Rezension Rezension (3/5*) zu SCHWEIGEPFLICHT: Thriller von Jens Lapidus.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Buchinformationen und Rezensionen zu SCHWEIGEPFLICHT: Thriller von Jens Lapidus
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Vielleicht zu ambitioniert

Handlung

Benjamin Emanuelsson, der junge Verdächtige in einem Mordfall, bei dem die Identität des Toten noch unbekannt ist, liegt im Koma und der Fall konnte daher bisher nicht vor Gericht gehen. In einem kurzen Moment der Ansprechbarkeit verlangt er Emilie Jansson als Strafverteidigerin – was sonderbar ist, weil sie mit dem Tatbestand Mord normalerweise nichts am Hut hat und als Anwältin auch noch sehr unerfahren ist.

Wie kommt Benjamin also ausgerechnet auf sie?

Rezension

Eigentlich müsste Emelie Benjamins Forderung direkt ablehnen, denn ihre Kanzlei betrachtet derlei Fälle als nicht zum gewünschten Image passend. Eigentlich. Natürlich bringt sie das nicht über sich, sondern macht sich daran, sowohl im Namen ihres Arbeitgebers an anderen Fällen zu arbeiten als heimlich auch an diesem.

Merkwürdigerweise hat Benjamin nicht nur nach ihr verlangt, sondern auch ausdrücklich darum gebeten, dass sie sich mit Najdan “Teddy” Maksumic zusammentut, der als Privatermittler für die Kanzlei arbeitet. Dem ersten Anschein nach ist Teddy ein zwielichtiger Charakter: er hat(te) Verbindungen zur jugoslawischen Mafia und hat eingesessen, nachdem er an einer Entführung beteiligt war, bei der das Opfer gefoltert wurde. Aber er hat das Ruder seines Lebens herumgerissen und will jetzt seinen Neffen Nikola davon abhalten, eine ähnliche Laufbahn einzuschlagen.

Emelie und Teddy haben als gegensätzliches Gespann viel Potential.

Anfangs dachte ich, Emelie würde der Star des Buches sein und Teddy ihr Sidekick, tatsächlich ist es aber schon bald umgekehrt: Teddy ist derjenige, der den Fall vorantreibt, während Emelie meines Erachtens immer blasser erscheint. Leider schöpfen die beiden ihr Potential daher nicht vollständig aus.

Es gibt noch zahlreiche andere Charaktere, die mehr oder weniger zentral mit dem Fall zu tun haben. Unterm Strich konnte ich jedoch weder zu den Protagonisten noch zu den wichtigsten Nebencharakteren eine ausreichende Beziehung aufbauen, dass mich ihr Schicksal wirklich dauerhaft bei der Stange gehalten hätte. Die meisten davon wirkten auf mich eher schwach.

Die schwedische Unterwelt gibt als Hintergrund eines Thrillers durchaus viel her. Kriminelle Machenschaften, Korruption, ein Justizsystem, das der organisierten Kriminalität nicht Herr werden kann…

Jens Lapidus spricht eine Vielzahl an Themen an, mit denen er sich sicherlich bestens auskennt, da er Berufserfahrung als Strafverteidiger vorweisen kann. Die Grundidee der Geschichte ist auf jeden Fall interessant, vielschichtig und vielversprechend, und die Schilderungen der kriminellen Szene wirken authentisch.

So weit, so gut.

In meinen Augen verzettelt sich der Autor jedoch in allzu vielen Handlungssträngen, Hintergrundgeschichten und Motiven, so dass die Spannung für mich über lange Passagen verloren ging und der zentrale Fall etwas in Vergessenheit geriet.

Ich habe nichts gegen dicke Wälzer, aber hier bin ich der Ansicht, dass man von den 640 Seiten einige hätte streichen können – so war für mich irgendwann die Luft raus. Da wäre weniger mehr gewesen.

Da unser Krimilesekreis den Thriller letzten Monat gelesen und diskutiert hat, weiß ich, dass der Schreibstil sehr unterschiedliche Reaktionen hervorruft – besonders der Slang, der sich penetrant durchs ganze Buch zieht.

Krass, Alter, voll der naize Sch***. Mein Vater ist auf f***ing Universität gegangen.
(Kein genaues Zitat, aber so in etwa.)

Sprechen Menschen aus diesem Umfeld in Schweden wirklich so? Falls ja, dann kann man dem Autor zumindest zugute halten, dass der Schreibstil zur Milieustudie beiträgt. Mich hat der Slang gar nicht so sehr gestört wie andere Teilnehmer der Leserunde, was aber vielleicht auch daran liegt, dass ich das Buch als Hörbuch gehört habe.

Das Ende nach dem Ende will mich dazu animieren, den nächsten Band zu kaufen.

Das war mein erster Gedanke, denn nach dem eigentlichen Ende wird noch mal ein richtig fieser Cliffhanger draufgesetzt. Ein Blick ins Internet zeigt: “Schweigepflicht” ist tatsächlich Band 2 einer Trilogie, da kommt also noch was. (Wenn ich das richtig sehe, wurde der erste Band bisher allerdings nicht ins Deutsche übersetzt.)

Zum Hörbuch:

Sprecher Thomas M. Meinhardt hat eine angenehme Stimme und tut sein Bestes, die Spannung so gut wie möglich rüber zu bringen. Obwohl er stimmlich zwischen den verschiedenen Charakteren variiert, hätte er das eventuell noch deutlicher forcieren können. Es fiel mir manchmal schwer, die Charaktere direkt richtig einzuordnen – was aber auch daran liegen könnte, dass sie schon im Roman zu wenig eigene Persönlichkeit entwickeln.

FAZIT

Der im Koma liegende Benjamin gilt als Hauptverdächtiger in einem Mordfall. Als er kurz ansprechbar wird, verlangt er Emilie Jansson als Verteidigerin – aber die ist buchstäblich gerade erst Anwältin geworden, arbeitet bei einer Kanzlei, die keine Mordfälle annimmt, und kann sich nicht erklären, woher Benjamin ihren Namen hat. Oder warum er ausdrücklich fordert, dass sie sich mit Najdan “Teddy” Maksumic zusammentut, der als freier Ermittler für die Kanzlei arbeitet und selber einen kriminellen Hintergrund hat.

Kurz gesagt: das Buch hat einfach zu viele.

Zu viele Handlungsstränge, zu viele Nebencharaktere, zu viele Hintergrundgeschichten, und zwischendurch zieht sich die daraus entstehende Masse wie Kaugummi. Um ~300 Seiten gestrafft und von allem ein bisschen weniger, und das Buch hätte großartig sein können, denn vieles ist wirklich interessant, geht aber einfach unter.

 
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