintflut als gottgegeben zu sehen ist sicher auch der Zeit geschuldet, zumindest gehe ich davon aus.
Momentan frage ich mich, wohin uns das alles führen wird?
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Ich habe es eher so verstanden, dass Gott den Regen schickt als Strafe für Carmelas Verhalten. Esoterisch finde ich es nicht, eher alttestamentlich: ..
Für mich fällt Religion auch unter Esoterik, metaphysische Vorgänge, unsichtbare Wesen, Heilsversprechen, ob mit Pendel oder Weihrauch, macht für mich keinen Unterschied.
 
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ulrikerabe

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14. August 2017
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In welcher Zeit spielt der Roman genau? Auf jeden Fall nach dem zweiten Weltkrieg, denn an ihn können die Alten sich ja noch gut erinnern, heißt es im Buch.
ich habe es versucht am Geld festzumachen, es werden Cent erwähnt und "10 Kröten" mit denen Mimmo und Cristifaro am Strand waren. Das geht sich mit Lire nicht aus.

Ich finde das schade, dass es dazu keinen Anhaltspunkt gibt. Ich hätte auch gern gewusst wie alt die Kinder sind. Das erschließt sich mir auch nicht.
 
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wal.li

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1. Mai 2014
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Da ich selbst nicht sehr religiös bin, gehen diese Anspielungen ziemlich an mir vorbei.
Dieses Kapitel löst bei mir auch ambivalente Gefühle aus. Wie schrecklich, dass Nicola mit den Schafen leben musste. Wie man auf die Idee kommen kann, ein Kind selbst wenn es behindert ist so zu behandeln.
Celeste fängt an sich an ihrem Beobachtungspunkt zu langweilen. Das Lernen hilfreich sein kann, der dörflichen Enge zu entkommen, ist ein sehr kluger Gedanke. Und mit welcher Hartnäckigkeit sie an Gelehrigkeit festhält.
Dass Gott erstens Mal etwas dagegen hat, dass sie sich befreien will, und dann als Strafe noch ein Unwetter schickt, löst bei mir eher Unwillen aus. Ich wünsche Celeste, dass sie es schafft.
Witzig ist es dann schon, dass Mimmos Vater den Leuten mehr abwiegen muss. Und froh war ich, dass Christofano seinem Vater entwischen konnte. Hoffentlich mehr als nur einen Tag und hoffentlich wird es künftig nicht noch schlimmer.
Gefallen hat mir der Brotduft, der durch die Gassen zog und so viele unterschiedliche Reaktionen hervorrief.
 

ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Cristofaro, der Christus trägt (soll das die Leidensfähigkeit darstellen?)

Christus ist die lateinische Form von "Christos" = der Gesalbte, der Messias. Mit Leidensfähigkeit hat der Begriff eigentlich nichts zu tun, im AT (und bei den Juden) war's ein Titel für Priester und Fürsten. Wenn wir heute von Jesus Christus sprechen, meinen wir den Sohn Gottes und sprechen, streng genommen, vom nachösterlichen Jesus, denn erst durch seine Auferstehung wurde offenbar, dass er wirklich der Sohn Gottes ist. Die Leidensfähigkeit und das Leiden an sich impliziert dieser Titel nicht. Auch das Leiden und die Kreuzigung Jesu an sich waren ja nichts anderes als eine ganz "normale" Methode, jemanden zu Tode zu bringen. Wenn Jesus nicht auferstanden wäre (so man denn glaubt, und die Menschen glaubten es), wäre Jesus sang- und klanglos untergegangen.

Angesichts der Tatsache, dass das Buch doch nicht gerade leichte Kost ist und der Autor mit vielen Metaphern aufwartet (so ich mich hier nicht in etwas verrannt habe), denke ich mal, dass er die Bedeutung dieses Wortes kennen wird.

Ich habe heute meiner Kollegin gesagt, dass sie für die Sommerferien eine schöne Lektüre von mir bekommt. Ich bin mal gespannt, was sie dazu sagt.
 

ulrikerabe

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Christus ist die lateinische Form von "Christos" = der Gesalbte, der Messias. Mit Leidensfähigkeit hat der Begriff eigentlich nichts zu tun, im AT (und bei den Juden) war's ein Titel für Priester und Fürsten. Wenn wir heute von Jesus Christus sprechen, meinen wir den Sohn Gottes und sprechen, streng genommen, vom nachösterlichen Jesus, denn erst durch seine Auferstehung wurde offenbar, dass er wirklich der Sohn Gottes ist. Die Leidensfähigkeit und das Leiden an sich impliziert dieser Titel nicht. Auch das Leiden und die Kreuzigung Jesu an sich waren ja nichts anderes als eine ganz "normale" Methode, jemanden zu Tode zu bringen. Wenn Jesus nicht auferstanden wäre (so man denn glaubt, und die Menschen glaubten es), wäre Jesus sang- und klanglos untergegangen.

Angesichts der Tatsache, dass das Buch doch nicht gerade leichte Kost ist und der Autor mit vielen Metaphern aufwartet (so ich mich hier nicht in etwas verrannt habe), denke ich mal, dass er die Bedeutung dieses Wortes kennen wird.

Ich habe heute meiner Kollegin gesagt, dass sie für die Sommerferien eine schöne Lektüre von mir bekommt. Ich bin mal gespannt, was sie dazu sagt.
es ging mir um den Namen Cristofaro, eine Abart von Christopherus, der der Christus trägt....
 

parden

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13. April 2014
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Ich habe es eher so verstanden, dass Gott den Regen schickt als Strafe für Carmelas Verhalten. Esoterisch finde ich es nicht, eher alttestamentlich: Gott straft die Menschen für ihr sündiges Verhalten. Dazu passt auch die Sintflut, die Gott ja gesendet hat, um die Menschen "auszurotten" und anschließend einen Neubeginn zu starten. Hier werden eher althergebrachte Glaubensvorstellungen transportiert, was m.E. zu der ganzen dort dargestellten Gesellschaft passt. Dieser unmittelbare Zusammenhang, Gott schickt gleich die Strafe, bestraft oder belohnt unmittelbar für ein Verhalten, hat für mich was mit mangelnder Bildung zu tun. Wahrscheinlich weil ich mit einem anderen Gottesbild aufgewachsen bin.
Celestes Lesen sehe ich eher als Zeichen für den Willen, diesem Leben zu entgehen. Ich hoffe nur, dass es ihr auch gelingt.

Was mir ansonsten auffällt, sind die zahlreichen religiösen Symbole: das Brot (hier als Brotduft) als Zeichen für Leben und Lebenskraft, das Lamm als Opfertier, das zur Schlachtbank geführt wird (und dann noch als Weihnachtsbaum geschmückt. Das hat mich an Bachs Weihnachtsoratiorium erinnert, in dem er als ersten Choral "Wie soll ich dich empfangen" auf die Melodie von "Oh Haupt voll Blut und Wunden" singen lässt, hier also auch schon in der Weihnachtsfreude einen Ausblick auf die Passion gibt, allerdings weiß ich nicht, ob der Autor hier auch beides in Verbindung bringen will.). Ebenso die Sintflut ... Mich würde wirklich interessieren, was der Autor mit diesen Symbolen bezwecken will. Ich fürchte ja fast, dass das Buch negativ endet ...
Schön erklärt, und so hätte ich es auch aufgefasst. Ich bin gespannt, ob sich diese Bilder noch aufklären.
 
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parden

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13. April 2014
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Ein wenig erinnern mich die Schilderungen an den Film 'Schlafes Bruder'. Ein abgelegenes Bergdorf voller Inzucht, durchzogen von Armut und schlechter Bildung, der Lehrer und der Pfarrer als Leitfiguren, rigide Religiosität, unbarmherziger Umgang mit Behinderten und Außenseitern usw. Jedwelcher Versuch von Schönheit oder von Ausbruch von vornherein zum Scheitern verurteilt...

Wann diese Geschichte in dem Roman spielt, grenzt sich ein wenig ein. Ich glaube auch, dass dies nach 2002 - der Einführung des Euro - sein muss, aber noch zu Zeiten von Kassettenrekordern. Von einem solchen ist hier nämlich die Rede gewesen. Also nicht so mittelalterlich, wie die Erzählung z.T. anmutet. Wenn das Dorf nur abgelegen genug ist, halten sich manche (MIss-)Stände hartnäckig.
 

parden

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Da ich selbst nicht sehr religiös bin, gehen diese Anspielungen ziemlich an mir vorbei.
Dieses Kapitel löst bei mir auch ambivalente Gefühle aus. Wie schrecklich, dass Nicola mit den Schafen leben musste. Wie man auf die Idee kommen kann, ein Kind selbst wenn es behindert ist so zu behandeln.
Celeste fängt an sich an ihrem Beobachtungspunkt zu langweilen. Das Lernen hilfreich sein kann, der dörflichen Enge zu entkommen, ist ein sehr kluger Gedanke. Und mit welcher Hartnäckigkeit sie an Gelehrigkeit festhält.
Dass Gott erstens Mal etwas dagegen hat, dass sie sich befreien will, und dann als Strafe noch ein Unwetter schickt, löst bei mir eher Unwillen aus. Ich wünsche Celeste, dass sie es schafft.
Witzig ist es dann schon, dass Mimmos Vater den Leuten mehr abwiegen muss. Und froh war ich, dass Christofano seinem Vater entwischen konnte. Hoffentlich mehr als nur einen Tag und hoffentlich wird es künftig nicht noch schlimmer.
Gefallen hat mir der Brotduft, der durch die Gassen zog und so viele unterschiedliche Reaktionen hervorrief.
Deinen Anmerkungen kann ich mich nur anschließen... :)
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Es scheint mir alles zu vereinfacht, so reduziert. Alle Männer, Familienväter gehen zur Prostituierten. Das erfüllt doch jedes Klischee.

Mir ist das alles auch zu stark übertrieben und zu klischeemäßig. Auf mich hätte die Geschichte eine viel intensivere Wirkung, wenn das Ganze etwas authentischer wirken würde. Immer wenn man denkt, das ist jetzt wirklich heftig, packt der Autor noch eine Schippe drauf.

Die Geschichte rund um Nicola fand ich absolut schlimm zu lesen - sowas von unmenschlich. Da fehlen mir echt die Worte. Das sagt mir viel über den Umgang mit Behinderten. Auch wenn es überzogen ist, findet sich hier doch ein Körnchen Wahrheit.

In diesem Kapitel hat mich dieser Part auch am allermeisten berührt und schockiert. Nicht nur dass mit den anderen grausam umgegangen wird, sondern man geht auch mit einem behinderten Kind, das nicht versteht, was um es herumpassiert, absolut niederträchtig um. Das war schon schwer zu lesen.
 
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ElisabethBulitta

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8. November 2018
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Wann diese Geschichte in dem Roman spielt, grenzt sich ein wenig ein. Ich glaube auch, dass dies nach 2002 - der Einführung des Euro - sein muss, aber noch zu Zeiten von Kassettenrekordern. Von einem solchen ist hier nämlich die Rede gewesen. Also nicht so mittelalterlich, wie die Erzählung z.T. anmutet. Wenn das Dorf nur abgelegen genug ist, halten sich manche (MIss-)Stände hartnäckig.

Ich habe immerhin mittlerweile herausgefunden, dass es einen Stadtteil/ein Viertel mit dem Namen Borgo Vecchio in Palermo gibt. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr kommt mir der Gedanke, dass Zeit und Ort im Grunde einerlei sind. Die Probleme und Missstände, die hier behandelt werden, die Hoffnungen und Nöte der Menschen, der "Kampf" zwischen Gut und Böse ... all das sind Aspekte des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens, die die Menschheitsgeschichte durchziehen. Nur hier eben ganz extrem auf den Punkt gebracht.