Rezension Rezension (3/5*) zu Willkommen in Lake Success: Roman von Gary Shteyngart.

parden

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13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Roadtrip auf der Suche nach sich selbst...

Barry ist kein sonderlich sympathischer Zeitgenosse, seine Freundschaften bleiben allesamt an der Oberfläche, was zählt, ist Geld und Erfolg, koste es was es wolle. Nun aber zerbricht sein Leben vor seinen Augen. Barrys dreijähriger Sohn hat die Diagnose 'Autismus' erhalten, er spricht nicht, und es ist überhaupt schwierig, zu ihm in Kontakt zu kommen. Die Beziehung zu seiner Frau scheint sich zunehmend zu verschlechtern. Und gegen Barry selbst wird aufgrund nicht ganz sauberer Vorgehen in seinen Hedgefonds inzwischen ermittelt - FBI und Kartellamt sind ihm auf der Spur.

Kurz entschlossen packt Barry die wichtigsten Uhren seiner Sammlung in einen Rollkoffer und begibt sich ohne Abschied zum Bahnhof. Eine Greyhound-Tour von Küste zu Küste schwebt ihm vor, ein Roadtrip auf der Suche nach sich selbst. Grobes Ziel ist seine alte Liebe aus Studienzeiten, die er gerne wieder aufleben lassen möchte. Denn schließlich war das Leben damals noch ein echtes, unverstellt von Reichtum und Erfolg.

Erzählt wird hier abwechselnd aus der Sicht von Barry Cohen und seiner Frau Seema, einer tamilischen, indischstämmigen Anwältin, die seit der Geburt ihres Sohnes nicht mehr arbeitet. Seema herrscht über die riesige Penthouse Wohnung in einem von New Yorks besten Vierteln, beschäftigt zahlreiches Personal und einen ganzen Therapeutenstab für ihren autistischen Sohn. Auch sie scheint nicht zufrieden mit ihrem Leben und versucht sich neu zu orientieren, auch wenn sie ihre gewohnte Umgebung nicht verlässt.

Gary Shteyngart lässt kein gutes Haar an seinem Protagonisten - und scheint doch Mitleid mit ihm zu haben. Auch wenn Barry letztlich ganz unten landet, ohne einen Cent in der Tasche und bettelnd in der prallen Sonne, geht der Autor schlussendlich milde mit ihm um. Das Buch endet anders als man womöglich erwartet, aber irgendwie doch vorstellbar.

Ganz nebenbei erzählt Gary Shteyngart auch von Amerika. Von dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo ein reicher Spinner jedes Ziel erreichen kann, wenn er nur genug dafür tut. Nicht zufällig hat Shteyngart den Roman zur Zeit des Wahlkampfs zwischen Hilary Clinton und Donald Trump angesiedelt - Geld regiert die Welt, der gesunde Menschenverstand zählt nicht mehr.

Ein Roman voller Zynismus, Anspielungen und Andeutungen, die ich sicher nicht alle erfasst habe, voller oberflächlicher Werte, Desillusionen und trauriger Schicksale. Eine Erzählung, die etliche autistische Personen verortet, nicht nur Barrys und Seemas kleinen Sohn. Was Shteyngart damit bezweckt hat, erschließt sich mir nicht - ich kann nur vermuten, dass dies als Sinnbild dient für eine autistische Gesellschaft, in der jeder nur noch um sich selbst kreist.

Kein bequemer Roman, ich fand ihn über lange Passagen gar anstrengend zu lesen, unter anderem weil er gespickt ist mit Aufzählungen von Personen, die mir teilweise nichts sagten, vor allem aber mit meist exklusiven Markennamen, die mir völlig schnuppe sind und die mich schließlich nur noch nervten. Nicht grundlos verweigere ich mich jeder Werbung, wo ich nur kann.

Die Reichen werden immer reicher und fallen stets wieder auf die Füße, egal wobei sie erwischt werden. Dies ist eine der Erkenntnisse, die ich aus dem Roman ziehe. Eine autistische, nicht empathische, zielorientierte Persönlichkeit ohne Interesse am Schicksal anderer ist von Vorteil, will man ganz nach oben kommen, ist eine weitere Erkenntnis. Ein unbequemer Spiegel, den Shteyngart Amerika da vorhält - und sicher nicht nur Amerika. Trump ist das Resultat dieser gesellschaftlichen Entwicklung und letztlich wohl leider eine logische Konsequenz.

Ein Roman, der mir zu intellektuell angehaucht ist, bei dem ich sicher etliche Anspielungen verpasst habe und dessen Charaktere mir weitestgehend ziemlich gleichgültig blieben. Ein kleiner Denkanstoß, mehr aber auch nicht.


© Parden